Wechsel in die Wirtschaft

SPD-Politiker plädiert für lange Karenzzeiten

16.01.2014
Vor einem Wechsel in die Wirtschaft sollten Politiker zwei oder drei Jahre Pause einlegen, fordert der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, der Bundestag sei eine "Kaderschmiede für Lobbyisten". Insgesamt brauche es mehr Transparenz.
Jörg Degenhardt: Ein Seitenwechsel als Problemphase, seit Wochen geht es hin und her! Der mögliche Wechsel des früheren Kanzleramtsministers Pofalla in den Vorstand der Deutschen Bahn sorgte in der Nachrichten-ärmeren Zeit für einigen Wirbel. Heute befasst sich der Bundestag sogar mit dieser Frage, nämlich: Dürfen Politiker ganz ohne Karenzzeit ihr Wissen aus dem einen Job in einen neuen einbringen, den sie vielleicht ohne ihre frühere Tätigkeit nie bekommen hätten? Marco Bülow sitzt für die SPD im Deutschen Bundestag, er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Die Lobby-Republik". Er kennt sich also aus mit den Wechseln. Guten Morgen, Herr Bülow!
Marco Bülow: Ja, schönen guten Morgen!
Degenhardt: Wo ist denn – Beispiel Pofalla – das Kritikwürdige, wo ist der Lobbyismus? Der Mann will in ein Staatsunternehmen, nicht in die freie Wirtschaft wechseln!
Bülow: Na ja, aber im Endeffekt ist das das Gleiche oder es hat vielleicht sogar noch mehr Geschmäckle, weil wir ja dann doppelt verantwortlich sind. Es gibt, glaube ich, zwei Bereiche, wo es problematisch ist. Also, es ist nicht problematisch, dass ein Politiker nach seiner Karriere in die Wirtschaft geht. Und zu 99,9 Prozent sind diese Wirtschaftsposten ja auch klar definiert und haben nichts mit Lobbyismus zu tun. Wenn aber ein Mann nicht wegen seiner ökonomischen Kompetenz, sondern deswegen, weil er die Kanzlerin gut kennt, weil er die Handynummer von sämtlichen Staatssekretären hat und gut vernetzt ist in der ehemaligen Regierung, wechselt zu einem Unternehmen, dann ist das natürlich ein großes Problem, weil, viele andere Unternehmen können sich dann so einen nicht leisten und dann gibt’s eine Wettbewerbsverzerrung. Und der wird also genommen, weil er praktisch gute Lobbyarbeit machen kann.
Und deswegen, glaube ich, muss nicht untersagt werden, dass Minister und Staatssekretäre in die Wirtschaft wechseln, sondern dass sie in den Bereich der Wirtschaft wechseln, wo Lobbyismus praktiziert wird. Weil, das, denke ich, ist ungerecht gegenüber allen anderen Unternehmen. Und es ist problematisch, weil im Endeffekt er jetzt ja immer noch sitzt im Bundestag und damit eigentlich dann zwei Dienstherren sozusagen dient. Und wenn man im Bundestag sitzt oder in der Regierung sitzt, dann sollte man vor allen Dingen erst mal dem Volk dienen und nicht einem Unternehmen hörig sein.
"Er vergisst ja nicht so schnell die Nummern"
Degenhardt: Das heißt im konkreten Fall Pofalla: Herr Pofalla sollte alle seine Telefonnummern vergessen, die Notizbücher verbrennen und sein Abgeordnetenmandat niederlegen, dann wäre die Sache in Ordnung?
Bülow: Dann würde ich sagen, nach einer Karenzzeit kann er das machen. Aber er ist ja dann immer noch interessant und er vergisst ja nicht so schnell die Nummern, deswegen muss es eine Karenzzeit geben zwischen seinem Amt und dem neuen Amt, wenn da Lobbyismus …
Degenhardt: Wie groß sollte diese Karenzzeit sein?
Bülow: Da streiten sich die Gelehrten. Die SPD hat 18 Monate vorgeschlagen, das halte ich für ein Minimum. Lobbycontrol und andere sagen, zwei oder drei Jahre, das wäre sicherlich noch sinnvoller.
Degenhardt: Die Union möchte deutlich weniger!
Bülow: Ja, die Union möchte deutlich weniger. Nur, ich glaube, alles, was weniger als 18 Monate ist, führt nur dazu, dass er irgendwo zwischengeparkt wird und letztendlich dann trotzdem den Job so machen kann. Allerdings wäre es immerhin ein Einstieg, wenn wir überhaupt mal eine Karenzzeit bekommen, deswegen bin ich froh, dass es die Debatte jetzt gibt. Es gab ja nun ganz viele, die das gemacht haben schon in den letzten Jahren oder in der letzten Zeit, ohne dass es darüber eine Diskussion gab in der Öffentlichkeit.
Degenhardt: Herr Bülow, macht es für Sie eigentlich einen Unterschied, ob ein früherer Kanzleramtsminister für ein deutsches Staatsunternehmen arbeitet in Zukunft, oder ob sich ein früherer Bundeskanzler aus den Reihen Ihrer Partei in den Dienst eines russischen Gasunternehmens begibt?
Bülow: Nein, das ist kein Unterschied, das ist beides kritikwürdig und darf beides nicht passieren. Der einzige Unterschied, den es gab, ist, dass da bei dem einen zumindest dann alle Ämter niedergelegt waren, bevor man das gemacht hat, und das ist bei Herrn Pofalla und das war auch bei Herrn Klaeden nicht der Fall. Da kann man dann leider noch davon ausgehen, dass er sogar noch befangen ist in vielen Entscheidungen oder vielleicht noch bestimmte Entscheidungen herbeiführt, die seinem neuen Arbeitgeber gefallen, und das geht natürlich nicht. Aber ansonsten ist beides gleich kritikwürdig.
"Es gibt einiges, was da noch zu regeln ist"
Degenhardt: "Die Lobby-Republik" heißt Ihr Buch, das Sie geschrieben haben. Es gibt also nicht nur ein Dutzend Pofallas in diesem Land, sondern deutlich mehr. Aber wir leben schon noch in einer Demokratie und nicht in einer Lobbykratie?
Bülow: Ja, das tun wir. Weil, ich glaube, die meisten Bundestagsabgeordneten sehen wirklich ihren Job als Volksvertreter als die eigentliche Berufung an und haben keine Nebenjobs, haben keine Nebentätigkeit und wollen auch nicht jetzt eins zu eins irgendwo anders hin wechseln. Aber es häufen sich leider die Fälle wie Pofalla, sodass man natürlich in der Öffentlichkeit so ein bisschen die Angst hat, dass wir hier eine Kaderschmiede für Lobbyisten werden und dass die Abgeordneten in den Bundestag gehen, um sich einen Namen zu machen, um dann einen hoch dotierten Job in der Wirtschaft zu bekommen. Das darf nicht passieren und deswegen müssen Regeln her!
Degenhardt: Ihre Partei hat im Wahlkampf versprochen, dem Lobbyismus den Kampf anzusagen. Müssten Sie dann nicht darauf drängen, dass der Bundestag entsprechende Gesetze beschließt? Jetzt sieht ja alles nur nach einem Kabinettsbeschluss aus.
Bülow: Ja, das halte ich auch für zu wenig. Ich befürchte, dass mit der Union nicht mehr zu machen war. Ich halte es auch für zu wenig, dass wir immer noch kein verbindliches Lobbyregister haben, auch da konnten wir uns bei den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen. Da muss die SPD am Ball bleiben, da muss uns die Opposition auch treiben und auch die Öffentlichkeit, damit das in der Union da auch endlich ein Einsehen gibt. Es gibt einiges, was da noch zu regeln ist, also Lobbyregister, die Karenzzeit, die dann auch eben nicht nur durch Kabinettsbeschluss, sondern eben wirklich auch am Bundestag beschlossen wird und möglichst eben über zwölf Monate andauert.
Wir müssen insgesamt mehr Transparenz haben, was die Gesetze angeht, so eine Art Footprint in den Gesetzen, wer wo wie mitgearbeitet hat. Also, da gibt es noch eine Menge zu tun, wir stehen da, glaube ich, erst am Anfang. In der SPD gab es dieses Umdenken in den letzten Jahren, auch da hat es ein bisschen gedauert, bei der Union fängt das jetzt leider erst an, aber da muss man eben die dicken Bretter bohren. Ich bin sicher, dass das irgendwann dann kommen wird.
"Es geht nicht darum, Lobbyismus zu verteufeln"
Degenhardt: Aber wir sind uns schon einig: Einen Austausch zwischen Politik und Wirtschaft, den sollte es schon geben?
Bülow: Ja, natürlich, den muss es sogar geben und wir sind darauf angewiesen. Es geht auch nicht darum, Lobbyismus zu verteufeln. Es geht immer darum, dass man einen Wissensaustausch braucht und dass natürlich die Unternehmen auch sagen sollen, wo ihnen der Schuh drückt und welche Gesetze sie vielleicht nicht für richtig halten. Was das Problem ist, dass es keine Waffengleichheit gibt. Es gibt einige wenige große Unternehmen, die sich eben Politiker einkaufen können, die dann hinterher bei ihnen arbeiten für hohes Salär, die unglaublich viele Lobbyisten haben, die einem hier fast auf dem Schoß sitzen, tolle Essen ausrichten können und wirklich eine große Beeinflussungsmöglichkeit haben.
Und auf der anderen Seite gibt es viele Mittelständler und kleine Unternehmen, die vielleicht höchstens ihren lokalen Abgeordneten mal zum Gespräch bekommen, die nicht ein und aus gehen im Kanzleramt und in den Ministerien. Und diese Waffenungleichheit führt einfach zu einer Wettbewerbsverzerrung auf dem Markt, und das geht nicht, das muss man unterbinden. Das ist übrigens nicht nur im Sinne der Bevölkerung, das ist vor allen Dingen im Sinne der meisten, die in der Wirtschaft arbeiten. Ich kenne da viele kleine Unternehmen, die besonders erbost darüber sind, wie Lobbyismus funktioniert.
Degenhardt: Die heiklen Wechsel von der Politik in die Wirtschaft, darüber habe ich gesprochen mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Marco Bülow, Autor des Buches "Die Lobby-Republik". Vielen Dank!
Bülow: Ja, ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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