"Was lebt und uns zum Leben verhilft"

Von Susanne von Schenck · 28.12.2012
Als die Nazis kamen, musste der gebürtige Wiener Georg Stefan Troller aus Österreich fliehen, heute lebt er in Paris. Berühmt wurde Troller durch seine Arbeit als Rundfunk- und TV-Journalist. Für ihn beginnt Heiligkeit schon beim Anblick eines schwarz-weißen Katers.
Heilig ist das Heilige. Es gibt Dinge, die heilig sind im Leben jedes Menschen.

Alles, was lebt und uns zum Leben verhilft und dazu beiträgt, dass wir uns lebendig fühlen, ist in einem gewissen Sinne heilig.

Nicht religiös in irgendeinem engen konfessionellen Sinne, sondern das Gefühl, dass die Welt so voller Dinge ist, die offensichtlich nicht nur von den Menschen geschaffen wurden, wie zum Beispiel dieser Kater, der da vor uns sitzt. Könnte es etwas Schöneres und Gelungeneres geben auf dieser Welt als so ein schwarz-weißer Kater, noch dazu, wenn er zutraulich ist? Hier sind wir doch auf dem Gebiet der Heiligkeit.

Mein Vater war überzeugt davon, dass eine ehrliche Aufführung als Mann, als Familienvater, als Geschäftsmann so gut wäre wie jede religiöse Übung. Das heißt, wenn du dich anständig benimmst auf dieser Welt - und das hieß für ihn die bürgerliche Gesellschaftsordnung -, dann stehst du auch gut mit Gott. Auf diese Art kam ein gewisses Vertrauen in Gott, in die Umwelt, in die Menschen zustande. Und dieses Vertrauen vermochte es, dass er mir das Leben gerettet hat. Denn ich hatte selber in meiner Überzeugung, dass das Leben nicht wert wäre, gelebt zu werden, von Anfang an aufgegeben.

Angst wird verdrängt, aufgearbeitet oder nach dem amerikanischen Ausdruck lived down, durch Lebensbejahung aufgelöst. Aber Angst bleibt, nur ist sie im Moment nicht so akut wie früher. Was es ausgelöst hat, ist klar: Nazizeit, Emigration, Lebensangst, das ewige Fliehen müssen. Aufgelöst, wenn überhaupt ja – die Möglichkeit, seine Ängste, Besessenheiten umzusetzen in Nacherlebbares wie Rundfunkreportagen, Filme usw. Es entschärft Dinge, in denen man sich nächtlich in seinen Albträumen abplagt.

Ich glaube, jeder Kreative hat maximal zehn Jahre, in denen er mit dem Zeitgeist übereinstimmt. Wohl dem, der sie nicht schon in früher Jugend verbraucht. Das war mein Fall. Ich begann ja erst mit vierzig mit diesem Pariser Journal. Ich hatte ja schon ein ganzes Leben hinter mir. Also ich hatte diese zehn Jahre zwischen vierzig und fünfzig. Das war ein Glücksfall.

Die jüdische Religion beruht darauf, dass man keine Rechte, sondern nur Pflichten hat. Nämlich Gott gegenüber und den anderen Menschen gegenüber. Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen – das war Vaters Grundsatz. Er bemühte sich strebend, also musste es gelingen. Ich war mehr davon überzeugt, dass es eh schief gehen wird. Dass es dann nicht nur schief gegangen ist in meinem Leben, bisher jedenfalls, ist ein solches unverdientes Glück, das mir alle Tage bewusst ist.

Über Georg Stefan Troller:
Wie weit kann man zu weit gehen? Das zu wissen, darin besteht die Kunst des Interviews. Georg Stefan Troller beherrscht diese Kunst wie kaum ein zweiter und ist so zu einer Reporter-Legende geworden. Geboren 1921 in Wien, emigrierte er 1938 nach Frankreich, dann in die USA. Seit 1949 lebt er in Paris. Berühmt wurde er in den sechziger Jahren mit der Fernsehsendung "Pariser Journal" und später mit seiner Reihe "Personenbeschreibung". Georg Stefan Troller hat außerdem Dokumentarfilme gedreht und zahlreiche Bücher veröffentlicht. Susanne von Schenck hat ihn in seiner Pariser Wohnung besucht und ihn gefragt, was ihm heilig ist.

Serie im Überblick:
"Was mir heilig ist" - Prominente geben Antwort
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