Was verbindet junge Deutsche und Israelis - und was trennt sie?

Von Angelika Calmez · 16.12.2011
"A day in your life" heißt ein Dokumentarfilm, der vor kurzem in der Cinemathek in Tel Aviv seine israelische Premiere feierte. Der Film porträtiert drei deutsche und drei israelische Teenager und ihre Familien. Das Besondere: Die Arbeiten stammen von den Jugendlichen selbst.
"Wir leben ja in Deutschland, wir müssen ja nicht fürchten, dass unsere Nachbarländer uns angreifen. Und ich kenne wenig Deutsche, die sagen, sie würden sich gerne für ihr Land aufopfern, oder die Sport machen und extra keine Zigaretten rauchen, damit sie später in der Armee besser sind und sportlicher oder so."

Vitus Lux aus Köln ist 20 Jahre alt. Er dreht Videoclips, zeichnet, malt auf großen Leinwänden, will Künstler werden. Sein israelischer Gastgeber Oren Bruode aus Ra'anana ist 17. Er ist ein Scout, treibt in jeder freien Minute Sport, will mit 18 zu einer Spezialeinheit der israelischen Armee. Zwei junge Männer, die scheinbar verschiedener nicht sein können. Und doch haben sie gemeinsam mit zehn weiteren Jugendlichen aus Deutschland und Israel einen Film gedreht. "A day in your life - Ein Tag in deinem Leben" hatte vor einigen Monaten Premiere in Köln.

"Es war eine Neugier, es war eine Offenheit zu sehen, wie leben die anderen jetzt, und dadurch glaube ich für alle eine große Bereicherung."

Die Kölner Regisseurin Vera Schöpfer, eine der beiden künstlerischen Leiter der deutsch-israelischen Filmwerkstatt.

"Wir hatten eben Juden dabei, die aus Israel kamen, wir hatten eine Jüdin aus Deutschland, wir hatten Christen, praktizierende Christen, oder auch welche, die gar nicht irgendwie glauben."

Insgesamt zwölf Jugendliche aus Deutschland und Israel durften nach einem Auswahlverfahren im Herbst 2010 auf Kosten des Landes Nordrhein-Westfalen ins jeweils andere Land reisen. Nach einer Einführung in Techniken des Dokumentarfilms bildeten die beiden Gruppen wechselnde, binationale Teams. Je eine Woche lang begleiteten die damals 15- bis 19-jährigen Schüler sich gegenseitig mit der Kamera.

"Eine Kamera gibt einem die Möglichkeit, Fragen zu stellen, die man, wenn man einen reinen Austausch macht, nicht die Möglichkeit hat, sich zu stellen. Zum Beispiel dezidierte Fragen nach der Vergangenheit."

Vor allem der Geschichte der jüdischen Familien in Deutschland und Israel räumten die Interviewer einen wichtigen Platz ein.

"Oren hat mal gesagt, dass er Angst davor hat, dass die Leute diese Holocaustgeschichte vergessen. Er hat ja auch Recht, da muss ja konstant dran erinnert werden. Man hat schon gemerkt, dass es schon tief sitzt. Bei Oren war da manchmal mehr als er vielleicht auch gezeigt hat, ich weiß es nicht."

Der Film dokumentiert, wie die Jugendlichen das Projekt erleben. Den Kern bilden aber insgesamt sechs Familienporträts. Die künstlerische Klammer: Ein gemeinsamer Besuch in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

"Ich hatte auch erwartet, dass wenigstens ein paar Menschen, vielleicht wenn sie mit mir reden, oder merken, oder wissen, dass ich Deutscher bin, es irgendwie nicht gut finden oder so. Aber das ist keinmal passiert, weder außen noch in der Familie."

"Es war eine schlechte Zeit für Deutschland. Aber die Menschen hier haben sich verändert, und ich möchte wissen, wie sie heute sind."

Ein Mädchen im Film. Die Werkstatt scheint von der Frage geleitet: Finden Deutsche und Israelis siebzig Jahre nach der Shoa zu einer gemeinsamen Wahrheit? Vitus und Oren gingen die Themen jedenfalls nicht aus - relativ normale Jugendlichenthemen, schätzt Vitus Lux im Rückblick.

"Natürlich Mädchen, wo solls hingehen, und philosophische Themen, wo kommt man her, was hat man in der Kindheit alles für Unsinn gemacht? Einfach so kennenlernen. Wir haben uns sehr gut verstanden. Wir waren schon irgendwo auf derselben Wellenlänge."

Sich einzulassen auf das jeweils andere Land, das mag den Jugendlichen nicht immer leicht gefallen sein. Umso bemerkenswerter erscheint die Offenheit, mit sie auch unterschiedliche Perspektiven ansprechen.

"Die eine war halt sehr gegen Krieg und das alles. Und die hat sich da manchmal ein bisschen daran aufgerieben, dass die natürlich so selbstverständlich über Krieg und Waffen gesprochen haben und dass die dann dahingehen wollen. Das war ihr immer zu krass. Dann hat sie öfter versucht, mit denen zu reden, dass sie das nicht verstehen konnte. Und die haben halt versucht, ihren Standpunkt zu erklären. Aber es gab nie mal eine emotionale Diskussion, dass sich gestritten wurde."

Aufwachsen im Klima der Bedrohung durch den Nah-Ost-Konflikt oder im sicheren Deutschland - diese verschiedenen Ausgangslagen arbeiten die Filmteams auf fast schon schmerzhafte Weise heraus.

"Glaubst du, der Konflikt wird für immer und ewig bestehen?"

"Nicht für immer, sondern bis eine Seite sich entschließt, damit aufzuhören. Aber ich glaube nicht, dass das passiert. Weil beide dasselbe wollen."

Shani wohnt in Oranit, einer der älteren israelischen Siedlungen im Westjordanland. Ein Schulbus bringt sie täglich nach Ra'anana. Ohne Begleitung traut sie sich nicht in die arabische Nachbarschaft. Palästinensische Jugendliche haben Regisseurin Vera Schöpfer und ihr Kollege, der Kölner Autor Dieter Bongartz, bewusst nicht einbezogen.

"Das haben wir zu dem Zeitpunkt uns nicht zugetraut. Wir waren vorher noch nicht in Israel gewesen und haben nicht den Hintergrund gehabt, dass wir das dazu geholt hätten. Das ist dann nochmal ein ganz anderes Fass, was man aufmacht. Da haben wir uns klar gegen entschieden."

Darin bestätigt sieht sich Vera Schöpfer durch einen Vorfall zu Beginn der Filmwerkstatt: Nach dem Ausbruch eines Streits zwischen Israel und der Türkei hatten türkische Eltern in Köln das Interesse an dem deutsch-israelischen Projekt verloren.
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