"We want Sex!"

Von Hans-Ulrich Pönack · 12.01.2011
Der stimmungsvolle, feminine Leinwand-Aufstand "We want Sex" von Nigel Cole beweist erneut, dass niemand Politisches so glaubhaft und berührend verfilmen kann, wie die Briten: der erste Frauenstreik im Vereinigten Königreich als punktgenaue Unterhaltung mit Ironie und Denkanreiz.
"We want Sex" von Nigel Cole (B: William Ivory; GB 2010; 113 Minuten); heißt im Original "Made in Dagenham”. Der deutsche Titel bezieht sich auf ein Plakat, das ganz ausgerollt "We Want Sex-Equality", also "Wir wollen Gleichberechtigung", lautet. Der 51-jährige Brite Nigel Cole kommt vom Theater und war beim Fernsehen, bevor er sich mit seinen beiden fantastischen Frauen-Filmen "Grasgeflüster" (2000; mit Brenda Blethyn) und vor allem "Kalender Girls" (2003; mit Helen Mirren und Julie Waters) in die vordere Riege britischer Regisseure brachte. Und auch hier stellt er eine bemerkenswerte Heldin und großartige Darstellerin in den Fokus einer auf authentischen Fakten basierenden englischen Global-Geschichte: Rita O'Grady alias Sally Hawkins ("Happy-Go-Lucky", Silberner Berlinale-Darstellerinnen-Bär 2009).

Wir befinden uns im Aufbruchsjahr 1968. Zu jener Zeit waren die Ford-Werke im Londoner Vorort Dagenham die größte Fabrik Europas. Mit rund 55.000 männlichen Arbeitern, die pro Jahr eine halbe Million Autos bauten. Frauen waren nur einige wenige angestellt, genauer gesagt 187. Sie nähten die Autositze zusammen. Ihre Arbeitsbedingungen waren allerdings grottig. Als wir sie das erste Mal erblicken, sitzen sie in einer unwirtlichen großen Halle in Unterwäsche an den Nähmaschinen, weil es so warm und stickig ist.

Doch sie nehmen ihre Arbeitssituation mit Humor - sie kennen es nicht anders. Jetzt sind sie aufgebracht, hat man doch ihre Arbeit seitens der Firmenleitung in den Status von "Ungelernten" zurückgestuft. Dabei sind sie zumeist besser ausgebildet als viele der ungelernten Männer. Und bekommen dennoch einen viel niedrigeren Lohn. Die männlichen Gewerkschaftsoberen wollen sich wieder einmal mit der Geschäftsleitung arrangieren. Bis auf Gewerkschaftsvertreter Albert (wunderbar hintergründig-verschmitzt: Bob Hoskins, "Rififi am Karfreitag"; "Falsches Spiel mit Roger Rabbit"), der sie insgeheim anstachelt. Was bei Näherin Rita (Sally Hawkins) auf fruchtbaren Boden fällt.

Sie entpuppt sich wider Erwarten als wortgewandt und clever und mit gesundem Menschenverstand ausgestattet. Rita sorgt mit dafür, dass es zum ersten Frauenstreik in der britischen Geschichte kommt. Anfangs belächelt, dann verwundert, dann empörend zur Kenntnis genommen. Doch der "Schwellenbrand" lässt sich nicht mehr aufhalten. Der Streik weitet sich immer weiter aus, sodass Ford keine Autos mehr ausliefern kann. Dadurch werden auch Tausende von Männern vorübergehend arbeitslos. Dagenham wird plötzlich zum nationalen Krisen-Brennpunkt.,zum Politikum, erreicht höchste politische Dimensionen: in Großbritannien wie in den USA. Mittendrin die energischen Fabrik-Frauen um die charismatische Rita O´Grady.

Was sich möglicherweise wie ein trockenes Arbeiterinnenstück mit rebellischer "Fahnen-Romantik-Botschaft" anhört, ist in Wirklichkeit eine fulminante, köstliche wie typisch-britisch-lockere, warmherzige Sozialkomödie, in der prächtigen Unterhaltungstradition von Hits wie "Ganz oder gar nicht" oder "Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten". Das ereignisreiche, engagierte, anstrengende Leben kleiner Leute, die den Begriffen von Solidarität und Gemeinschaft Leben einhauchen. Und wie!

Das ist der springende, emotionale wie gesellschaftspolitische Pluspunkt und symbolhafte Charakter dieses stimmungsvollen, femininen Leinwand-Aufstands, der einst viel bewirkt hat. Und es allemal wert ist, so bitterfein-punktgenau wie fein-ironisch filmisch nacherzählt zu werden. Weil die Mechanismen von chauvinistischem Macho-Gebaren und schlechterer Frauenbezahlung bei gleichrangiger Arbeit sowohl gedanklich, wie tatsächlich, bis heute anhalten. Und weil dies zugleich ein grandioses Zeitreise-Movie in eine spannende End-1960er-Epoche ist:

Mit einer entspannten Kamera (von John de Borman), einem treffsicheren Klasse-Gefühls-Blick für Raum, Ausstattung, Kostüme. Mit einer passenden Soundtrack-Begleitung (von David Arnold) sowie mit einem herrlichen wie unaufdringlichen starken Weiber-Ensemble, das bis in die kleinsten Nebenfiguren stimmig besetzt ist. Und natürlich mit der sanften Sally Hawkins eine überzeugende, exzellente Leaderin besitzt.

Es bleibt dabei: Vor allem die Briten vermögen so etwas Politisches so klug, also nahegehend, so berührend, wie angenehm realistisch zu vermitteln. So glaubhaft. So überzeugend. "We want Sex" ist Klasse pur. Ein ganz und gar prima-unterhaltsamer Denkfilm.

Großbritannien 2010, Originaltitel: "Made in Dagenham", Regie: Nigel Cole, Darsteller: Sally Hawkins, Bob Hoskins, Miranda Richardson, Geraldine James, Rosamund Pike, Andrea Riseborough, Jaime Winstone, Daniel Mays, ab 6 Jahren, 112 Minuten

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