Wanderin zwischen den Welten

Moderation: Susanne Führer · 09.11.2012
"Meine Bilder sind fröhlich, mein Schreiben ist oft tragisch", sagt die 87-jährige Künstlerin und Schriftstellerin Etel Adnan. Adnan wurde in Beirut geboren und studierte in Frankreich und den USA. Sie schreibt Romane und Gedichte und wird zugleich als Künstlerin geschätzt, wie auf der diesjährigen documenta.
Susanne Führer: Ölbilder, Gedichte, Buchillustrationen, Romane und Aphorismen: Für die Künstlerin Etel Adnan scheint es keine Genregrenzen zu geben, vielleicht, weil sie in ihrem Leben selbst so viele Grenzen überschritten hat, von Beirut über Frankreich in die USA und wieder Retour. Ich habe Etel Adnan gefragt, wie oder wonach sie entscheidet, ob sie malt oder schreibt.

Etel Adnan: Begonnen habe ich mit der Literatur, so mit 20. Zunächst war ich in Beirut und dann ging ich nach Paris. Mit 26, 27 studierte ich dann in Kalifornien Philosophie. Ich schrieb und arbeitete, und 1958 habe ich als Professorin Kunstphilosophie unterrichtet, in Kalifornien. Ich habe also wieder die Sprache gewechselt. In Beirut habe ich auf Französisch studiert und in Berkeley dann auf Englisch, und schließlich auch unterrichtet auf Englisch. Ich musste mich also an eine neue Sprache anpassen. Und in einer neuen Sprache zu schreiben, war gar nicht so einfach.

Da ich ja auch Kunstphilosophie unterrichtete, fragte mich dann eine Professorin vom College, warum ich eigentlich Kunst unterrichte, aber selber keine mache. Und sie hat mich dann eingeladen, zu ihr in den Fachbereich zu kommen, und sie gab mir Stifte in die Hand, Wachskreiden und sagte, mach doch mal etwas. Und ich habe angefangen zu zeichnen, und das hat ihr gefallen. Sie sagte, ich hätte ja schon den Geist der Kunst in mir und ich müsste keine Ausbildung mehr machen. Sie hat dann meine kleinen Zeichnungen an die Wand gehängt, und so wurde ich Malerin.

Und das löste für mich auch das Sprachproblem, denn auf Englisch zu unterrichten, ist eine Sache, aber schreiben ist etwas ganz anderes. Das war die Zeit des Vietnamkriegs. Eines Tages war ich so wütend über den Krieg, dass ich später ein Gedicht schrieb darüber, auf amerikanischem Englisch, und das wurde dann von einer Zeitschrift gedruckt, und so wurde ich zu einer amerikanischen Dichterin.

Ich malte aber zu dieser Zeit mehr als ich schrieb. Aber langsam, Stück für Stück, wurde mein Schreiben bekannter, ich traf andere Dichter und Autoren, und mein Selbstbild war zunehmend das einer Autorin. Aber ich habe immer auch weiter gemalt. Eine Weile lang habe ich dann mehr geschrieben. So lief das mein ganzes Leben lang: Ein paar Monate schrieb ich mehr, mal ein Jahr oder so was, und ein paar malte ich mehr. Insgesamt aber lag meine größte Aufmerksamkeit beim Schreiben.

Vor zwei Jahren fragte dann eine neue Galerie in Beirut, ob ich bei ihnen eine Ausstellung machen wollte. Die Bilder hatte ich ja schon. Also machten wir diese Ausstellung, und 2010 kam die Direktorin der documenta nach Beirut, sie mochte die Bilder und fragte, ob ich nicht bei der documenta mitmachen wollte. Ich war wirklich sehr überrascht, und sie schloss daraus, dass ich das nicht wollte. Aber ich sagte, doch, doch, ich möchte, ich bin nur so wirklich erstaunt darüber. Und so kam es, dass sie mich zur documenta einlud. Und die Leute mochten diese kleinen Bilder. Ich male ja meist Kleinformate. Und plötzlich hatte ich auch eine Ausstellung in Hamburg.

Führer: Geht es um dieselben Themen in der Malerei und in der Literatur?

Adnan: Zum Glück sind mein Schreiben und mein Malen sehr unterschiedlich. Im Schreiben suche ich Worte, die ich gemeinschaftlich mit dem Leser teile, und Farben sind privater für mich. Wenn ich male, bin ich mehr allein mit meinen Farben. Wenn man schreibt, spricht man auch immer zu den Leuten. Weil es immer irgendwo Kriege gab, im Irak, in Afghanistan, in Vietnam, aber auch in der arabischen Welt, hat mein Schreiben mehr mit der Geschichte und dem Weltgeschehen zu tun.

Ich bin gleichzeitig Pessimistin und eine fröhliche Person, ich mag die Welt, und meine Malerei drückt meine Liebe zur Welt aus. Die Farben sind nicht nur Farben, es ist auch die Kraft der Landschaften. Wenn man auf eine Landschaft blickt, sieht man die Formen, die von überall auf einen zukommen, und das ist ein Vergnügen. Meine Bilder sind fröhlich. Mein Schreiben ist oft tragisch, weil es eine andere Seite von mir beleuchtet.

Führer: Sie wurden 1925 in Beirut geboren, als es noch keinen unabhängigen Libanon gab. Ihre Mutter war eine griechische Christin aus Smyrna, ihr Vater ein Muslim aus Damaskus. Sie gingen in Beirut auf eine französische Schule, später haben Sie dann, das haben Sie gerade schon etwas erzählt, in Frankreich und den USA studiert, gelebt und auch gelehrt. Ihre Bücher sind auf Französisch und Englisch geschrieben, und da habe ich mich gefragt: Wo bleibt das Arabische? Hat das vielleicht in der Malerei ein Refugium gefunden?

Adnan: Als ich auf die französische Schule in Beirut ging, verbot die französische Regierung den Unterricht auf Arabisch, oder Arabisch zu unterrichten an französischen Schulen, auch im Ausland. Und die Kinder sprachen demzufolge nur zu Hause arabisch. Also ich habe es nie wirklich richtig gelernt. Ich spreche zwar arabisch und ich kann auch Zeitung lesen und so weiter, aber zu Hause haben wir ja immer griechisch gesprochen.

Und ich habe später dann Unterricht genommen, aber ich lebte ja dann auch die meiste Zeit in den USA und ich wollte dort auch nicht außen vor bleiben und schrieb also dann englisch, wie die anderen Autoren um mich herum auch. Etwas in mir bedauert durchaus, nicht arabisch zu schreiben, weil es so eine andere und intelligente Sprache ist.

Anfangs malte ich Wasserfarben zu arabischer Poesie, ich machte sogenannte Leporellos mit arabischer Poesie, also nicht meiner eigenen, mit den Texten von anderen Autoren, anderer Dichter. Und dieses haben wir jetzt auch ausgestellt in Hamburg. Ich habe meinen Frieden gemacht mit dem Arabischen.

Führer: Ich spreche im Deutschlandradio Kultur mit der Künstlerin und Schriftstellerin Etel Adnan. Sie stammen aus einer Region, dem syrisch-libanesischen Raum, wie Sie selbst es nennen, in dem seit einem Jahrhundert fast ununterbrochen Krieg herrscht. Trotzdem, schreiben Sie, sind Sie zuversichtlich, dass sich mit jedem Neugeborenen auch die Welt erneuert. Woher nehmen Sie diese Lebensfreude, diesen Optimismus?

Adnan: Ich weiß nicht, ich fühle trotz all der Tragödien, die geschehen, dass auch inmitten eines Krieges die Menschen es schaffen können, kleine Freuden zu haben, auch unter dem Bombenhagel. Zum Beispiel im libanesischen Bürgerkrieg kochten die Leute immer noch sehr gut. Sie versuchten, ihre Traditionen aufrecht zu erhalten. Sie malten noch, es gab Galerien und so weiter. Der menschliche Geist will das: So lange man am Leben ist, wird gelebt, bis zum letzten Atemzug. Die Chefin von Suhrkamp, Ulla Berkéwicz, schrieb ein Buch, "Josef stirbt", ein großartiges kleines Buch, das zeigt, dass auch im Todeskampf der Josef noch bis zum letzten Moment am Leben ist. Im Leben und im Tod steckt einfach sehr viel Kraft.

Führer: Der Alltag ist ja eine wichtige Instanz für Ihre Arbeit. Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass ein Stück Brot eine mystische und poetische Qualität bekomme, wenn man sich nur Zeit nähme, es anzusehen. Ist das also so eine Quelle für Ihren Optimismus, Sie haben es ja gerade angedeutet auch?

Adnan: Wir existieren noch. Wir sprechen von Krisen, und trotzdem haben die Leute auch noch ein gutes Leben. Wir müssen die positiven Seiten sehen. Die Menschheit hat nie so gut gelebt wie jetzt. Es gibt diese Tendenz, immer nur das Schlechte zu sehen. Aber es gibt immer auch eine gute Seite, die wir nicht vergessen dürfen.

Führer: Ihr Buch "Arabische Apokalypse" ist gerade auf Deutsch erschienen, es wurde zuerst 1980 veröffentlicht, es ist vom libanesischen Bürgerkrieg geprägt. Auch Ihr Roman "Sit Mary Rose" behandelt den Krieg. Nun wird Syrien vom Bürgerkrieg erschüttert, ein Land, was ja auch zu Ihrer Familiengeschichte gehört. Wie stark nehmen Sie Anteil an den Ereignissen dort, Frau Adnan?

Adnan: Ich fühle mich in gewisser Weise müde von einem lebenslangen Schreiben über den Krieg, über die Tragödien der Menschheit. Also habe ich nicht über Syrien geschrieben. Es ist die Fortsetzung der "Apokalypse". Die arabische Welt ist wie ein Vulkan, der überall explodiert, und dieser Vulkan muss vielleicht erst ausbrennen, bevor es zu Ende ist. Ich weiß nicht. Es ist sehr traurig, Länder sich zerstören zu sehen. Wir haben auch schon die Zerstörung von Irak gesehen, das war auch sehr traurig, aber wir müssen damit leben.

Führer: Sie sind ja eine Wanderin zwischen den Welten, also in Beirut geboren, haben in Frankreich und den USA gelebt. Man könnte auch sagen, Sie wären eine Heimatlose. Wie sehen Sie sich, eher als eine Wanderin zwischen Orient und Okzident, eine Bereicherte, oder eine Heimatlose?

Adnan: Ich fühle mich nicht als Exilantin, weil ich freiwillig gegangen bin. Ein Exilant ist gezwungen, in der Fremde zu bleiben. Aber wir reisen freiwillig, und wer freiwillig reist, der ist kein Exilant. Und ich könnte auch morgen in den Libanon zurückkommen. Das Reisen hat einen Preis, aber so hat auch das Zuhause-Bleiben seinen Preis. Ich glaube, ich fühle mich mehr als Mensch. Meine Heimat sind meine Freunde, meine Ideen, mein Leben. Ja, unsere Heimat ist unser Leben, kein physischer Ort.

Führer: Sie haben großen Erfolg zurzeit, zum Beispiel wurden ja in diesem Jahr Ihre Werke auf der documenta in Kassel gezeigt. Es gibt eine Ausstellung in Hamburg, haben Sie erzählt, gestern Abend richtete die Akademie der Künste in Berlin einen künstlerischen Abend für Sie aus. Für viele junge Künstler auf der ganzen Welt sind Sie eine Heldin, ein Vorbild. Wie ist das für Sie, genießen Sie diesen Erfolg?

Adnan: Ja, ich genieße den Erfolg. Ich habe auch keine Angst davor, denn ich habe den größten Teil meines Lebens schon gelebt, also kann der Erfolg mich nicht mehr verderben. Ich habe mein Leben nicht in Bezug auf den Erfolg ausgerichtet. Ich war immer froh, hier und da Leser zu haben und hier und da Leute zu haben, die meine Bilder mochten. Es ist schön, wenn jemand die Bilder mag und die Bücher, aber wenn das nicht so wäre, wäre ich auch verzweifelt gewesen, aber ich hatte immer eine kleine Gruppe von Leuten, die meine Sachen mochten, und das ist okay so.

Führer: Sagt die Künstlerin Etel Adnan, und gedolmetscht hat Marei Amia.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

"Links zum Thema bei dradio.de:"
"Ich male kleine Ölbilder, weil sie wie Gedichte sind"
Etel Adnan, libanesisch-amerikanische Poetin und Malerin, auf der documenta 13

Gesichter einer Ausstellung
Künstler und Künstlerinnen auf der documenta
Mehr zum Thema