Warum wir ewig leben wollen

Von Adolf Stock · 24.03.2012
Manche streben nach großen Taten für den ewigen Ruhm, andere lassen ihren Körper tiefgefrieren: Der Wunsch nach Unsterblichkeit prägt unsere Zivilisation. Warum? Weil die Angst vor dem Tod ganz natürlich ist, schreibt der britische Diplomat und Philosoph Stephen Cave.
Was tun wir nicht alles für die Unsterblichkeit: Wir lassen uns tiefgefrieren, um eines Tages wieder aufzuerstehen, wir ziehen in grausame Kriege für den ewigen Ruhm, wir meditieren Tag für Tag, um die Ewigkeit zu spüren, oder führen ein gottgefälliges Leben, in der Hoffnung auf Himmelsfreuden und Seelenheil.

"Die Frage ist, warum haben wir diese Todesangst überhaupt? Wir haben diese Todesangst nicht, weil sie wahr ist, weil sie objektiv begründet ist, sondern weil sie nützlich ist, weil nur die Wesen, die Angst vor dem Tod haben, lange genug überleben, um sich fortzupflanzen, ihre Gene weiterzugeben. Also, es ist tief in allen unseren Knochen, dass wir Angst vor dem Tod haben."

Das sagt Stephen Cave, Verfasser des Buchs "Unsterblich", in dem er versucht, unseren Wunsch nach dem ewigen Leben zu verstehen. Dieser Wunsch, so Cave, entspringt einem Paradoxon: Wir wissen um die Unendlichkeit, und gleichzeitig wissen wir auch, dass wir sterben müssen. Um das ewige Leben zu finden, haben die Menschen mehr oder weniger kluge Strategien entwickelt. Dabei unterscheidet Cave vier grundsätzliche Wege, die zur Unsterblichkeit führen sollen.

"Wir können weiterleben, Körper und Geist zusammen wie jetzt, wie heute. Und wenn der Körper zusammenbricht und wir doch sterben, können wir vielleicht wieder auferstehen, das ist der zweite Weg. Oder vielleicht kann der Geist alleine fortleben, das wäre dann der dritte Weg, als eine Seele Unsterblichkeit zu erreichen. Und wenn Körper und Seele es nicht mehr schaffen, dann brauchen wir ein Vermächtnis, um weiterzuleben."

Stephen Cave fragt sich natürlich auch, ob diese Strategien tatsächlich zum Gipfel der Unsterblichkeit führen. Die Ernüchterung folgt peu à peu. Cave nennt eine Unzahl ganz praktischer Dinge: Wie können Menschen, die nach einem Unfall mit starken Verletzungen zu Tode gekommen sind, körperlich unversehrt wieder auferstehen? Natürlich will auch keiner krank oder gebrechlich die niemals endende Zeit verbringen. Trifft man im Himmel seine Freunde wieder? Fragen über Fragen. Und selbst wenn die Seele zu Gott in den Himmel käme, was würde sie den lieben langen Tag tun?

Die frühen Christen versprachen die Wiederauferstehung des leiblichen Körpers, damit haben sie eine Hoffnung geweckt, die bis heute im Zentrum des Glaubens steht.

"Für die meisten Leute der Zeit war das eine ganz neue Vorstellung, eine traumhafte Vorstellung, weil sie sonst diese Schattenwelt, diesen Hades, diese Unterwelt sich vorgestellt haben, dieses graue Halbleben. Also plötzlich kommen diese Leute und sagen, also wenn man an Jesus glaubt, dann hat man die Möglichkeit, physisch in diesem Körper in einem Paradies ewig zu leben, das ist natürlich sehr attraktiv."

Berichte aus diesem Paradies gab es und gibt es aber nicht, und es stellt sich die drängende Frage, was verbindet den Menschen, der stirbt, mit dem Mensch, der wieder aufersteht?

"Zum Glück gab es dann im dem Milieu der Zeit, in den Philosophien der Zeit ein ganz gutes Konzept, das diese Zeit überbrücken konnte, und das war die Seele. Die Tatsache, dass dieser auferstandene Mensch die gleiche Seele hat wie ich, stellt sicher, dass ich der Auferstandene bin."

Damals wanderte der Glaube an die Seele ins Christentum. Folgt man Cave, so hat der Glaube an einen göttlichen Funken in uns die abendländische Kultur dauerhaft geprägt und unsere Zivilisation vorangetrieben. Er hat uns gelehrt, dass jeder Mensch eine unantastbare Würde besitzt und etwas ganz Besonderes ist.

"Das wollen wir alle natürlich glauben, also ich sage auch meinen Kindern, dass sie was Besonderes sind, weil es geht nicht, wenn alle anderen Kinder glauben, sie sind was Besonderes, ich kann dann nicht meinen Kindern sagen, die sind das nicht. Ich meine, dann überlebt von alleine dieser Glaube und wie gesagt, es hat unsere gesamte Gesellschaft so geprägt, dass es Jahrhunderte dauern würde, bis wir uns etwas anderes vorstellen können."

Nicht nur Christen glauben, dass sie etwas Besonderes sind, wir alle denken so. Es ist ein Glaube, der uns individuelle Freiheiten gebracht hat, Demokratie und Menschenrechte. Zu viel Individualismus kann aber auch schaden.

In seinem Buch erzählt Stephen Cave von dem Wunsch nach Unsterb-lichkeit, doch im letzten Kapitel versammelt er Fragmente für eine ganz neue Geschichte. Es sind Gegenstimmen weiser Leute, die auf andere Weise versuchen, mit der Sterblichkeit zurechtzukommen.

"Das finden wir unter den Philosophen, aber auch in den Religionen. Im Christentum finden wir das im Alten Testament, in den sogenannten Weisheitsbüchern, da sollen wir lernen, unsere Tage zu zählen. Wenn unsere Tage unendlich sind, schätzen wir die nicht. Und das findet man auch im Buddhismus, das findet man sogar im alten Ägypten, einer Kultur, die von Unsterblichkeit besessen war."

Stephen Caves Buch liest sich spannend wie ein Kriminalroman. Was tun die Menschen nicht alles, um dem Tod zu entrinnen! Mit souveräner Empathie und Distanz – wie es wohl nur ein Brite vermag – ist Stephen Cave ohne Wenn und Aber der europäischen Aufklärung verpflichtet.

"Man kann dann denken, vielleicht brauchen wir einen Glauben an Unsterblichkeit, dass es nicht möglich ist für einen Mensch, mit der Sterblichkeit zurecht zu kommen, aber wenn man diesen anderen Weg betrachtet, diese Weisheitstradition, kann man sehen, dass es doch möglich ist, aber man muss bewusst mit der Angst, mit der Todesangst umgehen, um die Gründe der Unsterblichkeitssehnsucht infrage zu stellen und zu unterminieren."

Es bleibt ein schwieriger Weg. Wir Menschen können an das ewige Leben glauben, und wir können dem Tod mutig ins Auge blicken. Stephen Caves literarischer Text, der die vier Unsterblichkeitserzählungen souverän zusammenfasst und uns mit den Weisheitserzählungen einen alternativen Weg aufzeigt, hilft beim Spagat zwischen Hybris und falscher Bescheidenheit. Ein wahrhaft philosophisches Buch.

Stephen Cave: Unsterblich. Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben als Triebkraft unserer Zivilisation
Aus dem Englischen von Michael Bischoff
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012
368 Seiten, 22,99 Euro
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