Was Amerika im Innersten zusammenhält

10.02.2013
Lug und Trug, Sex und Gier, vor allem aber Angst: Das vereint dem Amerikaner Tom Wolfe zufolge seine Landsleute. Und so schreibt er mit spitzer Feder und unverschämt leichtfüßig über Rassismus, Klassenkonflikte und ein brutales Geschlechterverhältnis.
Der Titel ist kein koketter Versuch, sich an Amy Winehouses seltsam erfolgreiches "Back to Black" zu hängen. Tom Wolfe, der notorische "Mann in Weiß", folgt auch mit 81 Jahren nur seiner eigenen Agenda, und zu der gehörte schon im ersten Roman von 1987 die fiebrige ethnische Gemengelage der US-Gesellschaft. "Back to blood! Them and us!" war die panische Reaktion des jüdischen New Yorker Bürgermeisters auf antisemitisches Gepöbel schwarzer Demonstranten. Im deutschen "Fegefeuer der Eitelkeiten" steht "Rasse" statt "Blut". Aber man muss sich nicht durchs Original gefiebert haben, man erfährt im Prolog, dass in "Back to Blood" etwas weitergesponnen wird: "... aber an irgendwas muss doch jeder glauben. Tja, liebe Leute, dann bleibt uns nur noch eins, das uns verbindet: das Blut. Alle Menschen, überall, haben nur noch einen Gedanken - Zurück zum Blut." Diesmal ist es panische Gedankenprosa eines weißen angelsächsischen Protestanten, der "WASPer" kaum sein kann. Seine Gattin, ihrerseits Klischee der postfeministischen weißen Erfolgsfrau, Hybridauto inklusive, hat sich gerade auf einem Parkplatz mit einer latina im Porsche eine Pöbelschlacht geliefert.

Im jüngsten Roman nimmt Wolfe seine alten Fäden wieder auf und zieht sie durch Miami: den Rassismus, den Klassenkonflikt, das - freundlich gesagt - brutale Geschlechterverhältnis. Alle tief eingewoben in die Gesellschaft, durch kleinste Auslöser entflammbar und in Internetzeiten "viral" gefährlich. Sein Blick auf die Gesellschaft ist noch bös-satirischer. Was sein Amerika im Innersten zusammenhält, sind Lug und Trug, Gier und Gewalt, vor allem aber Angst. Wolfes Amerika ist angst-ridden und over-sexed. Jedenfalls in den Metropolen - für ihn die Klimazonen, in denen mit der Zukunft der Nation experimentiert wird. Wolfe betreibt keine Zeitgeistsuche, sondern Klimaforschung, und zwar mit allen stilistischen Mitteln: der notorischen Flammenwerferprosa, diesem wilden Mix aus Gedankenprosa, auktorialem Erzählen, Lautmalerei, Versalien und umfunktionierten Satzzeichen; lustvoll in Karambolagen gehetzten Klischees; brüllkomischen Szenen und hundsgemeinen Plot-Twists. Von denen wird hier nur der erste verraten.

Nestor Camacho, 25, die wandelnde Fitnessreklame mit der Dauerangst, "Scheiße zu bauen", latino-Polizist auf Probe bei der Marine Patrol, wird vom americano-weißen Sergeant einen Bootsmast hochgejagt. Oben hängt ein Kubaner. Nestor wird zum Helden, weil er ihn rettet, und gleichzeitig zur Hassfigur für immer mehr Nicht-americanos auf der Brücke nebenan, denn der Mann wird verhaftet und wohl zurück nach Castroland geschickt. Und das alles nur, weil Nestor, der Kubaner der zweiten Generation, kein Spanisch spricht. Er wird zum Spielball der vertrackten Dynamiken von Macht, Medien, Mehrheiten, Minderheiten und political correctness quer durch sämtliche ethnischen, sozialen, kriminellen Milieus. Was Wolfe da inszeniert hat, ist ein Parforce-Ritt sondergleichen, ein geradezu unverschämt leichtfüßig erzählter und von Wolfgang Müller ebenso lässig gut übersetzter echter Pageturner.

Besprochen von Pieke Biermann

Tom Wolfe: "Back To Blood"
Aus dem Englischen von Wolfgang Müller
Blessing Verlag, München 2013
768 Seiten, 24,99 Euro