Weg vom Drill

Von Ruth Kirchner · 25.09.2012
In chinesischen Kindergärten sind viel zu oft strenge Disziplin und Lernerfolge wichtiger als Spiel und Spaß. In Chinas Mittelklasse wächst der Widerstand gegen den Druck: In Nord-Peking haben einige Eltern zur Selbsthilfe gegriffen - und ihren eigenen Kindergarten aufgemacht.
Der Kindergarten Xing Fu Zhijia oder "Glückliches Haus" in Nordwest-Peking. Im Erdgeschoss albern Kinder auf Klettergerüsten herum, eine Kindergärtnerin liest anderen was vor. Es herrscht kreatives und lautes Chaos unter den Drei-, Vier- und Fünfjährigen. Der 22-jährige Zheng Shaopeng tobt mit den Kleinen herum, nimmt sie auf den Arm, bringt sie zum Lachen.

"Im Vergleich mit einem traditionellen chinesischen Kindergarten geht es bei uns vielmehr darum, die innere Entwicklung der Kinder zu fördern. In traditionellen Kindergärten müssen Kinder oft mit den Händen hinter dem Rücken auf den Stühlen sitzen. Hier aber reden uns alle mit Vornamen an, wir sind Freunde. Wir schaffen eine freie Atmosphäre für Kinder."

Was an die Kinderladen-Atmosphäre im Deutschland der 70er- und 80er-Jahre erinnert, ist für China noch völlig neu. Mutter He Jingyan hofft, im "Glücklichen Haus" endlich die richtige Einrichtung für ihren dreijährigen Sohn Tian Haoyu gefunden zu haben.

"Dieser Kindergarten ist gut für die Entwicklung meines Sohnes. Im traditionellen Kindergarten war er total unglücklich und hat sich nicht einmal getraut, seinem Lehrer Bescheid zu sagen, wenn er auf Klo musste. Zum Schluss hatte er richtige Angst. Kleine Kinder müssen doch glücklich und gesund aufwachsen. Es ist nicht so wichtig, was sie lernen. Ich hoffe er kann sich hier besser entwickeln."

Mutter He ist mit ihrer Meinung nicht allein. In Chinas wachsender Mittelklasse wächst der Widerstand gegen den Druck und den Drill in den Schulen, der oft schon im Kindergarten anfängt.

So wie in dieser Einrichtung im Osten Peking. Fünfjährige rezitieren Gedichte aus der Ming- oder Tangzeit. Für Englisch-Stunden müssen schon Dreijährige oft lange stillsitzen; und sie sollen die ersten chinesischen Schriftzeichen lernen - zum Spielen bleibt dann meist keine Zeit. All das soll ihnen später eine bessere Startposition in der Schule sichern. In einigen chinesischen Provinzen, etwa im südostchinesischen Jiangsu, haben die Behörden den Kindergärten zwar verboten, die Kinder mit zuviel Lehrstoff zu überfordern. Aber Eltern, die alternative Lernmethoden suchen, haben oft wenig Auswahl.

In Nordwest-Peking, im Stadtteil Huilongguan rund um das "Glückliche Haus", haben sich Eltern daher übers Internet zusammengefunden und ihren Kindergarten selbst organisiert, erzählt Koordinator Xu Shi. Doch Selbsthilfe ist - wie überall - nicht immer einfach:

"Letztes Jahr im Mai hat jemand das Projekt vorgeschlagen, bis September gab es dann unzählige Treffen der Eltern, aber irgendwie konnte man sich nie einigen. Schließlich haben sie mich gebeten, das Projekt zu organisieren."

Rund 70 Kids hat der Kindergarten bislang aufgenommen, für mehr haben sie keinen Platz. Für mehr Spiel, Spaß und Freiheit für ihre Kinder sind die Eltern vom "Glücklichen Haus" bereit tief in die Tasche zu greifen: Rund 200 Euro kostet ein Kindergartenplatz im Monat, bei einem Durchschnittseinkommen in Peking von etwa 550 Euro pro Monat ist das viel Geld. Trotzdem wird die Warteliste im "Glücklichen Haus" immer länger, schon sucht der Kindergarten nach neuen, größeren Räumen. Und noch mehr Platz zum Spielen und Toben.


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