Was junge Leute zur Gewalt treibt

Von Judith Kochendörfer · 29.09.2006
"Wenn es dieser Robert war, dann hätte es auch jeder von uns sein können." Dieses Zitat einer Schülerin des Erfurter Gutenberg-Gymnasiums nach dem Amoklauf blieb dem jungen Theaterautor Thomas Freyer lange Zeit im Gedächtnis. Der 25-Jährige nahm die Erfurter Geschehnisse als Aufhänger für sein Stück "Amoklauf mein Kinderspiel", das seit Mai in Weimar und seit dem 20. September in Berlin zu sehen ist.
Hörspielausschnitt:
"Ihr werdet die Toten zählen. Die Statistiken aufzählen. Die Berichte schreiben. Ihr werdet mein Zimmer durchsuchen. Meine Eltern befragen, die zu euch gehören. Mein Name in aller Munde. Mein Gesicht in aller Augen."

Knapp drei Jahre nach dem Amoklauf an einer Erfurter Schule entsteht in Thomas Freyers Kopf die Idee zu einem Theaterstück: "Amoklauf mein Kinderspiel".

Thomas Freyer, Theaterautor, heute 25 Jahre alt, ist dunkelhaarig, schmal und wirkt nachdenklich, fast verschlossen. Im letzten Jahr hat er das Studium "Szenisches Schreiben" an der Berliner Universität der Künste beendet. "Amoklauf mein Kinderspiel" ist sein erstes Theaterstück für ein großes Haus. Es wurde im Mai in Weimar uraufgeführt, für den Berliner Rundfunk als Hörspiel produziert, und es gewann bei den Berliner Festspielen den Förderpreis für neue Dramatik.

"Manchmal ist es ein Thema, was man in der Zeitung liest, was man aber so, wie es da passiert ist, gar nicht auf die Bühne bringen will."

"Und dann fängt man an zu puzzeln, also bei mir geht’s so, dann kommt die erste Figur dazu und dann verändert sich das wieder. Und wenn ich das Gefühl hab, dass der Korb voll genug ist mit den Sachen, die ich da habe, dann geht’s los an die ersten Szenen, und dann geht’s eher darum, noch eine Form zu finden."

Thomas Freyer ist das mittlere von drei Kindern und der einzige Junge. Seine Mutter arbeitet bei den städtischen Wasserbetrieben, der Vater in einem Fotolabor. Aufgewachsen ist die Familie Freyer, wie es damals auch für Akademikerfamilien üblich war, in einer Plattenbausiedlung im thüringischen Gera. Einem Teil der Stadt, in dem nach der Wende das Thema Rechtsradikalismus nicht totgeschwiegen werden konnte. Einmal habe er auch schon was auf die Mütze gekriegt, erzählt er - weil er damals seine Haare lang trug. Ein eindeutiges Zeichen, zu welcher Szene er sich nicht zugehörig fühlen wollte.

Und trotzdem will Thomas Freyer verstehen, was junge Leute zur Gewalt treibt. Zentrales Thema in "Amoklauf mein Kinderspiel" ist die Orientierungslosigkeit, sind die Sorgen und Nöte der so genannten Nachwendegeneration. Jener Generation von Jugendlichen, deren Eltern ihnen keine Ziele vorgeben können, weil sie selbst schon keine mehr haben.

Hörspielaussschnitt:
"Über Nacht sprühe ich ein Hakenkreuz neben den Eingang. An die Turnhalle schreibe ich "Die Mauer hoch, höher". Ich schmeiße Glasflaschen auf den Schulhof. Am nächsten Morgen sehe ich den Hausmeister mit einem Pinsel in der Hand. "Zuerst das Hakenkreuz, dann die Scherben."
"Hottentottenverhalten."
"Beeilen Sie sich, wenn das jemand sieht!"

"Wie viel Information gibt man einer Figur mit? Was ist zu viel für ne Figur, was ist nicht mehr spielbar auf der Bühne?"

Seit seiner Zeit im Schultheater hat Thomas Freyer die Bühne am meisten fasziniert, und auch jetzt konzentriert er sich voll und ganz auf Theaterstücke. Zum Arbeiten braucht er vollkommene Ruhe und schreibt konsequent zu Hause, am eigenen Schreibtisch, am liebsten abends.

"Draußen kann ich überhaupt nicht - Kollegen gibt’s ja auch, die das nur in Kneipen machen oder so. Geht bei mir wirklich nur zuhause, zurückgezogen. Und dann mit festen Arbeitszeiten und so. Also bei mir bringt es wenig, mich vormittags hinzusetzen und Szenen neu zu schreiben, also da bringt es eher was, Szenen zu überarbeiten und so. Was ja dann eher ne handwerkliche Aufgabe ist als Szenen neu zu schaffen und neu zu schreiben."

Sind die Handlungsstränge festgelegt und haben die Figuren ein Gesicht bekommen, dann werden auch schon Regisseur und Schauspieler mit einbezogen. Wie das bei "Amoklauf mein Kinderspiel" in Weimar geschah.

"Die haben drinne geprobt, und ich hab im Nebenraum die nächsten Szenen geschrieben, die dann am nächsten Tag geprobt wurden. Die wurden sozusagen gleich ausprobiert, und wenn da was nicht gestimmt hat, dann: noch mal die Szene ran, und so lief das dann, und teilweise 2 Wochen proben und dann hatte ich wieder Zeit zu schreiben, und so lief das dann."

Hörspielausschnitt:
"Ich schalte den Fernseher aus. Meine Mutter erwacht. Ein verschlafenes Grunzen.
"Was machst Du?" fragt sie.
"Ich lebe."