Warum ist es in Freiburg so schön?

Von Uschi Götz · 05.04.2007
Das weite Rheintal öffnet Freiburg nach allen Himmelsrichtungen. Freiburg ist die Stadt mit den meisten Sonnenstunden Deutschlands und gilt als die wärmste Großstadt Deutschlands. Mediterranes Klima, Weinbau und die Nähe zu Frankreich - die Freiburger sind irgendwie anders als alle anderen.
Jünger, innovativer, kultureller - dahinter stecken sogar statistisch ermittelte Werte. Tradition ist hier die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche. Universität, Musikhochschule und nicht zuletzt der größte, deutsche theologische Herder- Verlag pflegen genau das, was in Freiburg gesucht und gefunden wird und über dem Verlagshaus in der badischen Sonne glitzert: "Geist schafft Leben".

"Ich wohne schon sehr lange hier in Freiburg. Ja, freiwillig! Also ich komme aus Westfalen und habe Freiburg dann mal kennen gelernt an einem Wochenende und da habe ich gesagt: hier möchte ich mal leben. Das ganze Flair, dann dass man in kurzer Zeit in der Schweiz, in Frankreich und überall ist. Hatte schon ein bisschen südliches Flair ..."

Im Kreuz den Schauinsland, einer der höchsten Berge des Schwarzwalds, vor ihm? Der Oberrheingraben. Höhe und Weite. Landschaften formen Charakter. Es ist kein charismatischer Menschenschlag, den man in der südlichsten Großstadt Deutschlands antrifft. Es sind eher die Urenkel der badischen Revolution; sie müssen den Widerstand in den Genen haben. Revoluzzer, hart, aber anziehend, wortkarg bis zum dritten Glas Wein, und doch - gradlinig ehrlich.
Rolf Disch, Solararchitekt und Ur - Freiburger:

"Ich glaube, dass es daran liegt, dass wir vor über drei Jahrzehnten erfolgreich gegen das Atomkraftwerk Wyhl gekämpft haben. Das Atomkraftwerk wurde verhindert und damals sind ja alle Leute zusammengestanden; das waren die Bauern am Kaiserstuhl, das waren die Studenten hier in der Stadt, das waren andere Bevölkerungsschichten, die zusammengestanden haben, und die gesagt haben: Wir wollen das nicht!"

Nein haben wir gesagt und dieses Nein sollte als Wendepunkt der deutschen Atompolitik in die Geschichtsbücher eingehen. 1973 wird Wyhl am Kaiserstuhl als Standort für ein Atomkraftwerk genannt. Bürgerinitiative schließen sich zu einem Internationalen Komitee zusammen. Im Jahr 1975 beginnen die Bauarbeiten. Zwei Jahre später demonstrieren über 28.000Menschen gegen den Bau des Kraftwerks; Arbeiter, Akademiker und Studenten, auch der Philosoph Martin Heidegger ist unter den Demonstranten.

Es sind vor allem Freiburger Studenten, die erneut den Bauplatz besetzen. Die Besetzungsaktion dauert acht Monate. Ein Baustopp wird angeordnet und wieder aufgehoben und so geht es weiter, viele Jahre. Immer wieder kommt der geplante Standort Wyhl in die Schlagzeilen. Doch, ein Atomkraftwerk wurde in Wyhl nie gebaut. Mittlerweile ist der Bauplatz als Naturschutzgebiet ausgewiesen.

Wyhl liegt rund 35 Kilometer von Freiburg entfernt. Doch der Widerstand der sich einst im Wyhler Wald formierte, wurde von vielen Freiburgern maßgeblich unterstützt. So entstanden in diesen Zeiten die Umweltschutzorganisation BUND das Öko-Institut Freiburg und die "Grüne Partei". Bis heute fahren die Grünen ihre besten Wahlergebnisse in Freiburg ein. Hier sind sie groß geworden. Eng mit dem Widerstand ist auch die Geschichte von Radio Dreyeckland verbunden. Das älteste, nicht-kommerzielle Radio ging 1977 auf Sendung, zunächst als Radio Verte Fessenheim. Düster und bedrohlich war die Auftaktsendung in französischer Sprache:

Grenzüberschreitend und unerlaubt, sendete Radio Verte im Dreiländereck Schweiz, Frankreich und Deutschland. Im Mittelpunkt der Sendungen die geplanten Kernkraftwerke Wyhl und das Schweizer AKW Kaiseraugst, ebenso das französische Kernkraftwerk Fessenheim, das bereits am Netz war:

Auszug aus einer Radiosendung: "... Diesmal hat in Südbaden im Katastrophengebiet von Fessenheim auf deutschem Boden, der letzte Unfall, ne viel größere Beunruhigung ausgelöst als es bisher der Fall war, als es vorher der Fall war. Das hat alles andere ausgelöst als Beruhigung Denn man wusste, die Leute, die jetzt reden, haben ne Job uns zu beruhigen, koste es was es wolle. Zum Beispiel sofort die Behauptung, die sofort immer kommt: Es ist keine Radioaktivität nach außen gekommen. Woher wollen sie das wissen? Sie können es natürlich nicht wissen."

Das war 1980. Radio Dreyeckland gibt es immer noch, in diesem Jahr feiert der Sender sein 30-jähriges Bestehen. Seit 1988 sendet Radio Dreyeckland ganz legal. Mittlerweile sitzen die früheren Hörer am Mikrophon:

"Ich gehöre nicht zur Ur-Generation dazu, das heißt, bei uns war es noch so in der Schule, dass man sich gegenseitig zugeflüstert hat, dass mal Radio Dreyeckland irgendwo auf irgendeiner Frequenz sendet."

Beflügelt vom gelungenen Widerstand machen die Enkel weiter. Doch der nachgewachsenen Generation scheint der Auftrag abhanden gekommen zu sein. Andreas Reimann von Radio Dreyeckland, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit:

"Was ich beobachte ist, dass sich so ein bisschen diese Leidenschaft verändert hat. Also man hat so nicht mehr diese Leidenschaft, man muss jetzt unbedingt die Information bringen, die sonnst untergehen, weil sicher die Medienlandschaft so breit ist, es gibt ganz viele Kanäle wo man mehr Informationen bekommen kann. Ich denke aber nach wie vor, dass es ganz vieles gibt, was nicht wahrgenommen wird und da haben wir weiterhin unseren Kernbereich. Was ganz entscheidend ist, bei uns können die Betroffenen noch Sendungen machen, ganz ungefiltert, ohne dass sie einer interviewt und das ist immer noch was ganz entscheidend anderes, das, was uns auch ausmacht.
Da hat sich langsam was entwickelt hier und ich glaub, wir sind durch die Konfrontation mit dem Kernkraftwerk Wyhl, ein klein bisschen weiter als andere – vielleicht – ich mache jetzt ein Fragezeichen dahinter, aber das ist so meine Erklärung im Bewusstsein."

"Wenn man mit Sonnenstrahlen Bomben bauen könnte, gebe es schon längst wirtschaftlich arbeitende Sonnenkraftwerke." Dieses Zitat des Ökonomen Helmar Nahr liest der Besucher, bevor er zu Rolf Disch vordringt. König heißt er, Sonnenkönig oder Solarpapst. In den Hochzeiten der Anti-AKW-Bewegung fing er an Solarautos zu basteln, heute gehört er zu den weltweit renommiertesten Solararchitekten.

Die Süddeutsche nannte ihn einen Weltverbesserer mit Schwarzwälder Dickschädel. Disch hat in Freiburg das modernste Solarbauprojekt Europas verwirklicht. Kernstück ist ein über 120 Meter langes Wohn- und Geschäftshaus, das Freiburger Sonnenschiff. "Hier kann die Energiewende gelebt werden", sagte jüngst einer der Bewohner und der Kapitän selbst:

"Also wir wussten, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wir wussten, dass das kommt und wir haben auch in Kauf genommen, dass wir ausgelacht worden sind, am Anfang, das wir bekämpft werden ... das ist immer noch so, man versucht ja krampfhaft am Alten festzuhalten, auch wenn man Lippenbekenntnisse führt und ... alle sind für den Klimaschutz, es gibt niemand, der nicht als Klimaschützer auftritt. Man sieht es ja an den Umfragen, ich kann da nur lachen, wenn dann über 80 Prozent der Bevölkerung sagen, sie tun schon was für den Klimaschutz, das ist mit Sicherheit noch lange nicht so."

Doch Disch wäre kein Freiburger, kein Dickschädel, wenn er nicht an das Gute, an die Wende, an die Energiewende glauben würde:

"Es gibt immer mehr Akteure und es gibt immer mehr Ungeduldige. Zu den Ungeduldigen zähle ich mich auch. Wir werden uns weiterhin einbringen und die Gesellschaft voranzubringen. Es braucht eben eine größere Bewegung und ich bin sicher, dass die kommt, die Frage ist, schaffen wir es rechtzeitig? Es ist eine Frage der Zeit."

Als zuversichtliche Pessimisten könnte man sie auch bezeichnen, diese Freiburger. Egal wen man trifft, keiner vergisst zu warnen und doch lassen sie einen in Hoffnung zurück.

Und das wirkt anziehend auf Suchende. Die Stadt hat über 200.000 Einwohner, seit Jahren zieht es im Vergleich zu anderen Städten überdurchschnittlich viele in die südlichste Stadt Deutschlands. Verlockend vielleicht auch die klimatischen Aussichten. Freiburg ist die Stadt mit den meisten Sonnenstunden und in Deutschland die wärmste Stadt. Prof. Helmut Mayer, Direktor des Meteorologischen Institutes der Universität Freiburg hört den städtischen Werbeslogan nicht gerne:

"Ich kann das Attribut nicht ganz nachvollziehen. Freiburg hat so viele andere Sachen und so viele Seiten, dass sich damit deutlich besser werben lässt. Und wenn ich mir jetzt vorstelle, was die regionalen Klimamodelle prognostizieren für den Südwesten in Deutschland, also auch für Freiburg, dass es heißer werden wird und die Hitzeperioden werden länger andauern. Dann denke ich, dass es schon bald nicht mehr opportun ist, dass man mit dem Attribut ‚wärmste Stadt in Deutschland’ wirbt Denn: eigentlich wird es ja dann so sein, dass die Leute sagen, was – im Sommer nach Freiburg da ist es ja fürchterlich heiß, da fahre ich lieber nicht hin, da gehe ich lieber In die Hochlagen des Schwarzwaldes, wo es angenehmer ist."

In Freiburg kommt die Hoffnung immer nachts. Wie das Wasser in den Rinnen rund um den Markplatz und eben die Sonne zu Freiburg gehören, gesellt sich noch ein düster klingender Geselle zu dem, was Freiburg bis zum heutigen Tag klimatisch angenehm macht: der Höllentäler. Ein Wind, weitaus harmloser als sein Name:

"Der Höllentäler hat auch im Bereich der Stadtplanung eine ganz große Bedeutung. Es gibt also einige Bauvorhaben, wo man immer geschaut hat, dass man die Wirkung des Höllentälers möglichst wenig beeinträchtigt. Er hat eine reinigende Wirkung und auch eine abschwächende Wirkung im Sommer bei der Hitze."

In der Nacht bildet sich Kaltluft im Schwarzwald und diese kalte Luft ist schwerer als warme Luft. Frische Luft fließt dann ab in Richtung Freiburg. Aber auch der Höllentäler hat einen Widersacher, wie sollte es anders sein in Freiburg. Dieser hat tagsüber seinen Auftritt:

"Das ist dann der Antihöllentäler, der hat eigentlich so keine große Bedeutung, weil so im Zielbereich, da ist keine Siedlung. Während der Höllentäler, der trifft ja auf Freiburg in der Nacht; der ist zwar nicht jede Nacht wirksam, aber relativ häufig und der Höllentäler bewirkt dann, dass die Luftverunreinigungen aus der Stadt rausgetrieben werden, dass es zu einer thermischen Entlastung kommt."

An einer Stelle ist es immer windig in Freiburg. Auf dem 116 Meter hohen Freiburger Münsterturm. Jener Turm von dem es heißt, er sei der schönste Turm der Christenheit, 333 Stufen sind es wohl, für den, der seine Sinne beieinander behält. Das Freiburger Münster, im Herzen von Freiburg, zieht jedes Jahr Tausende Besucher an. Erzbischof Robert Zollitsch:

"Ich bin froh über jeden, der ins Münster kommt, denn das Münster spricht eine Sprache, die viele Menschen so sonst nicht hören und ich sehe eine Chance, dass Menschen das Münster als Kunstwerk - und es ist ein Kunstwerk von europäischem Rang – dass sie dann auch etwas von der Botschaft aufnehmen, denn es ist ein Kunstwerk, das entstanden ist aus dem Glauben der Menschen und ich meine, dass auch immer wieder Leute aufgeschlossen werden, durch die Kunst für die Kunst die das Münster, die das Evangelium weitergibt."

Zweifelsohne gehört auch der Erzbischof zu jenen Freiburger hoffnungsfrohen Pessimisten. Welche Symbole würden unser kulturelles Gedächtnis prägen, wenn es den Ruf zur Umkehr, die Versöhnung von Gott her, die Eröffnung einer neuen Sicht auf das eigene Leben nicht gäbe", fragte Zollitsch beim Aschermittwoch der Künstlerinnen und Künstler in Freiburg:

"Kunst drückt ja immer aus, was die Menschen bewegt und enthält auch eine Botschaft für Menschen. Und ich stelle mir vor, dass Künstler auch dieses Thema Umkehr zur Sprache bringen; so hat ein Künstler eine Chance die Sprache des Herzens zu sprechen, über das Bild oder auch wenn ich an die Musik denke – über das Ohr Menschen anzusprechen und in tiefere Schichten Hinein zu dringen in die wir mit Worten oft nicht kommen."

Auch mit den Seinen geht er hart ins Gericht. Selbstkritisch räumt er ein, dass Klimaschutz auch für die Kirche und die Bischöfe in Deutschland lange Zeit nicht das Top-Thema gewesen sei. Seit Jahren verleiht die Erzdiözese einen Umweltpreis. In diesem Jahr nutze der Freiburger Oberhirte die Verleihung zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für den Klimaschutz.

Nicht weit vom Münster liegt die Albert-Ludwigs-Universität. Mehr als 60 Studienfächer stehen in elf Fakultäten zur Auswahl. In diesem Jahr wird die Universität 550 Jahre alt: Zurzeit hat die Albert-Ludwigs-Universität rund 21.500 Studenten. Einzigartig in Deutschland ist das IGPP – das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene. Das weltweit größte Institut seiner Art. Diplom Pychologe Eberhard Bauer:

"Das Bindeglied besteht zur Uni einmal durch die Bibliothek und dann haben Kollegen Lehraufträge für Grenzgebiete der Psychologie, zum Beispiel ich am Psychologischen Institut oder Kollegen, die habilitiert sind geben Lehrveranstaltungen zum Beispiel in Physik oder Soziologie."

Das Institut wurde vor über 50 Jahren von dem Arzt und Psychologen Hans Bender gegründet. Bender gilt als Pionier in der parapsychologischen Forschung Als gemeinnütziger Verein wird es vorwiegend durch private Stiftungsmittel finanziert.

"Hans Bender ist gebürtiger Freiburger. Seine Idee, die er mit der Gründung des Instituts verfolgte, hing damit zusammen, er wollte ein Stätte einrichten, die nun außergewöhnliche, paranormale in Anführungszeichen okkulte Phänomene in einem breiten Interdisziplinären Rahmen untersucht."

Liebevoll spricht man bis heute noch vom "Gespenster- Bender" in Freiburg. Und jener "Gespenster Bender" hat es geschafft, all jenen Menschen eine Anlaufstelle zu sein, die eben Grenzerfahrungen machen oder gemacht haben:

"Diese Phänomene und das ist eine Formulierung, die einer der Pioniere unseres Faches verwendet hat, leben offenbar im Dunstkreis des Okkulten. Und von diesem Dunstkreis her, werden die Leute angezogen wie abgestoßen; man bezeichnet das psychologisch als eine Ambivalenz. Also solche Erlebnisse sind ambivalent Und das ist ein Grund dafür, dass sich die etablierte Wissenschaft so schwer tut, diese Themen zu untersuchen, weil man auch nicht so genau weiß, in welche Fakultät diese Phänomene gehören. Ist es die medizinische Fakultät, gehört es ins Psychologische Institut oder gehört es gar zur Biologie oder zur Physik? Die Antwort, nicht schwer jede Fakultät ist davon betroffen."

Keinen Rat finden am Institut jedoch vor allem all jene Bewohner Freiburgs, die manchmal an ihrem Stadtoberhaupt zweifeln, gar verzweifeln. Da wollte ihr Grüner Oberbürgermeister Dieter Salomon jüngst städtische Wohnungen verkaufen, um Geld in die leeren Haushaltskassen zu spülen. Doch da waren sie wieder - die Revoluzzer.

Mehrheitlich sprachen sich die Freiburger in einem Bürgerentscheid gegen den Verkauf aus. Zu Recht. Mittlerweile ging über Freiburg ein unerwarteter Steuersegen nieder und spülte Millionen in die Stadtkasse. Doch in einem Fall werden sich die Freiburger wohl die Zähne ausbeißen. Zum Ende der Spielsaison muss Trainer Volker Finke gehen. Zu lange waren die als Breisgau Brasilianer bezeichneten SC-Freiburg Fußballer erfolglos. Da hilft es auch nicht mehr, dass die Elf zurzeit wieder ganz gut spielt. Ausgerechnet ein Stuttgarter, Robin Dutt, wird Finke beerben. Er wird jene legendäre Freiburger Elf trainieren, der man schon immer nachsagte, ein bissle mehr im Kopf zu haben als andere Fußballer. Früher war das zumindest so.

Doch so einfach geht das nicht in Freiburg – die Fans gehen – wir ahnen es schon – auf die Barrikaden:

"Angenommen sie würde noch aufsteigen? Wie sieht’s dann aus mit dem neuen Trainer? Freiburger Modell, ne! Wir steigen auf und entlassen den Trainer!"

"Wir sind Finke" ist zurzeit auf vielen Plakaten zu sehen. Es sind Freiburger – Badener – Revoluzzer. Zuversichtliche Pessimisten.