Religionsgeschichte

Was der Islam zu Karfreitag und Ostern sagt

Theologe Martin Bauschke im Gespräch · 03.04.2010
In den Augen des Koran ist Christus ein Prophet und sogar Gesandter Gottes. Gesandte Gottes können aber nicht von Menschenhand, also gewaltsam getötet werden. "Das ist eine ganz wichtige Hintergrundtheorie hinter dieser Auffassung der Ablehnung der Kreuzigung Jesu", erläutert der Theologe Marin Bauschke.
Moderatorin: Ostern und vor allem Karfreitag ist der Ernstfall für den Dialog des Christentums mit anderen Religionen. Am deutlichsten wird das im Gespräch mit dem Islam, denn auch wenn der Islam als einzige andere Weltreligion in seiner Heiligen Schrift auch von Jesus erzählt, seine Geschichte von der Kreuzigung ist ganz anders als die christliche.

Warum das so ist, vielleicht sogar so sein muss, darüber spreche ich mit Martin Bauschke. Er ist Theologe und Religionswissenschaftler und Vertreter der Stiftung Weltethos in Berlin. Er hat sich immer wieder mit Grundfragen im Verhältnis von Christentum und Islam beschäftigt. Herr Bauschke, der islamische Blick auf Passion und Ostern, da muss am Anfang die Frage stehen: Was und wie erzählt denn der Koran vom Leiden Jesu?

Martin Bauschke: Der Koran hat ja keine Schilderung des Lebens Jesu, so wie wir das aus dem Neuen Testament von den verschiedenen Evangelen kennen, sondern der Koran hat hauptsächlich einzelne Sprüche Jesu. Von daher gibt es keine Passionsgeschichte im Koran und eigentlich auch keine Darstellung dessen, was am Karfreitag passiert ist. Es gibt einen einzigen sogenannten Kreuzigungsvers im Koran, in Sure Vers 157, und auch das sind nur ganz wenige Worte, und die haben ja solch kryptischen, geheimnisvollen Charakter, dass die Ausleger des Korans die Muslimischen in all den Jahrhunderten unendlich viele Theorien darüber verbraten haben, was denn nun tatsächlich mit diesen wenigen kryptischen Worten gemeint sei.

Es gibt, kann man sagen oder unterscheiden, drei Haupttheorien, wie dieser Vers auszulegen sei. Eine Minderheitenauffassung besagt, dass sich die Menschen damals, die Juden, nur eingebildet hätten, Jesus gekreuzigt zu haben. Da steht es dann im Koran, er wurde nicht getötet, sondern es erschien ihnen nur so, als ob sie ihn gekreuzigt hätten. Eine zweite Minderheitenauffassung wird vor allem vertreten von den Ahmadi-Muslimen, die sich selber ja als die wahren Muslime betrachten, aber vom Mainstream der islamischen Welt nicht als Muslime anerkannt werden. Und die Ahmadi-Muslime vertreten die auch unter dem Begriff der Ohnmachtstheorie vertretene Auffassung, dass nämlich Jesus tatsächlich am Kreuz, ans Kreuz genagelt wurde, aber eben noch ohnmächtig und eben schon sehr früh wieder lebend vom Kreuz abgenommen wurde und dann eben gesund gepflegt wurde von seinen Anhängern und den Frauen vor allem und dann eben nach Kaschmir ausgewandert sei, wo er heute noch in Srinagar das Grab Jesu auch gezeigt und verehrt wird.

Diese Auffassung hat man auch in der christlichen Aufklärungstheologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts etwa von Schleiermacher sehr stark vertreten. Und die Mainstream-Auffassung, der also die meisten Muslime heute anhängen, die ist der Meinung, dass diese wenigen Koranworte besagen, dass Jesus nicht gekreuzigt wurde, sondern ein Ersatzmann, ein Stellvertreter an seiner statt, sodass dann diese Verse so zu übersetzen wären: Es wurde nicht er gekreuzigt, sondern ein anderer ein seiner Stelle. Dann gibt es, weil dieser Ersatzmann ja auch nicht explizit im Koran erwähnt wird, wieder zahlreiche Spekulationen darüber, wer denn jetzt dieser Ersatzmann gewesen sein soll, und da ist wiederum die häufigste Auffassung die, dass gesagt wird, es sei Judas gewesen. Und das ist eigentlich die Auffassung, die heute die allermeisten Muslime vertreten, obwohl wie gesagt im Koran selber weder dieser Ersatzmann erwähnt wird geschweige denn sein Name oder auch der Name Judas überhaupt vorkommt.

Moderatorin: Das heißt, wenn ich mir diese drei Theorien angucke, bleibt der Punkt, in dem sie alle übereinstimmen, eigentlich der, dass es problematisch ist, von Jesus als jemanden zu denken, der wirklich gestorben ist. Warum ist das so problematisch? Er ist ja im Islam nicht der Sohn Gottes, sondern ein Prophet, da dürfte es doch eigentlich kein Problem sein, dann einen Tod, auch den Tod am Kreuz zu denken?

Bauschke: Jesus ist schon gestorben nach Auffassung des Korans, aber nicht gewaltsam durch Menschenhand. Jesus war ein bloßer Mensch, wenn auch ein außerordentlicher Mensch, ein Prophet und sogar Gesandter Gottes, aber nach Auffassung des Korans können Gesandte Gottes nicht von Menschenhand, also gewaltsam getötet werden. Das ist eine ganz wichtige Hintergrundtheorie hinter dieser Auffassung der Ablehnung der Kreuzigung Jesu. Jesus ist nicht nur ein Prophet – das ist ja gängige Auffassung auch vieler Christen, die meinen, die Muslime kennen Jesus und verehren Jesus nur als Propheten. Nein, er ist nach dem Koran mehr als Prophet, er ist ein Gesandter. Und das ist ein entscheidender Unterschied.

Es ist ein Mehrwert, Gesandter zu sein und nicht nur Prophet. Die Propheten, von denen es viele gab, die können in der Tat auch getötet werden. Das kennt der Koran auch aus der jüdischen Geschichte und Tradition, da stimmt er überein. Aber Gesandter, die sind der Augapfel Gottes. Es sind nur ganz wenige Menschen Gesandte gewesen, so wie etwa Mose oder Abraham oder dann später Mohammed selbst, und diese wenigen Gesandten, die auch eine neue Offenbarungsschrift bringen, was Propheten nicht tun, diese können eben nicht gewaltsam getötet werden. Weil Jesus eben nicht nur ein Prophet, sondern ein Gesandter Gottes war, kann und konnte er nicht getötet werden. Also wie Muhammed selber, der ja auch mehrfach in Mekka vom Tode bedroht war und später dann in Medina auch nicht getötet werden konnte. Also es geht nicht darum, zu leugnen, dass Jesus sterblich ist, sondern es geht darum, zu leugnen, dass Jesus gekreuzigt wurde, weil das eben mit einem Gesandten Gottes nicht passieren kann.

Moderatorin: Das erinnert auf erstaunliche Weise eigentlich an Diskussionen, die es in der frühen Kirche gab, wo es ja auch die Auffassung gab, dass Jesus als wahrer Sohn Gottes gar nicht gestorben sein könnte, sondern dass ein anderer Mensch, ein anderer Leib am Kreuz gestorben ist, also dass da sozusagen Jesus zwar in Menschengestalt durch sein Leben ging, aber dass er am Kreuz sich dann von diesem Menschenleib verabschiedet hat und unbelastet von diesem Leib weitergelebt hat. Sind diese beiden Theorien miteinander verwandt?

Bauschke: Also ideengeschichtlich gibt es da auf jeden Fall einen Zusammenhang, und das zeigt auch, dass diese diversen Spekulationen der muslimischen Korankommentatoren zum Kreuzigungsvers jetzt nicht aus der Luft gegriffen oder einfach so vom Himmel gefallen sind, sondern in der Tat schon so in der urchristlichen Geschichte bekannt und bezeugt gewesen sind, dass eben zum Beispiel aus diesen doketischen Erwägungen heraus eben vermieden werden sollte, sich vorzustellen, dass dieser Jesus als wandelnder Gott auf Erden, für den, als der er ja von den doketischen Christen verehrt wurde, dass er irgendwie leiden müsste.

Und von daher ist die Intension, die theologische, die sich damit verbindet, in der Tat eine ähnliche. Gott und das Leiden oder der Sohn Gottes und das Leiden, das passt nicht zusammen. Das geht nicht zusammen, und deswegen muss dieser Jesus auf jeden Fall vor dem Leiden beschützt werden. Diese Intension, dieses Anliegen ist also eine Brücke zwischen urchristlichem gnostischen Verständnis und eben der späteren muslimischen Jesusauslegung der Korankommentatoren.

Moderatorin: Das ist natürlich eine Brücke, die sich in der offiziellen Lehre der Kirche nicht durchgesetzt hat. Ist trotzdem die Interpretation oder die Auseinandersetzung mit diesem Karfreitagsgeschehen – ich nenne es mal mit diesem christlichen Begriff – etwas, was Islam und Christentum ganz besonders scharf voneinander trennt, oder ist das etwas, wo man einen Dialog beginnen kann, ein Ausgangspunkt für eine tiefere theologische Auseinandersetzung?

Bauschke: Das ist völlig richtig, dass sich hier eigentlich erst mal keine wirkliche Brücke ergibt und dass sich im Christentum selber ja auch diese doketischen Kreuzestheorien gar nicht durchgesetzt haben. Es ist aber wichtig, dass Christen auch wahrnehmen, dass diese muslimischen Auslegungen eben nicht einfach was völlig Fremdes darstellen, sondern in der Tat ja Christen an ihre eigene Geschichte erinnern, und dass diese Auffassungen eben auch sehr viel mit eigener Theologiegeschichte zu tun haben. Brücken und Anknüpfungen sind gleichwohl zu beobachten, von muslimischer Seite etwa in Gestalt von Filmen, wie jetzt der "Messias"-Film, der vor zwei Jahren im Iran gedreht wurde und der dann einfach am Ende zwei alternative Enden des Lebens Jesu hintereinander darstellt – erst die christliche Fassung mit der Kreuzigung Jesu und dann eben diese Mainstream-Auffassung mit der irrtümlichen, aber von Gott so gewollten Kreuzigung des Verräters Judas. Die werden einfach nebeneinandergestellt, und insofern bietet dieser Film, dort, wo er gezeigt wird, auch bei christlich-islamischen Dialogveranstaltungen, eine gute Ausgangsposition, um hier ins Gespräch zu kommen. Und es wird ja auch beispielsweise seit etlichen Jahren in Hamburg gemacht.

Im Stadtteil Sankt Georg gibt es also seit etlichen Jahren gemeinsame Passions- und Karfreitagsandachten, wo dann anlässlich dieses Nachdenkens über das Sterben Jesu beispielsweise meditiert und nachgedacht wird über die Frage, wie halten wir es als Christen und Muslime mit der Gewalt oder wie gehen wir mit Märtyrern um, was verstehen wir Martyrium und so weiter. Also hier gibt es schon trotz unterschiedlicher theologischer Auffassungen Anknüpfungspunkte. Es muss ja nicht immer ein gemeinsames Ergebnis, eine gemeinsame Auffassung am Ende herauskommen, man kann sich ja auch verständigen und gemeinsame Anliegen dann eben doch formulieren.

Moderatorin: Was der Islam zu Karfreitag und Ostern sagt. Das war der Religionswissenschaftler und Theologe Martin Bauschke. Wir haben das Gespräch vor der Sendung im Berliner Büro der Stiftung Weltethos aufgezeichnet, das Martin Bauschke leitet.