Wegbereiter der Diktatur

Rezensiert von Jochen Staadt · 07.08.2011
In "Ernst Thälmann - Soldat des Proletariats" räumt der Journalis Armin Fuhrer mit SED-Legenden über den KPD-"Führer" auf. Zugleich würdigt er in seiner kritischen Biografie Thälmanns Tapferkeit als Häftling im Nationalsozialismus.
Über 600 Straßen und Plätze in den neuen Bundesländern tragen seinen Namen. Wohl keinem demokratischen Politiker des 20. Jahrhunderts widerfährt eine solche Ehre in Deutschlands Osten, nicht einmal dem Gottvater des DDR-Sozialismus, Karl Marx. Für ihn zeugen rund 550 Straßen und Plätze. Ernst Thälmann gehörte in DDR-Zeiten mit Recht zu den großen Scheinheiligen des SED-Regimes. In seiner Zeit als KPD-Führer, in den 20er- frühen 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, durchliefen jene Männer ihre politische Sozialisation, die nach dem Krieg 40 Jahre lang die DDR beherrschten.

Zum engsten Kreis der KPD-Führer um Ernst Thälmann zählte vor 1933 Walter Ulbricht. Auch der junge Erich Honecker stand fest zur Politik des "Thälmannschen Zentralkomitees", wie er in seinen später verfassten Lebensläufen immer wieder hervorhob. Erich Mielke erschoss im Sommer 1931 mit einem Spießgesellen im Auftrag der Thälmann-Führung zwei sozialdemokratische Polizeibeamte auf dem Berliner Bülow-Platz. Und Ernst Thälmann war nicht nur ein ideologischer Wegbereiter der SED-Diktatur, er war zudem, wenn auch ungewollt, ein Wegbereiter des NS-Regimes. Thälmanns KPD trug mit ihrem Kampf gegen die parlamentarische Demokratie und die sie tragende Sozialdemokratische Partei erheblich zum Untergang der Weimarer Republik bei.

Armin Fuhrers Fazit dazu lautet daher:

"In der Rückschau kann Thälmann als einer der Wegbereiter Hitlers und seiner braunen Diktatur angesehen werden. Er öffnet dem selbsternannten 'Führer' nicht wie die reaktionäre, erzkonservative Politikerkaste um Franz von Papen, Alfred Hugenberg und die Hindenburg-Kamarilla die Tür der Reichskanzlei, aber er räumt ihm Hindernisse auf dem Weg dorthin beiseite."

Schon im März 1921 verkündete Ernst Thälmann sein antidemokratisches Credo, an dem er bis zum Machtantritt Hitlers festhielt:

"Diesen Staat bekämpfen wir so lange, bis er nicht mehr als Staat existiert. Wir machen daraus absolut keinen Hehl. Wir haben keine Veranlassung, in dieser oder jener Beziehung gegen diese oder jene Person schonend vorzugehen."

Als Vorsitzender des "Roten Front Kämpferbundes" strebte Thälmann die Vorherrschaft seiner Schlägertrupps über die Straßen in den Arbeitervierteln der großen Industriestädte Deutschlands an. Mehrere erfolglose Aufstands- und Putschversuche der KPD gegen die Weimarer Republik trugen seine Handschrift. Als der Staat, den er so unerbittlich bekämpfte, dann tatsächlich nicht mehr existierte, konnte sich Thälmann nur kurze Zeit im Berliner Untergrund versteckt halten, ehe er zwei Monate nach Hitlers Machtübernahme festgenommen wurde.

Am 14. August 1944 beschließen Hitler und Himmler die Ermordung des KPD-Führers. In der Nacht zum 18. August wird er vom Zuchthaus Bautzen in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht und durch einen Genickschuss exekutiert. Das gleiche Schicksal erleidet in jener Nacht der ehemalige SPD-Reichstagsabgeordnete Rudolf Breitscheid. Vor 1933 hatte Thälmann ihn und andere SPD-Führer als "Sozialfaschisten" unerbittlich bekämpft. Die Nacht des 18. August 1944 bezeugt die historische Tragik dieser wahnwitzigen politischen Verirrung der KPD.

Insgesamt neun biografische Werke zählt Armin Fuhrer auf, die bis 1989 den Thälmann-Kult der SED-Führung unter das DDR-Volk zu bringen versuchten und natürlich auch den vierstündigen DEFA-Film "Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse", der bereits in den 50er-Jahren in die Kinos kam. Schon der Titel des Propagandaschinkens war falsch. Thälmanns Vater Johannes war ein kleiner Gemüse- und Kohlenhändler, der es in Hamburg mit Fleiß und Ehrgeiz zu einem kleinbürgerlichen Auskommen gebracht hatte.

Armin Fuhrers kritische Biografie räumt mit den SED-Legenden über Ernst Thälmann auf. Zugleich würdigt Fuhrer in angemessener Weise Thälmanns Tapferkeit in der nationalsozialistischen Haft. Trotz Schlägen und Folter blieb Thälmann in seinen schwersten Stunden standhaft und verriet keinen seiner Mitstreiter. Sein großer Förderer Josef Stalin bemühte sich in der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes nicht um Thälmanns Freilassung. In gewisser Weise wurde Thälmann damit wie viele andere deutsche Kommunisten auch zu einem Opfer des Stalinismus.

Armin Fuhrer: Ernst Thälmann. Soldat des Proletariats
Olzog Verlag, München 2011
Buchcover: "Ernst Thälmann – Soldat des Proletariats" von Armin Fuhrer
Buchcover: "Ernst Thälmann – Soldat des Proletariats" von Armin Fuhrer© Olzog Verlag
Mehr zum Thema