Wege aus der Illegalität

Birgit Poppert im Gespräch mit Katrin Heise · 23.01.2012
In Deutschland leben schätzungsweise rund eine Million Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung, Flüchtlingsinitiativen sprechen von "Illegalisierten". Gefährlich wird es, wenn sie ohne medizinische Betreuung krank sind oder schwanger werden. Die Stadt München beschreitet daher einen Sonderweg.
Katrin Heise: Es darf sie per Gesetz eigentlich nicht geben, aber es gibt sie natürlich doch: Menschen ohne Papiere, die sich illegal in Deutschland aufhalten. Ihre Zahl wird auf eine Million geschätzt. Sie leben in ständiger Angst, entdeckt und dann abgeschoben zu werden, versuchen deshalb, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Und das geht auch oft jahrelang gut, aber wenn sie dann krank werden und Hilfe brauchen, dann ist Schluss, denn sie haben keine Krankenversicherung und Hilfe finden sie höchstens bei nichtstaatlichen Organisationen in den Großstädten. Die arbeiten in einer Grauzone und die will eigentlich keiner so recht sehen.

Es gibt Netzwerke, die anonym behandelnde Ärzte vermitteln, das wurde ja eben angesprochen. Viele dieser Anlaufstellen für Illegale fordern einen anonymen Krankenschein, der eine Meldung umgehen würde. Diesen Krankenschein lehnen Innenpolitiker aber ab. In München versucht man seit Jahren, einen anderen Weg zu gehen: Das Café 104 engagiert sich für Menschen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis, und Birgit Poppert ist Gründungsmitglied vom Café 104 und Sprecherin des Bayerischen Flüchtlingsrates. Frau Poppert, Sie sind nicht überzeugt vom anonymen Krankenschein, warum nicht?

Birgit Poppert: Nein, wir sind gar nicht davon überzeugt. Wir möchten die Situation der Illegalisierten insgesamt verbessern und nicht nur auf dem Krankensektor. Und uns im Wege steht der Paragraph 87 Ausländergesetz, das ist die Übermittlungspflicht, die jedem staatlich-städtischen Angestellten auferlegt, wenn er bei der Arbeit von Illegalität hört, das weiterzumelden.

Heise: Da gibt es bei Ihnen in München das sogenannte "Münchener Modell", das ist eine Alternative eben zum anonymen Krankenschein. Wie werden da Menschen ohne gültige Papiere versorgt medizinisch, was machen Sie da?

Poppert: Es ist keine richtige Alternative, die Alternative besteht zum einen darin, dass wir einen 100.000-Euro-Fonds haben bei der Stadt, wo schwerwiegende Krankheiten davon bezahlt werden. Auf der anderen Seite ist es so, dass unsere Anlaufstelle Ärzte vor Ort hat. Bei den gemeinsamen Sprechstunden mit "Ärzte der Welt" ist immer ein Arzt da und erledigt das Medizinische und wir das Aufenthaltsrechtliche. Das "Münchener Modell" beinhaltet aber darüber hinaus, dass wir uns bei der Ausländerbehörde auf Leitungsebene anonym beraten lassen können. Und das löst auch schon diverse Probleme, weil dann viele Menschen von uns zurückgeführt werden können in die Legalität …

Heise: … das heißt, da setzen Sie an, Sie setzen gar nicht unbedingt nur beim medizinischen Problem an und bei der Versorgung …

Poppert: … nein …

Heise: … durch eben diese Gruppierung "Ärzte der Welt", sondern Sie versuchen, die Menschen wieder in die Legalität zu holen. Das heißt, Sie müssen mit den Behörden zusammenarbeiten.

Poppert: Wir arbeiten eng mit den Behörden zusammen, so eigenartig auch immer das klingt. Aber das liegt daran, dass wir uns anonym beraten lassen können. Gestern habe ich einen Fall an die Leitungsebene getragen, heute haben sie mir gesagt, da besteht eine Möglichkeit, dass da eine Duldung ausgesprochen wird. Und jetzt haben wir dann heute die Papiere und alles nachgeliefert, und die Person kann dann aus der Illegalität rauskommen. Das ist eine ganz große Hilfe.

Heise: Wie ist es denn zu dieser Aufgeschlossenheit der Behörde gekommen, dass da also tatsächlich nach Wegen gesucht wird, die Leute aus der Illegalität, aber dann nicht in die Abschiebehaft zu bringen, sondern eben in das Aufenthaltsrecht?

Poppert: Gelingt natürlich nicht immer, aber ein wesentlicher Punkt ist, dass es eine Anfrage von den Grünen gab Anfang 2000. Beinhaltete, wie steht es mit den kranken Illegalisierten? Und da hat die Stadt München als einzige Stadt, so viel ich weiß, eine Studie in Auftrag gegeben, einen Migrationsforscher, Philip Anderson, und der hat über ein Jahr lang die Situation von Illegalisierten hier in München untersucht. Und dann ging diese Studie durch alle Referate des Stadtrates und am Schluss ist dabei ein Schluss herausgekommen, der jetzt das sogenannte "Münchener Modell" ist.

Heise: Wie viele Menschen konnten denn schon aus der Illegalität geholt werden in den vergangenen zehn Jahren?

Poppert: Wie viel das insgesamt sind, kann ich nicht sagen, aber ich kann eine Zahl nennen, dass die schwangeren Illegalisierten, die ja wirklich am gefährdetesten sind, dass wir da, die zu uns kommen, zu 90 Prozent in die Legalität zurückführen konnten.

Heise: Das heißt, der Kranke oder die in Ihrem Fall medizinisch zu Versorgende, die wendet sich an eine Stelle von Ihnen, an ein Büro, an einen Anlaufpunkt, und dann setzen Sie die ganze Maschinerie in Gang?

Poppert: Natürlich ist es nicht so, dass wir alle, die illegal sind, in die Legalität zurückführen können. Aber wir helfen unter Umständen auch auf dem Weg wieder nach Hause. In München gibt es eine Institution von der Stadt, die nennt sich "Coming Home", mit denen arbeiten wir zusammen. Wenn ein Fall hoffnungslos ist, versuchen wir, ihn auf einem guten Weg und ohne Geld, ohne dass er es bezahlen muss, in seine Heimat wieder zu bringen.

Heise: Das ist aber genau das, was viele ja überhaupt nicht wollen, also das heißt …

Poppert: … ach …

Heise: … es passiert doch immer wieder, dass die Behörden nicht sehr wohlwollend reagieren?

Poppert: Die können nicht jeden Illegalisierten aufnehmen. Wenn jemand schon vier, fünf Jahre illegal ist … Und Illegalität ist in Deutschland anders als in anderen Ländern eine Straftat, in anderen Ländern ist es eine Ordnungswidrigkeit. Insofern geht es rein rechtlich nicht, dass man alle Illegalisierten, die auftauchen, zurückführen.

Heise: Wenn Menschen ohne gültige Papiere krank werden, unser Thema im Deutschlandradio Kultur. Birgit Poppert engagiert sich in München. Frau Poppert, wie wird denen aber geholfen, die aber aus welchen Gründen auch immer nicht aus der Illegalität raus wollen oder auch können, die also sich diesem Angebot nicht anschließen können? Werden die dann nicht behandelt bei Ihnen?

Poppert: Doch, Krankenbehandlung kriegt bei uns jeder. Jeder, der keinen Krankenschein hat, und damit auch die Illegalisierten. Aber bei uns, nicht bei der Stadt, nicht bei den Behörden. Nur in Notfällen, da ist es so – das ist aber jetzt eine allgemeine Verwaltungsvorschrift, die für ganz Deutschland gilt –, gibt es den verlängerten Geheimnisschutz. Das heißt, in Notfällen können wir die in das Krankenhaus einweisen, die Illegalität wird nicht aufgedeckt, und hier in München wird es dann von den Sozialämtern, werden die Krankenhäuser bezahlt.

Heise: Was würden Sie sagen, was ist die Voraussetzung dafür, dass Ihr Modell funktioniert oder, wie Sie sagen, funktioniert? Vertrauensvolle Zusammenarbeit, die Einsicht der Behörden in die Notwendigkeit und eben auch Geld, das zur Verfügung gestellt wird?

Poppert: Ich glaube, von allem etwas, was Sie eben genannt haben. Ich habe gestern mit der Leitung von der Ausländerbehörde gesprochen und sie sagten, vor allen Dingen ist es das Vertrauen. Die können zu uns Vertrauen haben und wir haben auch zu ihnen Vertrauen, dass, wenn sie sagen, wir können kommen, dass es keine Festnahme gibt und auf keinen Fall Abschiebehaft. Und in den 13 Jahren hat sich das auch bewährt. Und das andere ist, dass die Behörden untereinander sachlich und gut zusammenarbeiten. Wir haben noch das Amt für Wohnen und Migration, was für die Bezahlungen nachher wichtig ist und Krankenscheine, und die arbeiten gut mit der Ausländerbehörde zusammen ohne irgendwelche … Es knirscht nicht da im Getriebe.

Heise: Wie eng ist eigentlich die bundesweite Zusammenarbeit solcher oder ähnlicher Anlaufstellen? Versucht man da, sich auf eine Position zu einigen? Denn anonymer Krankenschein und das "Münchener Modell" liegen ja doch ziemlich weit auseinander. Gibt es Versuche, sich anzunähern, mit einer Stimme zu sprechen und dadurch mehr Kraft zu haben?

Poppert: Auf jeden Fall gibt es die Versuche, und wir haben auch einmal im Jahr ein Medinetz-Treffen, wo sich alle, die in dieser Richtung tätig sind, treffen. Aber eine einheitliche Stimme scheitert an den einzelnen Bundesländern. Mit Berlin geht es jetzt so, dass wir teilweise auf einer Linie sind, aber andere Bundesländer wollen da einfach nicht in dieser Richtung mitmachen.

Heise: Anonymer Krankenschein oder "Münchener Modell" der Zusammenarbeit: Versuche, Menschen ohne Papieren zu helfen. Birgit Poppert ist vom Bayerischen Flüchtlingsrat, Frau Poppert, vielen Dank für das Gespräch!

Poppert: Ja, gerne, danke schön, Frau Heise!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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