Wanderausstellung in der Nordkirche

Wo nach '45 braune Pastoren Unterschlupf fanden

Die Skyline von Hamburg, vorn die Jacobi-Kirche
Die Skyline von Hamburg, vorn die Jacobi-Kirche: Hier ist die erste Station der Ausstellung © dpa / picture alliance / Maja Hitij
Von Michael Hollenbach · 31.01.2016
In so mancher Nordkirche begann nach '45 die Nazifizierung: Einige Geistliche mit brauner Gesinnung fanden hier Unterschlupf und eine neue Anstellung. Das war viele Jahre ein blinder Fleck in der Geschichte der nordelbischen evangelische Kirche - nun leuchtet eine Wanderausstellung ihn erstmal aus.
Sommer 1945 – die "Stunde Null" in den nordelbischen Landeskirchen? Ein neuer Anfang? Ja! Aber nur in der Landeskirche Lübeck: Sie entließ ihre nationalsozialistischen Pastoren – immerhin ein Viertel der Pfarrerschaft. Die andere kleine Landeskirche, Eutin, beschritt einen anderen Weg, erläutert der Historiker Stephan Linck:
"Wenn wir es rein formal sehen, müsste man eigentlich sagen: In der Eutinischen Landeskirche beginnt nach 1945 die Nazifizierung. Weil da sehr viele Flüchtlinge hinkamen, verdoppelte sich in der Eutinischen Landeskirche die Zahl der Kirchenmitglieder und damit auch der Pastoren in der Nachkriegszeit, und alles, was da neu aufgenommen wurde, das war sehr schwer NS-belastet."
So fanden in Eutin gleich zwei ehemalige Bischöfe und ein Generalsuperintendent eine neue Heimat, die wegen ihrer braunen Vergangenheit woanders nicht mehr tragbar waren. Der damalige Landespropst Wilhelm Kieckbusch sah kein Problem darin, Theologen mit NS-Vergangenheit unbesehen bei sich aufzunehmen. Damit stand er für eine innerkirchliche Mehrheitsmeinung, sagt der Hamburger Historiker:
"Man achtet darauf, wie ist die Gesamtstimmung in der Bevölkerung. Und das Ergebnis ist, dass man sich als Anwalt der Deutschen sieht, und in diesem Sinn die anwaltliche Pflicht übernimmt, die ganzen Tatvorwürfe zu leugnen und zu negieren."
Die angebliche "Schicksalsfrage"
In der Bevölkerung und auch in den Kirchen standen nach 1945 zunächst nicht die Verbrechen der Nazis und der deutschen Wehrmacht im Fokus, sondern Flucht, Vertreibung und wirtschaftliche Not. Kritisch und selbstkritisch zurückzublicken, dazu waren die meisten nicht bereit. Auch nicht der Theologe Wilhelm Halfmann. Der hatte als führender Vertreter der Bekennenden Kirche 1936 die Schrift "Die Kirche und der Jude" verfasst. Der spätere Bischof von Holstein widmete sich darin der so genannten "Judenfrage" als einer – so wörtlich - "Schicksalsfrage für das deutsche Volk".
"Es dreht sich schlicht um völkisch argumentierenden Antisemitismus, den er da kolportiert."
Bis zu seinem Tod 1964 verteidigt Halfmann im Freundeskreis seinen Antisemitismus.
"Er hatte überhaupt keinen Sinn dafür, was man an diesen antisemitischen Äußerungen negativ sehen könnte, weil er sah sie so nicht."
Die Auseinandersetzungen um die NS-Vergangenheit führender Theologen ist einer der Schwerpunkte der sechsteiligen Ausstellung, die sich mit den Themen Antisemitismus, Umgang mit Kriegsverbrechern oder dem Streit um Schuld und Sühne befasst.
Ausstellungsaudio: "Und wenn du dich auch mit Lauge wüschest und nähmest viel Seife dazu, so bleibt doch der Schmutz deiner Schuld vor mir, spricht Gott der Herr."
Erste Station der Wanderausstellung ist die Hamburger St. Jacobikirche. Hier residierte ab 1933 der bekennende Nationalsozialist Franz Tügel als Bischof. Seine – auch ideologisch - rechte Hand war damals Hauptpastor Adolf Drechsler. Seit drei Jahren ist Astrid Kleist hier Hauptpastorin:
"Als ich kam, war sinnfällig, dass das eine Porträt von Tügel, ein riesengroßes Ölgemälde, das war abgehängt, weil man gesagt hat. Das kann so nicht mehr hängen. Aber Hauptpastor Drechsler hängt nach wie vor. Das haben wir zum Anlass genommen zu fragen: Warum ist der eine abgenommen und der andere hängt noch da? Und ist es angemessen, die da so überlebensgroß hängen zu haben? Das kann es doch nicht sein, aber sie zu verschweigen, das kann auch nicht sein."
Astrid Kleist erinnert daran, dass der damalige Gemeindepastor Robert Stuewer es untersagte, im Gottesdienst Amen und Halleluja zu sagen, da dies hebräische, also jüdische Worte seien. Nach 1945 fehlte der Hamburgischen Kirche der Mut, sich von den braunen Pfarrern zu trennen:
"Desto persönlicher die Menschen noch bekannt waren, desto schwieriger erleben wir es oft. Da gibt es auch persönliche Bindungen. Zum Beispiel der Hauptpastor Drechsler, auch Parteimitglied und bekennender Antisemit, hat sich sehr verdient gemacht um den Wiederaufbau der Kirche nach deren Zerstörung."
Und hat bis heute unter den älteren Gemeindemitgliedern viele Fürsprecher. Astrid Kleist über die Haltung ihrer Kirche nach 1945:
"Ich hätte mir mehr Mut und zugleich Demut gewünscht und weniger Institutionenschutz, den wir immer wieder feststellen. Dass da, wo es schwierig wird, eine Institution abwehrt, um am Ende noch gut dazustehen, und da haben wir noch vieles nachzuholen."
Der Flensburger Denkmalstreit
Ausstellungsaudio: "Unsere Väter haben gesündigt und leben nicht mehr, wir aber müssen ihre Schuld tragen."
Die Ausstellung "Neue Anfänge nach 1945?" verharrt aber nicht in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Sie schlägt einen Bogen bis hin zur Politisierung der Pfarrer und zur Polarisierung über die NS-Aufarbeitung innerhalb der evangelischen Kirche seit Ende der 60er Jahre.
Eine der ersten öffentlichen Auseinandersetzungen war 1967 der sogenannte Denkmalstreit in Flensburg. Damals hatten Pastoren ein Kriegerdenkmal aus dem Innenraum einer Kirche entfernen lassen. Sie wollten sich damit gegen die Verherrlichung und Verharmlosung des Krieges wenden. Der Streit spaltete die Gesellschaft und die evangelische Kirche weit über Flensburg hinaus:
"Es ist eine Auseinandersetzung um die Deutung der Vergangenheit, um die Deutung insbesondere des Militärischen und die Rolle von Soldaten während der NS-Zeit."
Ein Streit, der einen Umbruch in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einleitet, meint auch der frühere Bischof Karl Ludwig Kohlwage, 1967 beteiligter Pfarrer in Flensburg:
"Die Entdeckung der politischen Dimension des Evangeliums hängt unmittelbar mit solchen Vorfällen zusammen."
Die sehr informative Ausstellung schafft es, mit konkreten historischen Beispielen den Besucher auf eine Zeitreise mitzunehmen. Die alten Fotos bringen die Zeitspanne zwischen der vermeintlichen Stunde Null und den Studentenprotesten nahe. Allerdings: Bis auf wenige Elemente haben die Ausstellungsmacher auf Multimedialität verzichtet – ein Manko, wenn man im Jahr 2016 auch ein jüngeres Publikum für das Thema interessieren will. Doch die Wanderausstellung und der zweite Band von Stephan Linck über die Jahre 1965 bis 1985, der Ende Februar erscheinen soll, wird wohl eine neue Debatte entfachen über den Umgang der nordelbischen Kirchen mit ihrer NS-Vergangenheit und ihr Verhältnis zum Judentum.
"Die verschiedensten Beteiligten, die sind alle quietschlebendig, und es geht um die Deutung der eigenen Geschichte. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es viele Diskussionen gibt."

Die Ausstellung ist bis zum 21. Februar in St. Jacobi zu besichtigen, danach an weiteren Orten der Nordkirche.

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