Wasser für Millionen

Moderation: Ute Welty · 11.03.2013
Täglich sterben in den wasserarmen Regionen der Welt Tausende von Menschen. Gleichzeitig macht der Schweizer Nestlé-Konzern Millionengewinne mit teurem Flaschenwasser. Urs Schnell kritisiert das Wassergeschäft, nicht zuletzt, weil es den moralischem Anspruch von Nestlé widerspricht.
Ute Welty: Vittel, San Pellegrino, Pure Life – wenn Sie irgendwo auf der Welt eine dieser Flaschen kaufen, klingelt die Kasse bei Nestlé in der Schweiz. Insgesamt 70 Wassermarken nennt der Konzern sein eigen und wandelt damit nicht Wasser in Wein, sondern in satte Gewinne. Darüber freuen sich die Aktionäre, die Details heute in der Hauptversammlung erfahren. Weniger erfreut zeigt sich der Regisseur Urs Schnell, der das Geschäftsgebaren von Nestlé für den ARTE-Film "Bottled Life" durchleuchtet hat. Guten Morgen, Herr Schnell!

Urs Schnell: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Wie groß ist das Geschäft, das Nestlé mit Wasser macht?

Schnell: Die neuesten Zahlen, die liegen bei 7,2 Milliarden Schweizer Franken – das sind über sechs Milliarden Euro – nur mit dem Wasser. Das ist eine happige Zahl und das ist mehr als 30 Prozent des Weltanteils des gesamten Flaschenwasser-Weltanteils.

Welty: Wie sehr zerrt Nestlé damit am jeweiligen Haushaltsbudget derjenigen, die dieses Produkt kaufen oder kaufen müssen?

Schnell: Das kommt sehr auf die Einstellung, auf die Haltung und auf das Bewusstsein des einzelnen Konsumenten an. Wenn Sie das Gefühl haben, Sie haben in Deutschland schlechtes Hahnenwasser, dann lassen Sie die Kassen bei Nestlé und anderen Flaschenwasser-Konzernen klingeln. Wenn Sie das Gefühl haben, Sie haben ein gutes Wasser, dann kaufen Sie gar kein Flaschenwasser. Anders ist es natürlich in der Welt des Südens. Dort ist die Situation komplexer.

Welty: Vor allen Dingen auch, wenn man nach Afrika, wenn man nach Nigeria schaut.

Schnell: Ja. Das muss nicht nur in Nigeria sein, das kann überall dort sein, wo die Staaten, die Regierungen für die öffentlichen Infrastrukturen kein Geld aufwenden, und das ist fast überall in der Dritten Welt so: Pakistan, Nigeria und so weiter. Und das heißt: Die Qualität des Trinkwassers ist dann so schlecht, dass da ganz viele Krankheiten entstehen, Kinder sterben schon früh wegen des schlechten Wassers, und da kaufen Leute, die sich das einigermaßen leisten können, natürlich Wasser in Flaschen und womöglich eben Flaschenwasser von Schweizer Konzernen, weil da ein gutes Image dahinter ist.

Welty: Testmarkt für Pure Life beispielsweise ist Pakistan. Mit welchen Auswirkungen auf das Leben der Menschen dort?

Schnell: Das war vor über 15 Jahren, als Nestlé zum ersten Mal in der Dritten Welt ein solches Flaschenwasser lancierte. Das hat innerhalb eines Jahres 50 Prozent Marktanteil am Flaschenwasser-Markt in Pakistan gemacht. Und wer sich in Pakistan das leisten kann, der kauft dieses Pure Life. Das ist die Nummer eins auf der ganzen Welt. Ein Wasser, das sicher sicher ist, aber das natürlich die Konsumgewohnheiten insofern verändert, dass alle Mittelklasse- und Oberklassenleute das kaufen und sich gar nicht mehr scheren, ob das Hahnenwasser aus den Leitungen gut oder schlecht ist.

Welty: Befürchtet wird ja auch, dass Ähnliches in Deutschland passiert, denn Deutschland ist ja ein sehr wasserreiches Land. Halten Sie das für wahrscheinlich?

Schnell: Europa ist in einer guten Situation mit dem Alpenregen, mit den vielen Quellen, mit den großen Flüssen, die Grundwasser speisen. Also wir sind in einer anderen Situation als in der Dritten Welt. Und es ist einfach absurd, wenn in Deutschland oder der Schweiz oder in Frankreich Leute Flaschenwasser kaufen, wenn sie tipptoppes Hahnenwasser haben. Es ist nicht nur viel teurer, bis zu tausendmal teurer, sondern es hat auch nicht die bessere Qualität. Also in Europa, in Deutschland ist es eine Frage des Bewusstseins, ob Sie einen solchen Großkonzern mit Ihrer Flaschenwasser-Abgabe unterstützen, oder ob Sie auf Hahnenwasser setzen.

Welty: Auf der anderen Seite beschreibt sich Nestlé als ein Konzern mit sozialer Verantwortung und einem Bewusstsein für Werte. Kann man es sich dort wirklich leisten, dieses mit Füßen zu treten?

Schnell: Das ist eines der Hauptprobleme, das wir auch in unserem Film angesprochen haben. Solange ein Konzern einfach auf kapitalistische Art und Weise einen Mehrwert für sich und seine Aktionäre schafft, okay, soll er das machen. Das ist das Prinzip unseres Systems. Aber wenn sich solche Konzerne dann noch Moral auf die Fahne schreiben, dann wird es sehr, sehr, sehr kritisch, finde ich, weil alle großen Konzerne haben entdeckt, dass man mit moralischen Etiketten sich besser verkaufen kann, und jeder Konzern, der etwas auf sich hält, der klebt sich eine solche Etikette auf sein Produkt. Und wir haben in unserem Film, der übrigens sehr wahrscheinlich im September in Deutschland anlaufen wird, auch noch in Kinos, wir haben in unserem Film diese Diskrepanz zwischen der Moral des Konzerns und seiner Haltung ganz konkret aufgedeckt.

Welty: Kaufen Sie noch irgendein Produkt von Nestlé?

Schnell: Das ist auch eine Frage, die Schwierigkeiten bereitet, weil Nestlé ist in sehr vielen Nahrungsmittelsegmenten tätig, und es gibt tatsächlich in der Schweiz ein Produkt, um das ich nicht herum komme: das ist die Thomy Mayonnaise. Ich weiß nicht, ob die in Deutschland bekannt ist?

Welty: Ist sie!

Schnell: Da komme ich einfach nicht drum herum!

Welty: Die gibt es auch mit Zitronengeschmack, das ist eine ganz großartige Geschichte.

Schnell: Ja! Kommt dazu, dass natürlich die Produkte von Nestlé gute Produkte sind. Das ist nicht ein schlechter Konzern, was Produktequalität und Innovation anbelangt. Das macht ja die ganze Sache auch so schwierig. Die Nestlé-Produkte sind an sich gute Produkte. Nur würde ich mir wünschen, gerade im Bereich Flaschenwasser, dass da das Bewusstsein von Ihnen und von mir noch sich steigert.

Welty: Urs Schnell, der Schweizer Regisseur, hat sich intensiv mit dem Geschäftsgebaren von Nestlé auseinandergesetzt, womöglich intensiver als die Aktionäre heute auf der Hauptversammlung. Ich danke sehr fürs Gespräch.

Schnell: Danke Ihnen, Frau Welty.


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