Walker Evans

Mit Bildern arbeiten

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Eine Frau betrachtet im Martin-Gropius-Bau in Berlin Fotografien des amerikanischen Fotografen Walker Evans. © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Von Jochen Stöckmann · 24.07.2014
Eine Berliner Ausstellung zeigt mehr als 200 Originalabzüge des berühmten amerikanischen Fotokünstlers Walker Evans. Mit seinen Aufnahmen hat Evans die Fotografiegeschichte des 20. Jahrhunderts mitgeschrieben.
Afrikanische Masken grinsen wie ein "Küchendragoner", den der Bauhaus-Fotograf Umbo aus Knopfaugen, einer Alu-Reibe und zwei Pinseln als Schnurrbart montierte. Gladiolen recken ihre Blüten mit erotischem Flair, das Robert Mapplethorpe so erfolgreich kultivierte. Bud Fields, ein von der Wirtschaftskrise gezeichneter Erntearbeiter, schaut in die Kamera mit einer Mischung aus Zutrauen und Abwehr, dem Markenzeichen des Porträtisten Richard Avedon. Ein paar Bilder nur, beliebig herausgegriffen aus der Walker-Evans-Schau - und schon eröffnet sich ein ganzer Kosmos zeitgenössischer Fotogeschichte:
"Wir haben ja seit 2001 hier eine Serie von Fotoausstellungen gezeigt - und Walker Evans steht seit Langem auf meiner Liste."
Gereon Sievernich, Direktor des Berliner Martin Gropius Baus, hätte die Retrospektive von Walker Evans nutzen können, um mit dem facettenreichen Oeuvre dieses "Fotografen für Fotografen" seine eigene fotohistorische Bilanz vorzulegen: Selbst noch beim kürzlich verstorbenen Michael Schmidt, dessen Bilderessay "Lebensmittel" vom Museum Morsbroich übernommen wurde, ließen sich Korrespondenzen erkennen zum legendären Vorbild sowohl der Künstlerfotografen wie von Sozialdokumentaristen.
Letztere haben lange Zeit das Feld beherrscht: Fixiert auf Serien, mit denen Walker Evans 1935 im Regierungsauftrag das Leben der verarmten Landbevölkerung im Süden der USA dokumentierte, wird er gar zu gern als "sozial engagierter" Fotoreporter abgestempelt. Ein Klischee, das selbst der Evans-Freund und Kenner John Szarkowski 1971 mit seiner Retrospektive im Museum of Modern Art nicht hat aus der Welt schaffen können. James Crump, Initiator der neuen Walker Evans-Ausstellung:
"Ich wollte darüber hinausgehen - und sah diese wundervolle Walker-Evans-Sammlung von Joan und Clark Worswick. Aus ihrem Archiv habe ich schließlich 200 Bilder ausgewählt - diese Zahl war wichtig, weil auch Szarkowski 1971 in seiner Retrospektive 200 Fotos gezeigt hat."
Sämtliche Fotos aus einer einzigen Quelle
Wie sich aus dieser Zahlenmystik ein differenziertes Gegen- oder Alternativbild vom Lebenswerk Walker Evans' entwickeln kann, bleibt Crumps Kuratorengeheimnis. Denn die Menge allein bürgt nicht für Vielfalt, zumal sämtliche Fotos aus einer einzigen Quelle stammen, privat von ein- und demselben Sammlerpaar zusammengetragen wurden. Joan und Clark Worswick haben ihr Augenmerk auf vintage prints gelegt. Diese mittlerweile so überaus teuren Originalabzüge werden nun im schlechten Sinne museal präsentiert, als respektheischende Kostbarkeiten, als unverrückbare "Fassungen letzter Hand".
Damit aber gerät völlig aus dem Blick, was für Walker Evans und sein Werk Lebenselixier war: die Arbeit mit den Bildern, der tagtägliche, sehr bewusste Umgang mit der Kamera. So fotografierte er aus Protest gegen geleckte Studioporträts, modische Posen oder politisch motivierte Inszenierungen die New Yorker in der U-Bahn, heimlich, ohne durch den Sucher zu schauen, also auf gut Glück. Das war nur eines jener wechselnden, meist literarisch inspirierten Konzepte, die in dieser Walker Evans-Schau allenfalls zu ahnen sind. Gezeigt werden sechs U-Bahn-Porträts, sehr beeindruckend, aber nur die Spitze eines ganzen Bilderbergs:
"Walker Evans ist bekannt dafür, dass er das Negativ zunächst einmal als Material benutzt hat, sehr unterschiedliche Bildinterpretationen zu treffen. Das heißt, er hat gesammelt, er hat immer wieder reflektiert, hat mit seinem Archiv gearbeitet."
Gabriele Conrath-Scholl, Leiterin der Kölner Photographischen Sammlung, verweist auf einen fulminanter Bestandskatalog, der in allen Details Auskunft gibt über die sprunghaften Entwicklungen im Lebenswerk von Walker Evans. Dieses aufschlussreiche Inventar wurde erarbeitet vom Getty Museum. Mit dessen Pfunden konnte die SK Stiftung in Köln nicht wuchern, deshalb hat sie 2012 die Retrospektive aus dem Cincinnati Museum of Arts nach Deutschland geholt.
Aber hier fehlt das Entscheidende: Fotos die abgelehnt, die nicht publiziert wurden - und gerade deshalb das Ausgangsmaterial, das Fundament bildeten für künstlerische Projekte wie Bücher oder Ausstellungen. Da gäbe es noch manches zu entdecken. Doch statt in Berlin aktiv Fotogeschichte zu betreiben, lässt man sich treiben - vom Angebot preiswert verfügbarer Ausstellungspakete. Mehr gibt der Etat des Martin Gropius Baus nicht her.
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