"Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass"

Berthold Seliger und Christian Morin im Gespräch mit Andreas Müller · 21.04.2011
Berthold Seliger, Tourneeveranstalter in Berlin, ist dagegen, dass kommerzielle Popkonzerte in subventionierten Theaterhäusern stattfinden. Christian Morin, Kurator der Musikbühne in der Volksbühne Berlin hält dagegen: Pop ist kein Eigentum des freien Marktes.
Andreas Müller: Anfang der 90er-Jahre performte die slowenische Künstlergruppe Laibach in der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz den NSK-Staat und spielte in einem Konzert ihr Album "Kapital". Das war eine hochinszenierte Geschichte, die wunderbar in das Theater passte. In der Folge gab es immer wieder Konzerte, die inzwischen zum festen Programm des Hauses gehören, aber auch auf anderen Sprechbühnen des Landes spielt längst die Musik. Dagegen wehren sich immer mehr Konzert- und Tourneeveranstalter, die darin eine unfaire Konkurrenz sehen. Berthold Seliger ist so ein Tourneeveranstalter. Schönen guten Tag, Herr Seliger!

Berthold Seliger: Guten Tag, Herr Müller!

Müller: Das Musikprogramm der Volksbühne kuratiert Christian Morin, der ist ebenfalls hier zu Gast, schönen guten Tag!

Christian Morin: Schönen guten Tag!

Müller: Herr Morin, vor Ihnen war unter anderem der frühere Spex-Journalist Christoph Gurk in dem Haus als Kurator tätig, jetzt sind Sie dran. Wie lautet eigentlich Ihr Auftrag? Was sollen Sie veranstalten?

Morin: Na ja, ich habe an der Volksbühne die sogenannte Musikbühne übernommen, das ja an der Volksbühne schon eine Traditionsgeschichte ist, weil im Grunde genommen ist die Volksbühne ja mit Castorf verbunden, angetreten um das Theater zu erweitern um viele verschiedene Genres. Es gibt ja - es ist ja nicht nur die Musikbühne - es gibt eine Lesebühne, es gibt eine Filmbühne, es gibt politische Kongresse, und mein Auftrag ist eben die sogenannte Musikbühne, die so im Durchschnitt zwei Konzerte im Monat veranstaltet.

Müller: Aber hat man Ihnen gesagt, welche Bereiche Sie da abdecken sollen? Eher die Avantgarde oder sind Sie da völlig offen?

Morin: Es geht natürlich schon um in Anführungsstrichen "künstlerisch wertvolle Veranstaltungen", das ist natürlich eine Frage der Interpretation, was man darunter versteht. Ich persönlich bin ja schon lange der Musik verbunden, habe Anfang der 90er-Jahre angefangen, im Zuge der ersten halblegalen Clubs in Mitte Konzerte zu veranstalten, hab dann selber Tourneen organisiert und bin im Grunde auch seit dem Jahr 2000 mit dem damaligen Kurator Christoph Gurk der Musikbühne verbunden und habe sehr viel dort auch hin vermittelt, sozusagen.

Müller: Auf was für ein Budget können Sie dabei zurückgreifen?

Morin: Viel Kritik, die an dem Musikprogramm von Veranstaltern kommt, ist ja immer das Argument der wirtschaftlichen Verzerrung, sozusagen.

Müller: Durch Subventionen, Sie sind ein subventioniertes Haus.

Morin: Also, das erste, was ich dazu sagen kann, dass das natürlich sehr viel auf Unkenntnis der internen Vorgänge beruht, weil die Musikbühne ist wie die anderen rein keine Repertoireveranstaltung, oder gehört nicht zum Repertoire der Volksbühne und hat von daher erst mal kein Budget. Ich bin dazu gezwungen, im Grunde genommen auf einer kalkulatorischen Basis zu arbeiten, in der ich die Unkosten, die dort entstehen, auch finanzieren muss.

Müller: Also Sie müssen kostendeckend arbeiten.

Morin: Ich muss kostendeckend arbeiten, ja.

Müller: Berthold Seliger, was gefällt Ihnen daran nicht, dass Christian Morin dort Konzerte veranstaltet, eigentlich gar nicht anders als in einem Club, wenn er eben nicht auf Subventionen zurückgreifen kann?

Seliger: Ich glaube, wir haben in diesem Bereich zwei Problemkreise, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Das eine ist, wir haben ein massives Demokratieproblem. Es gibt Subventionen, es gibt Häuser, Sprechtheater, die dazu da sind, Theater zu spielen, genau so wie Opernhäuser dazu da sind, Opern aufzuführen, und die Berliner Philharmoniker dazu da sind, Symphoniekonzerte zu machen. Es gibt nun durch eine eigenmächtige Entscheidung einer Intendanz oder von der Leitungsebene von Häusern nicht nur in Berlin, die Entscheidung, da eine Umwidmung herzustellen. Darüber wird in der Gesellschaft nicht diskutiert, darüber haben die demokratischen Institutionen, die die Gelder dafür ja bereitstellen, auch nicht entschieden. Das heißt, wir haben da ein massives Demokratieproblem, ich würde sagen, ein Demokratiedefizit, und das müsste eigentlich in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Der zweite Bereich, den ich aber für noch wesentlicher halte, ist, wir haben ja nun mal eine Gesellschaftsform, die sich freie Marktwirtschaft nennt. Das heißt, wir haben eine gesetzliche Verpflichtung in diesem Land, dass die öffentliche Hand nicht Tätigkeiten ausführen darf, die von privaten Firmen bereits erfolgreich getan werden. Der Senat darf nicht plötzlich eine Bäckerei aufmachen oder eine Kfz-Werkstatt. Und das gleiche gilt ja für den Kulturbereich auch, das nennt man Subsidiaritätsprinzip, das ist eine gesetzliche Grundlage unserer Ordnung hier, und die bedeutet, wir haben hier freie Konzertveranstalter in der Stadt, die sehr erfolgreich Konzerte durchführen, die davon ihre Firmen bestreiten, die dafür Arbeitsplätze bereitstellen, und denen wird im Grunde ihr Markt weggenommen durch die öffentliche Hand, durch ein subventioniertes Haus, das sind da alles kommerzielle Konzerte, wir sind da ...

Müller: Aber, Berthold Seliger, nun veranstalten die ja auch Sachen, die woanders nicht stattfinden würden, wenn es nicht einen - wenn man so will - geschützten Rahmen gebe. Es gibt da eine Menge Veranstaltungen in der Volksbühne, aber auch an vielen anderen Bühnen, es findet in Köln oder auch in Leipzig statt zum Beispiel, die nicht kommerziell sind, an die andere Konzertveranstalter sich nicht heranwagen würden. Ich denke, kürzlich war ein Free-Jazz-Konzert in der Volksbühne zu sehen, da sagte mir derjenige, der das veranstaltet hat, ohne die Volksbühne und andere Theater wäre die Tournee gar nicht zustande gekommen. Das ist doch nicht schlecht. Das ist doch Kultur!

Seliger: Das ist sicher richtig, wobei wir natürlich uns das Programm mal genauer anschauen müssen, und ich behaupte, dass es da ein rein kommerzielles Programm gibt mit einzelnen, interessanten Einsprengseln von Pop-Kultur, die ich auch begrüße. Aber wenn Sie sich anschauen, wer hier zuletzt gespielt hat, das ist eine Information der Volksbühne, die auf der Internetseite zu finden ist: Cat Power, Joanna Newsham, Sun O))), Marilyn Manson, Stereo Total, The Notwist, Rufus Wainwright, das sind alles Konzerte, die von freien Konzertveranstaltern geklaut wurden, das sind Konzerte, die vorher von öffentlichen, von privaten Firmen veranstaltet wurden und mit denen ein Teil der Kreativ-Wirtschaft, die man in Berlin ja auch immer so hochleben lässt, bestritten wird, und da ...

Müller: Christian Morin, sind Sie ein Dieb?

Morin: Also interessant finde ich gerade, die Konzerte, die gerade aufgezählt wurden, waren alle vor meiner Zeit, das ist nicht mein Programm, also ich ...

Seliger: Aber das ist das Programm der Volksbühne, darüber reden wir, nicht über Ihr Programm.

Morin: Doch, genau, ich stehe hier, und ich repräsentiere die Musikbühne der letzten zwei Jahre, und wir sind hier ...

Müller: Bob Geldorf haben Sie veranstaltet?

Morin: ... habe ich nicht veranstaltet. ... repräsentiere mein Programm, da gibt es natürlich Pop-Kultur, da gibt es Jazz, da gibt es extreme Noise-Sachen, wir haben sogar Black Metal gemacht, wir haben eigentlich alles mögliche gemacht ...

Seliger: Ist die Aufgabe eines Theaters, Black-Metal-Konzerte zu veranstalten?

Morin: Na, da kann man sich drüber streiten!

Seliger: Ja, da streiten wir uns ja gerade drüber ...

Morin: ... aber das ist ...

Seliger: ... ich frage Sie, sind es ...

Morin: ... darf ich kurz ...

Seliger: ... ist es ihre Aufgabe?

Morin: ... darf ich kurz ausreden? Ich würde gerne mal auf das eine Argument kommen, was ich immer sehr interessant finde, das ist das Argument des freien Marktes. Ich finde, wir haben ein Problem: Wir haben in Deutschland eine Tradition, die sozusagen aufteilt in EU-Musik und/oder in Hochkultur und in eine gewisse andere Kultur - und da wird Pop eben, oder wurde Pop lange dazu gezählt -, die sozusagen eine Art Entertainment-Ware darstellt, und diese Entertainment-Ware, wird behauptet, ist per se Eigentum eines freien Marktes, der über sie verfügen kann und der sie verwerten kann. Und ich finde, die Prämissen dieser Behauptung, die müssten mal überprüft werden, weil ...

Müller: Das ist natürlich eine ganz interessante Frage: Wer sollte das denn machen? Also wer definiert uns jetzt: Was ist ein kulturell hochwertiges Konzert, das in einem Theater stattfinden sollte? Da müsste man ja eine Jury oder so was einrichten!

Seliger: Ich lege auch Wert darauf, dass die frei veranstalteten Konzerte durchaus kulturell hochwertig sind.

Müller: Gut!

Seliger: ... das ist nicht das Vorrecht der Volksbühne, derartiges zu veranstalten.

Morin: Das andere, was natürlich in der Diskussion nicht vorkommt - und das finde ich auch sehr interessant -, auch wir, die wir hier sitzen, sind im Grunde alle Verwerter von Musik, würde ich mal sagen. Wer aus der Diskussion völlig rausgefallen ist - und ich finde es eigentlich auch traurig, dass hier jetzt zum Beispiel niemand aus dieser Fraktion sitzt -, das sind nämlich die Musiker, die Künstler selber. Das ist nämlich die interessante Frage: Ich arbeite seit vielen langen Jahren auch mit Künstlern zusammen, und ich weiß, inwieweit die von dem, was sie dort machen, selbst wenn sie vielleicht in der Öffentlichkeit als bekannt gelten, wie schwer es ist, selbst das Gehalt eines mittleren Angestellten auf Dauer zu verdienen, geschweige denn eine Altersversorgung sich aufzubauen ...

Müller: Junge Popmusiker leben fast alle in prekären Verhältnissen, so sie nicht große Hit-Platten haben, und Deutschlandradio Kultur streiten hier mit Berthold Seliger und Christian Morin über die Frage: Sollte es an deutschen Sprechbühnen Popkonzerte geben? Natürlich, Musiker spielen überall gerne dort, wo sie bezahlt werden, keine Frage. Ich frage mich, Herr Seliger, der Streit, der jetzt hochkocht, warum gerade jetzt? Ist es Ergebnis auch dieser Krise der letzten Jahre, die dann natürlich auch auf massiv aufs Musikgeschäft durchschlägt? In den Metropolen kriegt man es vielleicht nicht ganz so mit, aber auf dem Lande wird es sozusagen immer schwieriger, Tourneen überhaupt noch hinzukriegen, beziehungsweise dann Termine zu füllen.

Seliger: Das sehe ich nicht so, ich denke, wir sind da in dem Genre, das ich vertrete - anspruchsvolle Popmusik -, nach wie vor sehr erfolgreich. Das hat damit nichts zu tun. Das, was wir substanziell anders haben - und das ist eine neue Situation -, das ist eben, dass Theater seit einigen Jahren Popkonzerte veranstalten, und da muss ich auf einen Punkt zurückkommen, den Herr Morin gesagt hat: Sie haben ja eben sehr schon herausgekitzelt aus Herrn Morin, dass er eigentlich gar kein Geld hat, das er gar kein Budget hat. Er muss also Sachen veranstalten, die sich irgendwie selber tragen. Das ist genau der falsche Weg, finde ich. Und das ist so ein typischer Weg, den Theater eben einschlagen ...

Morin: Jetzt drehen Sie sich aber ...

Seliger: ... lassen Sie mich doch bitte ausreden, Herr Morin! Das wäre ganz schön. Wir haben doch hier ein doppeltes Problem: Es gibt zum einen kommerzielle Popkonzerte, die sich selber tragen. Dafür muss die Volksbühne nicht sein, es gehört sich nicht, dass die Volksbühne kommerzielle Popkonzerte veranstaltet, wie sie es tut - wie sie es deswegen tut, weil Herr Morin kein Budget hat und eigentlich diese Konzerte veranstalten muss. Was wir aber in Deutschland aber als Defizit haben, das ist - da hat Herr Morin teilweise recht -, dass ein Teil der Zeitkultur - eben Popkultur, wie immer man das definieren will - nicht in öffentlichen Häusern stattfindet. Wenn ich mir anschaue, eine Band wie die Residents, die ich vertrete, die Erfinder des Musikvideos ...

Müller: ... die meiner Ansicht nach in ein Theater gehören!

Seliger: ... die machen theatralische Performances, wenn ich die in London auftreten lasse, spielen die in der Royal Festival Hall. Wenn die in Paris spielen, spielen die zwei Abende im Centre Pompidou, einem der wichtigsten Theater der Welt. Wenn die in Berlin spielen, dann sagt nicht Herr Morin: Hurra, ich kann die Residents buchen, ich investiere da rein, ich stelle diesen ...

Morin: Bieten Sie sie mir an!

Seliger: Sie sind ???

Müller: Vielleicht sagt Herr Morin auch, dass es eine ...

Seliger: Nein, Sie stellen ja kein Geld dafür zur Verfügung, sondern Sie sagen, Sie müssen etwas machen, was sich hier auf dem freien Markt rechnet. Und da sind wir glaube ich bei dem entscheidenden Punkt: Hier wird eine Politik vertreten von den Theaterdirektoren - das ist ja nicht Herr Morin, der entscheidet, ob er ein Budget hat oder keines, sondern das ist die öffentliche Hand, das sind die Direktoren -, die sagen: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Ich möchte attraktive Popkonzerte hier anbieten, aber ich möchte da kein Geld rein investieren. Und da sind wir eben genau bei dem Punkt, dass nicht das stattfindet, was Herr Morin behauptet, dass es also um kleine Künstler geht, um kleine Popkünstler, die anders ihren Weg nicht gehen können, sondern Herr Morin hat keinen Etat dafür, er muss sich im Kreis drehen, er muss im Grunde auf kommerzielle Popmusik, die sich auch anders auf dem Markt durchsetzen könnte, zurückgreifen.

Müller: Ich will noch mal schnell - wir müssen nämlich zum Ende kommen - eine Lanze für Christian Morin brechen, der jetzt demnächst unter anderem veranstaltet, den Auftritt eines Field Recording Artist, der auch im Centre Pompidou vielleicht auftreten könnte, das aber sicherlich dort nicht tut, und das ist mit Sicherheit, wenn man so will, gedeckt durch den Anspruch einer Hochkultur, auch wenn Berthold Seliger sagt, selbst dann sollte es nicht im Theater, zum Beispiel in der Volksbühne stattfinden. Eine Lösung wäre vielleicht, wenn die freie Szene auch ein wenig auf Unterstützung zählen könnte, das war in den 70er-Jahren noch so, als es ein dichtes Netz von Jugendzentren in Westdeutschland zum Beispiel gab, wo sehr, sehr viele Bands ihr Geld verdienen konnten und wo man als junger Mensch einer Kultur ausgesetzt werden konnte, der man normalerweise vielleicht nicht begegnet wäre. Vielleicht auch noch ein letzter Satz von mir dazu: Ich finde es gar nicht schlecht, dass damals, Anfang der 90er-Jahre, Konzerte in einem Theater stattfanden, denn das senkte die Barriere, die Schranke für viele junge Menschen, die sonst nie in ein Theater gegangen wären und da hat dann doch so etwas wie kulturelle Bildung vielleicht stattgefunden - auch wenn es Popmusik war. Vielen Dank Berthold Seliger, Tourneeveranstalter in Berlin, und Christian Morin, Kurator der Musikbühne in der Volksbühne in Berlin.

Morin: Vielen Dank!