Warum liebt die "Bild"-Zeitung Guttenberg so sehr?

Michael Spreng im Gespräch mit Dieter Kassel · 24.02.2011
Guttenberg-Stories verkaufen sich besser als Schlagzeilen über Thomas de Maizière, sagt der frühere Chefredakteur der "Bild am Sonntag", Michael Spreng. Der Verteidigungsminister sei der erste "Popstar" der Politik. Und Fans blieben ihrem Idol nun mal treu, egal in welche Skandale es gerate.
Kassel: Warum liebt die "Bild"-Zeitung Guttenberg so sehr?

Spreng: Ja gut, es sind zwei Gründe: Einmal versteht sich ja die "Bild"-Zeitung schon als Sprachrohr der Mehrheitsmeinung der Deutschen und ihrer Leser. Und sie haben das Gefühl, was ja demoskopisch gedeckt ist, dass Guttenberg sehr beliebt war und offenbar auch noch ist. Der zweite Grund ist: Es ist eine Win-win-Situation. Guttenberg hat sich selbst immer gut verkauft, und mit Guttenberg verkauft man gut. Schlagzeilen mit Guttenberg verkaufen sich besser als Schlagzeilen über Thomas de Maizière, das liegt auf der Hand. Ein ähnlicher Mechanismus ist ja auch zu beobachten nicht nur bei der "Bild"-Zeitung, sondern auch bei bunten Blättern, den Yellow-Blättern und der "Bunten", die ja auch wahre Guttenberg-Festivals gefeiert haben.

Kassel: Aber das, diese Erwähnung auch der anderen Blätter, die ihn gefeiert haben, bringt uns doch auch zu einem entscheidenden Unterschied: Das ist ja nicht das erste Mal, dass Zeitungen des Springer-Konzerns einen Politiker, na ja, ich sage mal featuren. Das haben sie mit Helmut Kohl lange Zeit gemacht, es gibt andere Beispiele. Aber bei Guttenberg habe ich das Gefühl, dieser Kult, der da betrieben wird, der erinnert mich eher an die Popkultur als an die politische Kultur.

Spreng: Ja, das ist ja ein weiterer … das ist ja … Teil des Phänomens Guttenbergs ist ja, dass gewissermaßen jetzt die Popkultur Einzug hält in die politische Kultur. Er gilt als Popstar, als Superstar, und wir beobachten jetzt ja auch, in diesem Doktor-Skandal beobachten wir ja auch, dass diese Zustimmung offenbar ungebrochen ist. Das kann man ja auch bei Fans beobachten von Popstars: Gleichgültig, welche Exzesse vorkommen oder welche Skandale – das schweißt die Fans eher noch enger an ihr Idol und die Bewunderung bleibt. Also dieser Einbruch der Popkultur in die politische Kultur ist für mich das eigentlich Faszinierende.

Kassel: Nun reden diejenigen, die Guttenberg als ein Opfer von anderen Zeitungen gejagt sehen, reden von einer Kampagne bei der "Süddeutschen" oder beim "Spiegel". Würden Sie umgekehrt von einer Pro-Guttenberg-Kampagne bei "Bild", "Bild am Sonntag" und "Welt" sprechen?

Spreng: Ja gut, die "Bild"-Zeitung hat sich ja sehr eng mit dem Hause Guttenberg verbunden. Frau zu Guttenberg ist Botschafterin der "Bild"-Aktion Herz für Kinder, Herr zu Guttenberg hat sich auch schon als Model quasi zur Verfügung gestellt, die "Bild"-Zeitung hat ja mal eine 3D-Ausgabe gemacht, da war die ganze Seite der Verteidigungsminister in einer Art Top-Gun-Pose, den man dann mit 3D-Brille bewundern konnte. Also da gibt es enge Verbindungen. Und die "Bild"-Zeitung ist Teil des Hauses zu Guttenberg oder zu Guttenberg ist Teil des Hauses "Bild".

Kassel: Wie läuft denn sowas ab? Sie haben ja diese Erfahrungen aus Ihrer Zeit als "Bild am Sonntag"-Chefredakteur. Wenn im Springer-Konzern beschlossen wird, ein Politiker wird nur noch positiv dargestellt in der Zeitung – läuft das sehr subtil, oder gibt es dann so eine Art Hausmitteilung an alle?

Spreng: Nein, das gibt es nicht, also zumindest zu meiner Zeit gab es das nicht. Also ich war ein sehr souveräner Chefredakteur und habe aus eigener Verantwortung und Kraft entschieden, habe auch nie Anweisungen bekommen. Es gibt … und das sehe ich heute auch so. Ich glaube die "Bild"-Chefredaktion macht das aus eigener Überzeugung und aus kaufmännisch-wirtschaftlichem Kalkül, da gibt es keine Hausanweisung, das sehe ich nicht so.

Kassel: Nun war gestern in der Fernsehsendung "Hart aber fair" Nikolaus Blome zu Gast, das ist der Leiter des "Bild"-Hauptstadtbüros, und der hat gesagt, das sei gar nicht wahr, dass man immer ausschließlich positiv über Guttenberg berichtet habe. Man – die "Bild"-Zeitung – habe ihm zum Beispiel den Kundus-Untersuchungsausschuss eingebrockt, und dass er sich am Ende auch um die Gorch-Fock-Affäre kümmern musste, das sei auch Schuld der "Bild" gewesen. Stimmt das, wenn Blome sagt, im Grunde genommen haben wir ganz objektiv berichtet?

Spreng: Nein, das sehe ich jetzt nicht … Ja gut, die "Bild"-Zeitung hat da schon einige Enthüllungen gehabt, aber sie haben alle zu Guttenberg genutzt. Es waren keine Enthüllungen zu seinem Schaden. Dieser Feldjäger-Bericht in der Kundus-Affäre hat zu Guttenberg die Chance verschafft, seine Meinung zu ändern, indem er dann plötzlich diesen Kundus-Einsatz, diese Bombardierung der Tanklaster als nicht mehr angemessen bezeichnen konnte. Das wäre ohne die "Bild"-Zeitung nicht gelungen.

Und im Fall der Gorch Fock hätte er ohne die "Bild"-Zeitung und den von ihr angekündigten neuen Enthüllungen nicht den Kommandanten der Gorch Fock suspendiert. Also ich sehe da keinen Beitrag jetzt direkt zum objektiven Journalismus, auch wenn es interessante Enthüllungen waren. Sondern das waren in Wirklichkeit am Ende dann immer Hilfestellungen, damit sich Guttenberg als Entscheider darstellen konnte.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute Vormittag mit Michael Spreng, Journalist und Politikberater, ehemaliger Chefredakteur der "Bild am Sonntag", und Sie haben vorhin gesagt, Herr Spreng, bei der "BamS" als Chefredakteur haben Sie souverän entschieden, auf der anderen Seite, wenn wir jetzt mal in die "Bild"-Zeitungsredaktion denken, heute auf Seite 2, zu Guttenberg, gleich zwei Kolumnen, die sich natürlich auch pro Guttenberg äußern, die von Ernst Elitz und die von Franz Josef Wagner. Glauben Sie denn, wenn einer von beiden gestern dem Chefredakteur gesagt hätte, ich bin jetzt aber doch für einen Rücktritt und möchte das schreiben, dass er das dann gedurft hätte?

Spreng: Ja gut, bei den Kommentatoren, die werden ja auch von der Chefredaktion ausgewählt und da gibt es Vorgespräche, wie ihre Meinung zu einem Thema ist – Franz Josef Wagner ist ein Sonderfall, der hat eine gewisse Narrenfreiheit, der kann schreiben, was er will. Aber er hat ja schon mehrmals demonstriert, dass er den Guttenberg sehr gut findet, und insofern ist da nicht zu befürchten, dass er eine andere Meinung vertritt.

Kassel: Was wird denn die "Bild"-Zeitung eigentlich machen, wenn Karl-Theodor zu Guttenberg in den nächsten Tagen doch noch sagt, ich trete zurück?

Spreng: Ja, dann wird sie Tränen vergießen. Aber ich glaube, zu Guttenberg wird nicht zurücktreten. Er ist ja stabilisiert worden unter anderem auch mit Hilfe von Massenmedien wie der "Bild"-Zeitung, aber auch wegen seiner ungebrochenen Popularität. Das ist ja ein Faktum, das man anerkennen muss, auch wenn man darüber vielleicht bestürzt ist oder das nicht nachvollziehen kann. Also die "Bild"-Zeitung kann schon für sich in Anspruch nehmen, auch mit der heutigen Schlagzeile, dass sie im Einklang mit der Mehrheitsmeinung offensichtlich der Bevölkerung ist, wenn der demoskopische Befund stimmt. Und das ist natürlich für eine Boulevardzeitung, die vom Verkauf lebt, auch eine gute Marktchance.

Kassel: Das heißt, Sie sehen es schon eher so, dass die Bevölkerung ohnehin eine starke Pro-Guttenberg-Stimmung hat und dass die "Bild"-Zeitung darauf reagiert und nicht umgekehrt?

Spreng: Ja, beides. Das ist ja häufig nicht zu unterscheiden, wie mit der Henne und mit dem Ei. Guttenberg war und ist eine politisch charismatische Figur, die sich von anderen Politikern abhebt. Und er war eine Alternative zu den vielen graugesichtigen Politikern und wurde deswegen gerade von der Verkaufspresse freudig begrüßt, weil mit den anderen graugesichtigen Politikern kein Verkauf zu erzielen ist. Und auf der anderen Seite hat er geliefert und die Blätter bedient, mit Home-Stories, mit anderen Geschichten. Und so ist daraus diese Win-win-Situation entstanden.

Kassel: Nun haben Sie aber selber schon mal in Ihrem Blog, auch im Zusammenhang mit Guttenberg, den früheren DGB-Vorsitzenden Heinz Oskar Vetter zitiert mit dem Satz: Wer sich in "Bild" begibt, kommt darin um. Glauben Sie denn, wenn alles anders gekommen wäre und die Mehrheit der Bevölkerung gesagt hätte, sagen wir mal, eine knappe Mehrheit, 60 Prozent, nein, nein, nein, das geht nicht so weiter mit Guttenberg, dass dann die "Bild"-Zeitung plötzlich was anderes geschrieben hätte?

Spreng: Ein Gedanke zurück vielleicht dazu, was ich in meinem Blog geschrieben habe, meinte ich damit: Ein Politiker, der sich zu eng auf ein Blatt einlässt und gewissermaßen dann auch von diesem Blatt medial geführt wird, tut sich auf Dauer keinen Gefallen, denn er verliert die Souveränität über seine Selbstdarstellung. Und diese Gefahr besteht bei zu Guttenberg immer. Also dieses enge Bündnis mit der "Bild"-Zeitung kann für ihn auch mal zum Verhängnis werden, also das meinte ich mit der Erwähnung des Zitats von Heinz Oskar Vetter.

Kassel: Auf der anderen Seite müssen doch aber selbst Sie jetzt überrascht sein, denn Sie haben vor ein paar Tagen noch in einem Interview mit dem "heute journal" gesagt: Wenn die Universität Bayreuth Guttenberg den Doktortitel aberkennt, ist seine politische Karriere zu Ende. Nun hat die Uni Bayreuth das gestern Abend getan, und es sieht doch jetzt im Moment nicht nach einem Ende der Karriere aus.

Spreng: Ja, da habe ich mich insofern getäuscht, dass ich die negativen Wirkungen stärker eingeschätzt habe. Es kommt allerdings auch hinzu, dass ja zu Guttenberg mit einem Trick gewissermaßen diesem Urteil der Universität Bayreuth zuvorgekommen ist, indem er seinen Doktortitel, wie er es nannte, selbst zurückgegeben hat.

Kassel: Was ja gar nicht geht, wie wir dann lernen mussten.

Spreng: Genau, aber damit hat er gewissermaßen die total negative Wirkung der Entscheidung der Universität Bayreuth unterlaufen, und hat das Ganze garniert mit einer neuen Demutshaltung und selbstkritischen Haltung. Er sprach ja selbst von Hochmut bei sich selbst. Also er hat, nachdem er anfänglich katastrophales Krisenmanagement betrieben hat, mit seiner Rede in Kelkheim gewissermaßen noch die Kurve gekriegt.

Kassel: Ist das, was die "Bild"-Zeitung da schürt oder die Welle, auf der sie reitet, auch so ein bisschen eine Anti-Intellektuellen-Stimmung? Denn mir scheint, ein Fehler, den die Gegner am Anfang gemacht haben, ist, dass sie nicht gesagt haben, er hat bei seiner Doktorarbeit geschummelt, sondern sie haben gesagt, er hat bei seiner Doktor-arbeit geschummelt, und dann sagen viele Leute, na ja, Doktorarbeit, das wird ja eh überschätzt.

Spreng: Ja gut, die "Bild"-Zeitung ist ja, wie soll man sagen, kein akademisches Fachblatt, und insofern ist sie auch da im Einklang mit ihren Lesern. Sie ist … für ihre Leser ist ein Doktortitel doch etwas ganz weit Entferntes und nicht Nachvollziehbares, das ist das Eine und das Zweite ist: Die "Bild"-Zeitung baut natürlich darauf, dass jeder Mensch im Leben schon mal irgendwo geschummelt hat, sei es bei der Steuer oder sei es in der Schule. Und diese Stimmung trägt dann auch zu Guttenberg, weil die meisten Menschen ja nicht überblicken, dass das schon eine andere Bedeutung hat, einen Doktortitel sich zu erschummeln als in der Schule mal abzuschreiben.
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