Wandel der Friedhofskultur

Das Handy erzählt die Geschichte des Toten

Ein QR-Code am Grab der DDR-Bürgerrechtsaktivistin Bärbel Bohley auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin ist auch auf dem Display eines Smartphones zu sehen.
Ein QR-Code am Grab der DDR-Bürgerrechtsaktivistin Bärbel Bohley auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin: Gibt es solche in Zukunft auch an Privatgräbern? © picture alliance / dpa / Stephanie Pilick
Von Peter Kaiser · 22.11.2015
Der Friedhof der Zukunft soll zu einem digitalen Ort werden, der uns mithilfe von QR-Codes die Geschichte der Toten erzählt. Bislang bleiben datenschutzrechtliche und ethische Fragen sowie mögliche IT-Probleme noch ungeklärt.
Ein Tag im Frühherbst. Olaf Ihlefeldt, der Friedhofsverwalter des Südwestfriedhofs in Stahnsdorf, einem der größten Friedhöfe europaweit, öffnet das Mausoleum eines der bekanntesten Regisseure aus der Stummfilmzeit: des Nosferatu-Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau.
"Da steht auch das Schild drauf: Frederic Wilhelm Murnau. Weil der ist in Amerika gestorben. Bei einem Autounfall. Sehr jung schon gestorben, und wurde dann hierher überführt. Und er liegt hier als Mumie auch drin. (...) Der Murnau, seine letzte Station war die Südsee, und darum sollte hier was von der Südsee zu sehen sein: die blaue See, der Himmel, oben das Mosaik."
Friedhofsführungen, wie Olaf Ihlefeldt sie veranstaltet, könnten in Zukunft wohl überflüssig werden. Denn, wie kürzlich auf der Verbandstagung der Friedhofsverwalter Deutschlands, VFD, in Tangermünde diskutiert, gibt es Pläne, Grabstätten mit einem QR-Code auszustatten. Jan Gavryluk, 1. Vorsitzender des VFD:
"Der QR-Code ist eine Markierung auf einem Grabstein, diese Markierung kommuniziert dann mit einem (...) Handy, und da kann man sich dann informieren, über die Person, die dort liegt, und welche Besonderheiten diese Person hat, was sie besonders im Leben geschafft hat, für was sie gestanden hat, welche Werke sie im Leben erreicht hat, und so weiter."
"Wandel vom Ort der Toten zum Ort der Lebenden"
Bislang galt das vor allem für die Gräber von Prominenten. Doch mit dem Wandel der Friedhofskultur insgesamt ändert sich auch das. Das macht sich vor allem auf den vielen kommunalen Friedhöfen bemerkbar. Der Landschaftsarchitekt Klaus Neumann aus Berlin.
"Das Grundproblem ist, dass uns der Kunde verloren geht. Das heißt, wir haben in fast allen deutschen Städten viel, viel weniger Bedarf an Fläche. Und da diese Flächen weites gehend pietätsbelastet sind, dürfen sie nicht umgeändert werden. Und aus dieser Problematik müssen Konzepte entwickelt werden, ob Friedhofsflächen beibehalten werden können, als kulturelle Standorte. Das bedeutet aber einen Mentalitätswechsel. Sie muss also einen mentalen Wandel vom Ort der Toten, zum Ort der Lebenden für die Stadt bekommen."
Ein Aspekt eines solchen Wandels könnte das Anbringen von QR-Codes an Privatgräbern sein. QR steht für Quick Response – schnelle Antwort, und ist eine in den 1990er-Jahren entwickelte Zeichenkette, die auf vielen Produktverpackungen, etwa von Supermarktartikeln, vorhanden ist. Einen Scanner kann man sich aus dem Internet auf sein Smartphone laden. Der gescannte QR-Code stellt dann die Verbindung zu seiner Webseite her, auf der man Informationen über den Verstorbenen erhält. Das können Videos, Bilder, Audio- und Musikdateien sein.
Wie das Anbringen eines solchen QR-Codes am Grabstein eines Verstorbenen aussehen kann, erläutert Uwe Hennig (Anmerkung: Die folgende Information weicht vom Originalbeitrag ab) von der Internetplattform QR-Erinnerung.de:
"Dann würde ich erst mal die Bestätigung benötigen, dass Sie Nutzungsberechtigter sind. Als nächstes würden wir durchgehen, was brauche ich? Bilder, Textmaterialien, und ich würde auch erfahren wollen, wie Sie sich das vorstellen? Ob Sie Videos mit einbringen wollen? Wie lange wollen Sie den QR-Code nutzen? Das geht bis zu zehn Jahren. Dann würden Sie mir die Daten liefern, und ich würde die Daten sichten, bearbeiten, die Fotos anpassen, dies online stellen, und Ihnen einen Zugang geben, wo Sie sich vorab dieses Profil anschauen können."
"Wir haben die gigantische Verantwortung, Inhalte zu prüfen"
Dann braucht man nur das Smartphone an den Code zu halten, und schon ploppt das gelebte Leben mit allen Stationen des oder der Toten auf. Kommt diese Technik, werden Friedhofsverwalter künftig zu Administratoren von Gräberdatenbänken. Das aber, sagt Olaf Ihlefeldt, bringt neue, schwierige Aufgaben mit sich.
"Wir haben die gigantische Verantwortung, Inhalte zu prüfen, zu kontrollieren und auch zu redigieren, wir können das nicht dem Zufall überlassen. Es gibt aber schon versteckte Ansätze, die Dinge gleich von der Friedhofsverwaltung anzubieten. Insofern haben wir von vornherein als Verwaltung die Möglichkeit, wie wir es ja bei Grabsteinen auch machen, zu prüfen, und auch zu kontrollieren und zu überwachen."
Olaf Ihlefeldt plädiert eher dafür, dass der Friedhof Ort der Einkehr und der Besinnung bleibt – auf dem das Smartphone auch mal in der Tasche bleiben kann.
"Ich merke, die Menschen gehen schon mit dem Smartphone. Sie fangen an, aber ein Friedhof hat doch was mit Genuss zu tun, nämlich Kultur zu erleben. Und zwar in der Form: man sieht Natur, man sieht die Tierwelt, man sieht Landschaft, und man sieht auch Grabmale, und ich brauche dann eigentlich nicht noch stundenlang das Smartphone vor der Nase, weil damit verliere ich auch das Gefühl zum Umfeld."
Zu allem kommen noch datenschutzrechtliche Fragen, IT-Probleme und Fragen der Ethik und Pietät. Man wird abwarten müssen, ob sich diese Ideen wirklich durchsetzen.
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