Was die Titanic und eine Ente gemeinsam haben

18.12.2011
Eisberge, Bugwellen und Lecks in der Bordwand: Der Physikprofessor Metin Tolan untersucht den Untergang der Titanic. Er erweist sich dabei als glänzender Unterhalter, der wissenschaftliche Grundfragen auch für Nicht-Physiker anschaulich macht.
Als am 14. April 1912 die Titanic auf der Jungfernfahrt mit einem Eisberg kollidierte und innerhalb von 2 Stunden und 40 Minuten versank, zeigte sich dass Technik im großen Stil versagen kann: Galt die Titanic doch als unsinkbar. Warum sie trotzdem unterging, erklärt Metin Tolan in seinem neusten Buch. Dabei untersucht der Professor für Experimentelle Physik nicht nur das Unglück so detailliert wie möglich, sondern auch den Titanic-Kinofilm mit Kate Winslet und Leonardo di Caprio.

Metin Tolan hat sich dank seiner Bücher über die Physik in James-Bond-Filmen oder die des Fußballspiels auch einen Ruf bei Nicht-Physikern erworben: Und zwar den eines glänzenden Unterhalters, der nahezu jedem Schul-Physik-Geschädigten die Angst vor der Materie nimmt und dabei sogar noch grundlegende Kenntnisse vermittelt. Was ihm auch in seinem neusten Buch ausgezeichnet gelingt.

Verständlich und nachvollziehbar erklärt der Physiker, was die Titanic und eine Ente gemeinsam haben: die Bugwellen beider bilden im offenen Wasser immer einen Winkel von 39 Grad. Er zeigt, warum Schiffe überhaupt schwimmen: weil der Auftrieb durch das Wasser genauso groß ist wie die Schwerkraft, die auf sie wirken. Und beschreibt, wie man das Gewicht eines Schiffes ermittelt: da laut Archimedes Auftrieb gleich Gewicht der verdrängten Flüssigkeit ist, lässt sich anhand der Maßen von Größe und Wassertiefe herausfinden, wie schwer die Titanic war. Etwa 53.000 Tonnen.

Was kompliziert erscheint, erklärt Metin Tolan mit leichter Hand, und vor allem unter weitgehendem Verzicht auf Formeln. Die finden sich meist in den Fußnoten, können aber gut überlesen werden. Und so geht er von einer physikalischen Grundfrage zur nächsten. Er erläutert die beiden Hauptsätze der Thermodynamik. Erklärt, warum es kein Perpetuum mobile geben kann und zeigt, weshalb manche Eisberge bläulich schimmern und andere weiß – bei den weißen sind viele Luftbläschen eingeschlossen, die das einfallende Licht streuen. Er berechnet anhand der eintretenden Wassermenge, wie groß die Lecks in der Außenwand der Titanic tatsächlich waren: Sehr klein, zusammen gerade mal 1,1 Quadratmeter, aber über eine Länge von 30 Metern verteilt, sodass insgesamt 6 der 16 voneinander getrennten Kammern überflutet wurden – was das Schiff schließlich zum Sinken brachte.

Von der Realität geht es dann zum Kinofilm: Man erfährt, dass der Sonnenuntergang hinter den Liebenden so romantisch rot schimmert, weil das Licht am Abend stärker streut als am Tag. Oder dass Jack nur deswegen erfriert, weil er im Wasser treibt. Rose liegt auf einem Schrank und überlebt. Zwar ist das Wasser nicht kälter als die Umgebungsluft, es besitzt aber eine höhere Dichte als diese und deshalb prallen im Wasser mehr kalte Moleküle auf einen warmen Körper als an der Luft. Daher kühlt Jack im Wasser viel schneller aus als Rose an der Luft. So unterstützt die Physik die Dramaturgie – denn nur tragische Liebesgeschichten schaffen großes Kino. Und Metin Tolan gute Physikbücher!

Besprochen von von Günther Wessel

Metin Tolan: Titanic. Mit Physik in den Untergang
Piper Verlag, München 2011
208 Seiten, 18,50 Euro