"Walls come tumbling down"

Pop-Song taugt als Hymne für die Griechen

Gigantisches Spektakel: Das Live-Aid-Konzert am 13.07.1985 in London und Philadelphia
Beim Live-Aid-Festival meinten es viele gut, aber Paul Weller sang: "Governments crack & systems fall cos unity is powerful." © picture-alliance / dpa / Norbert Försterling
Von Tarik Ahmia · 13.07.2015
Vor 30 Jahren setzte Paul Weller mit seiner Band The Style Council inmitten lauter wohlmeinender Live-Aid-Sängerknaben ein politisches Zeichen: Mit dem Lied "Walls come tumbling down" rief er zu Widerstand und Solidarität auf. Das Lied könnte als Hymne für die Griechen taugen, findet Tarik Ahmia.
Es beginnt sachte wie im Gottesdienst: Doch dann sind sie da: Die mächtigen Trompeten von Jericho, die Mauern zum Einsturz bringen. Paul Weller nutzte in der Mittagshitze des ersten Live-Aid-Konzertes heute vor 30 Jahren die Trompeten von Jericho für ein politisches Gleichnis: Widerstand und Solidarität der einfachen Leute vermögen es, die Unterdrückung von Oben einfach fortzufegen.
Mit wilder Entschlossenheit bellte der damals 27-Jährige ins Mikro, diesen ganzen Mist nicht länger hinzunehmen. Sich nicht weiter zurückzulehnen, sondern endlich etwas zu ändern.
"Uns wurde beigebracht, auf unsere Führer zu hören", so Weller. Aber wie gut es wirklich sein kann, wissen wir erst, wenn wir uns zusammentun. "Werdet Ihr das schaffen, oder wollt Ihr Eure Tage weiter im Dreck verbringen?", fragt Weller rhetorisch.
Ich sah dieses inhaltlich radikale wie äußerlich stilvoll dargebotene Manifest als Teenager im Live-Fernsehen und war fasziniert und verzückt zugleich: Denn das Lied zeigte, dass diesem mainstreamigen Medienzirkus von Live Aid dann doch irgendwie Songs mit politisch-künstlerischer Relevanz durchrutschten.
Verzückt, weil die politische Botschaft so kraftvoll in Musik umgesetzt war: "Regierungen zerbrechen und Systeme stürzen", lautet die schlichte Botschaft des Refrains. Yes they do!
Warum wurde es nicht der Wendesong?
Gut vier Jahre später wurde das Bild der gewaltlos fallenden Mauern real: Ganz normale Menschen brachten die Berliner Mauer und das System der DDR friedlich zum Einsturz. Wer hätte vorher für möglich gehalten?
Übrigens: Wieso "Walls Come Tumbling Down" nicht zu dem Deutschen Wendesong wurde, ist mir bis heute ein Rätsel. Prophetisch ist der Song allemal geblieben.
Denn obwohl Weller das Lied angesichts des sozialen Kahlschlags der Thatcher-Jahre geschrieben hatte, benennt es Konflikte, die nicht nur fortbestehen, sondern die sich weltweit verschärft haben: Weller nannte es den Klassenkampf der Reichen gegen die Armen. Und dieser hat längst die britische Insel verlassen und auch Europa erfasst.
Paul Weller tritt am 9. März 2015 im Colosseum in Watford auf. 
Paul Weller bei einem Aufritt am 9. März 2015 im Colosseum in Watford.© Imago / ZUMA Press
Ein Lied als Kraftspender
Wer hätte gedacht, dass das griechische Volk den Mut aufbringt, sich beim Referendum mit einer riesigen Mehrheit gegen Neoliberalismus und den zerstörerischen Sparkurs zu wehren? Den Griechen bleibt zumindest ein moralischer Sieg für die Geschichtsbücher, auch wenn sie sich letztlich nun dem Diktat der Geldgeber beugen müssen.
Ihre Lage bleibt jedoch verzweifelt und ohnmächtig. Es mag für sie nur ein bitterer Trost sein, aber zumindest die Musik wird ihnen bleiben - als Kraftspender für die Seele in schier ausweglosen Situationen.
Billy Bragg sagte mal, politische Popmusik sei nicht mehr sein als ein "Pickel am Po der Realität". Aber manchmal kann so ein Pickel auch ganz schön nerven. Und mancher politische Protestsong bewahrt auch nach 30 Jahren seine Strahlkraft.
"Walls Come Tumbling Down" ist für mich so ein Lied, so simpel und utopisch seine Botschaft auch sein mag. Es gibt mir Hoffnung.
Danke, Paul!
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