Was aus der "Spielgemeinde Leipzig" geworden ist

Von Kathrin Messerschmidt · 20.12.2008
Die "Spielgemeinde Leipzig", das war in der DDR, besonders in Sachsen und Thüringen, ein Begriff. Als professionelles Theater der Kirche bereiste sie die sächsischen Lande und versorgte die Gemeinden mit Theaterspiel zu christlichen Themen. 2004 wurde die Spielgemeinde abgewickelt. Doch ein Häuflein von Unentwegten führt die Arbeit seither fort. Sie nennen sich "Theaterkompanie Leipzig".
Ochse: "Was bitte schön hat ein Menschenkind in einer Ochsenkrippe verloren?"
Esel: "Aber Ochs, vielleicht ist das ein ganz besonderes Kind?"
Ochse: "Ja, und du bist ein ganz besonderer Esel."
Esel: "Aber Ochs, vielleicht ist das das Jesuskind!"

Ochs und Esel finden das Kind in der Krippe und wissen nicht, was damit anfangen. Von den Eltern keine Spur. Soldaten des Königs Herodes umschleichen den Stall. Wer soll dem Kind jetzt Mutter sein, der Ox oder der Esel?

Im Theaterhaus "Schille" in Leipzig spielt die Theaterkompanie das Krippenspiel "Ox und Esel" von Norbert Ebel. Jürgen Fliegel gibt den Ochsen und Alexander Fabisch den Esel. Die beiden Schauspieler gehören zur Theaterkompanie Leipzig, ein freies Theater, das aus der Spielgemeinde Leipzig hervorgegangen ist. Der Dritte im Bund ist der Schauspieler Bernhard Biller.

Bernhard Biller, Schauspieler: "Die Spielgemeinde ist eigentlich ein Fossil, die ist übrig geblieben nach einer Bewegung, die in den Endvierzigern, Anfang Fünfzigern entstanden ist nach dem Erleben des grauenhaften Krieges, wo nach Sinn gesucht wurde und auch nach Antworten gesucht wurde, das war eine Zeit des Theateraufbruchs."

Spielgemeinde Leipzig, das war das Theater der evangelischen Kirche Sachsens. 1951 gründeten die Schauspielerin Ruth Langhammer und der Diakon Herbert Dost die Spielgemeinde als kleines Privattheater mit professionellem Anspruch.
Jürgen Fliegel: "Die wollten das Wort Gottes auf die Theaterbühne bringen. Da wollten sich also mal Profis zusammentun und auch Predigten spielen. Das war sozusagen das Uranliegen."

In den Fünfzigerjahren spielt man in Kirchen, Gasthöfen und Fabrikhallen. Der Staat versucht, die Arbeit der Spielgemeinde zu behindern, wo er kann. 1953, im Jahr von Stalins Tod, wird der Leiter verhaftet und muss mehrere Monate im Gefängnis verbringen. Immer wieder werden Stücke verboten, Darsteller inhaftiert, Tourneen untersagt. Die evangelische Kirche Sachsens schützt die Theaterleute, indem sie sie als Kirchenmitarbeiter anstellt. Fortan hat die Kirche ein eigenes Theater.

Fliegel: "Unsere damalige Berufsbezeichnung stand in unseren Dienstverträgen, "volksmissionarische Mitarbeiter im schauspielerischen Reisedienst."

Esel: "Da draussen ist ein Soldat des König Herodes und will das Kind abholen."
Esel: "Der ist stinksauer. Der sagt: den Herodes in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf."
Ochse: "Lass mich mal. So, den simmer los."

"Wer bei der Spielgemeinde ist, muss mit anpacken, das heißt Kostüme nähen, Bühnenbilder bauen, Busse reparieren, renovieren, Programmzettel verteilen.
Die Spielgemeinde ist ein Tourneetheater. Die Schauspieler fahren zu den Leuten vor Ort. Ihr Publikum finden sie in den vielen Kirchengemeinden im Land."

Alexander Fabisch: "Diese Arbeit, in die Gemeinden zu fahren und auf ganz kleine Dörfer zu fahren und da Theater zu spielen, wo sonst kein Theater hinkommt, das hat uns allen viel Spaß gemacht."

Gunter Fischer übernimmt 1988 – in einer Zeit des gesellschaftlichen und künstlerischen Umbruchs - zunächst die technische Leitung der Spielgemeinde, später dann auch die künstlerische. Er soll die Spielgemeinde zukunftstauglich machen.

Fischer: "Es gab kein Fahrzeug was fuhr, für'n Tourneetheater, Beleuchtungsregelung gab’s dort nicht, sondern es war ein Riesenschaltbrett, jedes Mal, wemmer n Schalter runterdrückte, knallte es, also es gab eigentlich die technischen Voraussetzungen nicht, um Theater zum machen. Stücke, die in der DDR verlegt worden sind, die durften sie nicht spielen. Also wich sie aus auf Stücke selber schreiben. Ruth Langhammer hat viele Stücke selber geschrieben, oder sie wich eben aus auf Stücke, die aus dem Westen kamen, was natürlich auch wieder n Vorteil war, weil man dadurch Stücke anbot, die man hier sonst nicht sah."

Mit der SED-Bezirksleitung verhandelt Fischer über Stücke und mit der Kirche über Geld.

Fabisch: "Es war alles wunderbar, solange es DDR war, da war Kirche was Besonderes, es war ja in Anführungsstriche ne revolutionäre Zelle oder mindestens etwas, wo man hingehen konnte und seine Meinung sagen durfte, auch die Wahrheit hörte und nicht wie in vielen offiziellen Stellen oder Theatern in anderen Städten, wo man das alles zwischen den Zeilen lesen musste.

Fliegel: ""Dann kam natürlich die Wende, plötzlich hatte man keinen gemeinsamen Feind mehr, also den DDR-Staat, - also die Spielgemeinde war damals ein Sammelbecken von Oppositionellen, -und dann musste man erst mal sehen, wie geht Theater überhaupt weiter?"

In den Neunzigerjahren schrumpft das Ensemble. Freiwerdene Stellen dürfen nicht neu besetzt werden. Es gibt zwar nach der Wende keine Zensur mehr, doch der wirtschaftliche Druck wirkt vernichtend. 40 Jahre DDR übersteht die Spielgemeinde, doch im wiedervereinigten Deutschland überlebt sie nur 16 Jahre. 2004 wird sie abgewickelt. Die Kirche kann sich ihr Theater nicht mehr leisten.

Fabisch: "Ich hätte mir das nicht aus der Hand geben lassen, das war was Besonderes, keine andere Landeskirche hatte das, und das einfach so fallen zu lassen und zu sagen: kein Geld mehr, und wir ziehen uns zurück auf unseren Hauptauftrag, Theater hat da nichts zu suchen, das find ich ne vertane Chance."

Die Schauspieler der Spielgemeinde wollen weitermachen, ihre Stücke spielen, in die Gemeinden reisen. Die Kündigung in der Tasche, werden sie aktiv.

Fliegel: "2004 haben wir die Theaterkompanie gegründet und das ist Alexander Fabisch, Bernhard Biller und Jürgen Fliegel."

Fabisch: "”Mit den Gemeinden haben wir natürlich auch ein Publikum, was viele andere freie Theatergruppen nicht haben, und da ham wir gesagt, soglange wir die Chance haben, und solange wir das irgendwie können und die Kraft haben und die Mittel, dann führen wie das weiter fort.""

Biller: "Ich finde, Theater gehört in die Kirche, mehr als man so auf den ersten Blick denkt: das Theater kommt aus dem Ritus, aus dem Gottesdienst, es ist also eine ganz alte Tradition. Es ist auch gut Lutherisch, denn Luther sagt irgendwann: Lehret die Knaben Komödie spielen! Also der hat sich da auch nicht abgewendet."

Fabisch: "Der Ausgangspunkt ist, dass wir Christen sind mit ner freien Sicht auf das Christentum oder auf den christlichen Glauben. Frau Langhammer hat immer gesagt, wir nehmen lieber ´n guten Schauspieler, der sich für Christentum interessiert als n guten Christen, der nicht spielen kann."

Ochse: "Aaaave Mariiiia…"
Esel: "”Ave was?”
Ochse: "Aaaaaaave Mariiiiaaa..."
Esel: "Wenn du so singst, dann schläft das Kinde bestimmt nicht ein."