Weihnachten 1945

Ohne Hoffnung und Lametta

Passanten betrachten in der Vorweihnachtszeit 1945 das weihnachtlich dekorierte Schaufenster eines Geschäftes in Frankfurt am Main. Kurz nach Kriegsende versucht die Frankfurter Geschäftswelt trotz Bombenschäden und leerer Regale die Bevölkerung mit bescheidenen Mitteln auf die Weihnachtszeit einzustimmen.
Passanten vor der kümmerlichen Auslage eines Geschäfts in Frankfurt am Main in der Weihnachtszeit 1945 © picture-alliance / dpa
Von Andrea Westhoff · 24.12.2015
Der 24. Dezember 1945 ist ein nasskalter, grauer Montag. Die deutschen Städte liegen noch in Trümmern, in den Notunterkünften drängen sich abertausende Flüchtlinge aus den Ostgebieten. Es fehlt an allem: an Essen, Heizmaterial - und an Zukunftseuphorie.
"Ich habe keine genauere Erinnerung daran. Christbaum? Kerzen? Ich weiß es einfach nicht mehr", schreibt Heinrich Böll in einer Anthologie über Weihnachten 1945. Aber an eines erinnert er sich genau:
"Staub, Puder der Zerstörung, drang durch alle Ritzen, setzte sich in Bücher, Manuskripte, auf Windeln, aufs Brot und in die Suppe."
Hunger und Kälte überschatten das Fest
Die großen Städte liegen noch in Trümmern am 24. Dezember 1945. Ein nasskalter, grauer Montag. Keine weiße Weihnacht. Zwar ist der Winter relativ mild, aber die Menschen frieren erbärmlich:
"Wir hatten nichts zu heizen oder was wir verheizt haben, waren dann Tische oder Stühle oder so was", erinnert sich eine Berlinerin. Und Hunger haben sie auch:
"Die Mahlzeiten waren ja viel schlechter als noch Weihnachten '44, als wir noch auf dem Dorf waren. Ja, wir haben ja nur von den Karten gelebt, und die waren ja, weiß Gott, nicht sehr üppig."
Um es doch irgendwie weihnachtlich zu haben, wenigstens für die Kinder, verkaufen oder tauschen noch mehr Menschen als sonst ihre letzten, vor dem Krieg geretteten Habseligkeiten auf dem Schwarzmarkt für ein bisschen Zucker, Butter oder ein Stück Fleisch.
Kaum Hoffnung auf eine bessere Zukunft
Natürlich sind die Menschen froh, dass keine Bomben mehr fallen. Aber es herrscht keineswegs allgemeine Zukunftseuphorie in dieser ersten Friedensweihnacht, erinnert sich der CDU-Politiker und ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf:
"Das Land war zerstört, der Krieg war verloren, es gab im Grunde genommen noch kaum irgendwelche wirklich in die Zukunft weisenden Hoffnungen, außer den Hoffnungen, die damit verbunden sind, dass man überlebt hat und sagt, es muss ja weitergehen."
Einen kulturellen Neubeginn wollen der Karikaturist Herbert Sandberg und der Schriftsteller Günther Weisenborn signalisieren. Der eine wurde aus dem KZ Buchenwald befreit, der andere aus dem Zuchthaus Luckau. Beide machen sich gleich im Sommer 1945 daran, eine neue unabhängige Zeitschrift zu konzipieren: Sie soll die Vergangenheit aufarbeiten und das Bild eines besseren, demokratischen Deutschlands zeichnen.
"Nanu, war da nicht eben noch das 1000-jährige Reich?"
Am 24. Dezember erscheint die erste Ausgabe des "Ulenspiegel":
"Dornröschen erwache!" steht über der Zeichnung auf dem Titelblatt. Im Zentrum ein Maler vor seiner Staffelei, der aus dem Fenster schaut und erstaunt ausruft: "Nanu, war da nicht eben noch das 1000-jährige Reich?"
60 Pfennig kostet die Satirezeitschrift, acht Seiten hat die Weihnachtsausgabe: Sie enthält Karikaturen und Cartoons, ältere Gedichte von Tucholsky, Kästner, Brecht, sogar einen internationalen Text, Mark Twains satirischen Verriss der Wagneroper "Lohengrin". Und auch zwei Weihnachtsgedichte, die die Stimmung und das Credo der "Ulenspiegel"-Macher wiedergeben: "Weihnachten ohne Lametta" heißt das von Horst Lommer. Es endet mit den Zeilen:
"Gottlob, wonach die Nazis strebten,
ist fortgefegt wie lockrer Sand.
Des Führers Weisheit überlebten,
die Weisen aus dem Morgenland."
Viele suchen Trost in der Kirche
Aber die meisten Menschen suchen wohl eher traditionellen Trost in dieser ersten Friedensweihnacht: Alle Kirchen, die nicht in Trümmern liegen, sind voll am Heiligabend 1945. Die große alte Dame der FDP, Hildegard Hamm-Brücher, erinnerte sich genau daran:
"Die Weihnachtsbotschaft war deshalb eben so wichtig, weil man ja selber sozusagen beinahe nur im Stall lebte und nicht wusste, was der nächste Tag bringt, und die Hoffnung des Engels, der zu den Hirten kommt, das konnte man sich alles vorstellen - ganz lebendig."
Viele Frauen sind allein mit ihren Kindern, trauern um die gefallenen Männer und Väter oder hoffen auf eine Rückkehr der Kriegsgefangenen. Und abertausende Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten drängen sich verzweifelt in den Auffanglagern und Notunterkünften.
"Einsam und im Armenhaus der Welt"
"Das deutsche Volk muss diese erste Weihnacht des Friedens sehr einsam begehen. Einsam und im Armenhaus der Welt. Das ist nach all dem Geschehen nicht verwunderlich", sagt die Reporterlegende Peter von Zahn in einem sehr eindringlichen Rundfunkkommentar im damaligen Sender Hamburg an Heiligabend 1945.
"Wir werden Zeit haben, uns nachdenklich zu betrachten, und wir werden dann vielleicht zu unserem Erstaunen feststellen, dass wir nicht am Ende unserer Möglichkeiten sind."
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