Wechsel des Bundeslandes

Neckarsteinach will weg aus Hessen

Ein Schiff fährt auf dem Neckar an Neckarsteinach vorbei.
Das südhessische Neckarsteinach will badisch werden - aus Finanzgründen. © dpa / Uwe Anspach
Von Michael Brandt und Ludger Fittkau · 23.01.2015
Neckarsteinach, eine kleine hessische Gemeinde, möchte baden-württembergisch werden. Der Grund: Die Kommunen dort haben viel mehr Geld. Die Landesregierung in Stuttgart fühlt sich von dem Wechselwillen der Hessen geehrt, ist aber skeptisch.
Herold Pfeifer sieht nicht aus wie einer, vor dem sich die hessische Landesregierung fürchten müsste. Ein rundes und freundliches Gesicht, lebendige Augen. Typ menschenfreundlicher Studienrat. „Ich bin angetreten als einer für uns, als einer von uns." Das hatte der 59 Jahre alte Sozialdemokrat von drei Jahren gesagt. Als er zum Bürgermeister des 3800 Einwohner-Ortes Neckarsteinach gewählt wurde. Mit diesem Appell ans „Wir-Gefühl" meint Herold Pfeifer die Menschen im hessischen Neckartal, nicht im ganzen Bundesland. Noch gehört Neckarsteinach zu Hessen. Doch Pfeifer will das ändern. Er will seine Bürger über einen Wechsel nach Baden-Württemberg abstimmen lassen:
"Neckarsteinach hat das Problem: Wir liegen in einer Exklave. Wir liegen mitten in Baden-Württemberg."
Doch Neckarsteinach wird eben vom fernen Wiesbaden aus regiert. Die hessische Landesregierung will Kommunen wie Neckarsteinach jetzt dazu zwingen, Grundsteuern zu erhöhen und bei öffentlichen Angeboten wie der Stadtbibliothek zu sparen. Und: Erhoffte Fördergelder aus Wiesbaden kommen nicht. Herold Pfeifer fühlt sich mit seinen maroden Finanzen allein gelassen.
Deswegen wird der freundliche Bürgermeister jetzt doch zum Rebellen. Weil er mit seiner Stadt in das Bundesland auf der anderen Neckarseite wechseln will. Nach Baden-Württemberg.
"Wir haben baden-württembergische Kommunen außen rum, mit denen wir konkurrieren müssen und wir liegen mitten drin und nicht am Rande und nicht mitten in Hessen. Das ist unser Problem."
Neckargemünd liegt auf der anderen Neckarseite und gehört folglich zu Baden-Württemberg. Ansonsten unterscheiden sich die Neckargemünder und die Neckarsteinacher kaum, die Menschen verstehen sich weder als Badener noch als Hessen, sondern vor allem als Kurpfälzer, und über den Neckar verstehen sie sich sowieso gut, so Horst Althoff, der Bürgermeister von Neckargemünd:
"Es gibt einen sehr regen Austausch zwischen beiden Gemeinden. Es gibt enge Kontakte der Vereine, es gibt auch Mitglieder in Neckargemünder Vereinen, die in Neckarsteinach wohnen, sicher auch umgekehrt. Es wird geheiratet über den Neckar hinweg. Und auch zusammengefeiert und zusammen gearbeitet. Wir haben nicht weniger Arbeitnehmer in Neckargemünd, die in Neckarsteinach wohnen, das wird umgekehrt genauso sein."
"Ein Riesenkompliment für Baden-Württemberg"
Und deshalb würde sich Althoff auch herzlich freuen, wenn die Nachbargemeinde nach Baden-Württemberg kommt. Auch wenn der Neckarsteinacher Kollege ein Roter ist und Althoff ein Schwarzer, verstehen sich die beiden Bürgermeister bestens:
"Und deshalb habe ich keinen Hehl daraus gemacht, würde es mich als Neckargemünder Bürgermeister freuen, wenn die Neckarsteinacher irgendwann zu unserem Bundesland kommen - wohl wissend, dass dies ein sehr schwerer Weg ist."
Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann.
Bleibt Neckarsteinach in Hessen oder kommt es rüber? Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann würde ich über Zuwachs für sein Bundesland freuen, aber er glaubt nicht daran.© Jens Büttner, dpa
Und hier wiederum hat der schwarze Bürgermeister etwas gemeinsam mit dem grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Auch er würde sich freuen, wenn die Gemeinde ins Ländle kommt.
"Wir fühlen uns in einem Höchstmaß geehrt, ist ja ein Riesenkompliment für Baden-Württemberg."
Aber: Auch er hat seine Zweifel, ob das klappen kann, die Hoffnung darauf sei, so Kretschmann
"Gering, der Bouffier wird nichts hergeben."
Aber dennoch hat man nicht zuletzt nach diversen Nachfragen von Journalisten im zuständigen Innenministerium einmal nachgeschaut, wie es denn funktionieren könnte, wenn eine Kommune das Bundesland wechselt. Amtschef Herbert Zinell ist zuständig für alles, was mit Verwaltung zu tun hat und verweist zunächst mal auf das Grundgesetz:
"Die Gemeinde hat ja keine 10.000 Einwohner, deshalb gehe ich davon aus, dass man den Weg eines Staatsvertragens zwischen Hessen und Baden-Württemberg wählen wird. Der Staatsvertrag würde voraussetzen, dass natürlich die Landesregierung und das Landesparlament zustimmen. Und der Gesetzgeber, der diesen Artikel ausformuliert hat, geht davon aus, dass auch die betroffene Gemeinde gehört wird, das heißt, dass die Bevölkerung auch befragt wird."
Also eine Volksbefragung in Neckarsteinach, und ein Staatsvertrag, der von der oder den Landesregierungen erarbeitet wird, und dem dann die Landesparlamente zustimmen müssen. Nicht einfach, aber auch nicht unmöglich, wenn der politische Wille da ist.
Das Stadtparlament schaut neidisch über die Grenze
Dann wäre Hessen ein bisschen kleiner, Baden-Württemberg ein bisschen größer, vor allem aber ginge es der Gemeinde voraussichtlich besser, denn die finanzielle Ausstattung der Kommunen ist im Südwesten besser, so Herbert Zinell
"Die baden-württembergischen Kommunen sind im bundesweiten Vergleich sicher nicht diejenigen, die am meisten zu klagen haben. Sie tragen nicht mehr so viel zur Schuldenlast des Landes bei, sie bekommen Geld für die frühkindliche Erziehung und da sind wir sicherlich Spitze im Bundesvergleich. Insofern kann ich nachvollziehen, dass mancher Kommunalpolitiker neidvoll auf Baden-Württemberg. schaut."
Nicht nur Bürgermeister Herold Pfeifer schaut neidvoll vom noch hessischen Neckarsteinach ins benachbarte Baden-Württemberg. Sondern das gesamte Stadtparlament. Es hat eine gemeinsame Resolution geschrieben. Um Wiesbaden zu zeigen, dass der SPD-Bürgermeister nicht alleine steht mit seinem Vorhaben. Denn die hessische Staatskanzlei reagierte schroff auf Herold Pfeifer, warf ihm Parteipolitik vor und will Neckarsteinach nicht ziehen lassen.
Auf der Straße vor dem Rathaus treffen wir Martin Petter. Er ist Stadtverordneter der Grünen in Neckarsteinach. Seine Partei regiert seit einem Jahr in Hessen gemeinsam mit der CDU. Martin Petter ärgert sich trotzdem über die Politik der Wiesbadener Regierung – und schaut sehnsüchtig nach Baden-Württemberg:
"Es ist einfach so, wir haben quasi nur Nachteile von Hessen. Erstmal ist der Finanzschlüssel so schlecht, es wird alles in die großen Metropolen reingepumpt. Und das flache Land – hier kommt zu wenig an. Wir leben hier weiß Gott nicht auf großem Fuß. Aber wir haben eine Stadtbücherei und wir haben einen Kindergarten, einen eigenen. Und was wir uns gönnen ist ein Weihnachtsmarkt und einen Tag des Gastes. Und das ist alles. Sollen wir das alles abschaffen, bloß damit wir den Haushalt sanieren?"
Die Schwarz-grüne Landesregierung in Wiesbaden bereitet gerade eine Reform des kommunalen Finanzausgleichs vor. Einerseits will sie die Kommunen dazu bewegen, mehr zu sparen. Anderseits werden Städte wie Neckarsteinach dazu gezwungen, höhere Sätze für die Grundsteuern zu erheben. Martin Petter:
"Unter Protest – und zwar einstimmig – haben wir das unter Protest gemacht. Weil wir ja einfach rundherum gegen die badischen Gemeinden konkurrieren müssen. Und die haben alle wesentlich niedrigere Hebesätze. Das bedeutet: Wer sich hier ansiedeln will, ob Private oder Gewerbebetriebe, die würden eher Baden vorziehen. Und irgendwann bluten wir hier aus."
Es gibt nur noch wenige Gefühlshessen in Bad Wimpfen
Der Aufschrei aus Neckarsteinach ist zwar ungewöhnlich, aber einmalig ist der Fall nicht. Denn vor mittlerweile 63 Jahren gab es schon eine Neckargemeinde, die erst hessisch war und dann baden-württembergisch wurde. Es geht um Bad Wimpfen, 15 Kilometer nördlich von Heilbronn, 40 Kilometer südlich der Landesgrenze. Bad Wimpfen gehörte seit dem Reichsdeputationshauptschluss im Jahr 1803 als Exklave zum Großherzogtum Hessen, so der Wimpfener Stadtarchivar Günther Haberhauer:
"Die Wimpfener waren immer eigentlich treue Untertanen, die haben bereits 1803 mit einem großen Aufwand den Geburtstag des Großherzogs gefeiert. So ging es eigentlich weite bis zum Ersten Weltkrieg. Der Krieg bewirkte dann unter anderem den Zusammenbruch der Großherzogswürde. Wimpfen gehörte dann zum sogenannten Volksstaat Hessen."
und dabei ging der Exklave gar nicht schlecht, berichtet der Archivar. Es war zwar umständlich, zur nächsten Kreisstadt Heppenheim zu kommen, aber dafür schauten die Hessen auch nicht so genau hin, was im Wimpfen passierte, - und damit ließ es sich gut leben.
"Man kann es ein bisschen flapsig sagen, die Wimpfener fühlten sich insofern wohl mit diesem Exklavendasein, als sie so ein bisschen eine Randerscheinung waren. das heißt also, die großen Ämter waren weit, niemand hat so genau hingeschaut, man konnte so ein wurschteln. Es kam niemand und hat reingeredet, das war so, es war so ein kleiner Landkreis."
Nach dem zweiten Weltkrieg aber machte Besatzungsmacht USA kurzen Prozess mit dem Exklavendasein und schlug die Gemeinde per Dekret dem badischen Landkreis Sinsheim zu, was in dem Ort für einen Aufschrei sorgte. Es gab Unruhe und schließlich wurde 1951 eine Volksabstimmung angesetzt, ob die Bürger der ehemaligen Reichsstadt nun zu Hessen, Baden oder Württemberg gehören wollen. Das Ergebnis war knapp:
"Wir hatten am Ende des zweiten Weltkrieges etwa 3500 Einwohner in Wimpfen. Da waren die meisten gefühlsmäßig Hessen. Nun kamen 1945 1100 Flüchtlinge und Heimatvertriebene hinzu. Die fanden Arbeit in Neckarsulm, in Heilbronn, das heißt im Württembergischen und die hatten mit diesem Exklavendasein überhaupt nichts am Hut."
Und ihre Stimmen gaben am Ende den Ausschlag, mit 400 Stimmen Mehrheit kam Wimpfen in den württembergischen Landkreis Heilbronn. Aber seitdem ist es den Wimpfenern gut ergangen - nicht zuletzt natürlich wegen der finanziellen Ausstattung der Kommunen in Baden-Württemberg. Und so ist 60 Jahre nach der Hessenzeit nur noch wenig Sehnsucht geblieben, so Stadtarchivar Haberhauer:
"Da sind jetzt so viele Jahre vergangenen. Es gibt natürlich noch ein paar über 90 jährige gefühlsmäßige Hessen, aber man sieht das mittlerweile völlig entspannt diese Geschichte."
Neue Gespräche über Reform des Finanzausgleichs
Aber kurios bleibt dieser Teil der Geschichte, denn bis heute gibt es noch keinen Staatsvertrag, der den Übergang der Stadt von Hessen nach Baden-Württemberg regelt, so dass man, wenn man es ganz genau nehmen würde, noch heute behaupten könnte, dass Wimpfen hessisch ist:
"Wir hatten vor ein paar Jahren Koch und Teufel, die beiden damaligen Ministerpräsidenten hier zu Besuch und da wurde dieses Problem angesprochen. Aber man geht heute salopper damit um. Denn der Status Quo ist eindeutig: Wimpfen ist württembergisch."
Und Neckarsteinach? Wird wohl erst einmal Hessisch bleiben. Anders als im Fall Bad Wimpfen will die hessische Landesregierung hier Härte zeigen. Und ohne einen Beschluss des Landtages in Wiesbaden kann er mit seiner Stadt nicht die gewünschte Liaison mit Baden-Württemberg eingehen. Das weiß auch Bürgermeister Herold Pfeifer:
"Über diese Liaison haben nicht wir zu entscheiden, etwa über einen Volksentscheid hier in Neckarsteinach."
Sondern letztendlich der hessische Landtag und der wird dies nicht tun. Doch: In den nächsten Wochen will Wiesbaden noch einmal mit den Gemeinden über die geplante Reform des kommunalen Finanzausgleichs reden. Der Aufschrei des rebellischen Bürgermeisters von Neckarsteinach wirkt wie ein Weckruf für die hessische Landesregierung. Sie muss sich mehr um die Kommunen an der Peripherie des Landes kümmern. Auch um die frustrierte hessische Exklave im fast vollständig baden-württembergischen Neckartal.
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