Wahlgewinner Benjamin Netanjahu

In Israel siegt der Stillstand

Benjamin Netanjahu winkt nach seinem Wahlsieg in die Menge.
Benjamin Netanjahu nach seinem Wahlsieg. © Abir Sultan, dpa picture-alliance
Von Christoph von Marschall, Der Tagesspiegel · 21.03.2015
Bei der Parlamentswahl in Israel hat zum vierten Mal in Folge die rechts-konservative Likud-Partei von Regierungschef Benjamin Netanjahu gewonnen. Doch ihm gehe es um nichts anderes als seinen Machterhalt, meint Christoph von Marschall. Einzige Chance für Israel: eine bessere Opposition.
Der Wahlausgang wird vielen Deutschen nicht gefallen. Es ist ja auch schwer, die Gründe zu akzeptieren. Umfragen vor der Wahl hatten die Hoffnung auf einen Machtwechsel genährt. Die Löhne stagnieren, die Lebenshaltungskosten steigen, junge Leute und Familien können sich Wohnraum kaum noch leisten – kurzum, Netanjahus Likud hat die sozialen Fragen vernachlässigt. Deshalb blieb ihm nur, die drohenden Gefahren zu beschwören: Irans Atomprogramm und den Terror von Hamas, Hisbollah und den Gotteskriegern des IS. Als er auch noch die Zwei-Staaten-Lösung in Frage stellte, hatte Netanjahu das Verständnis im Ausland verspielt.
Im Vergleich klang das Angebot der Arbeitspartei für Europäer überzeugender: Reduzierung des Siedlungsbaus, wenn auch kein kompletter Stopp; Gespräche mit den Palästinensern über den Friedensprozess; Klimaverbesserung mit der Schutzmacht USA, die Netanjahu ohne Not piesackt; höhere Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Förderung des Wohneigentums – also: soziale Sicherheit plus Frieden. Hierzulande ist das eine Erfolgsformel.
Die Lebenswirklichkeit in Israel ist jedoch anders als in Deutschland. Und damit auch die Wahlpsychologie. Es lag nicht nur am blassen Spitzenkandidaten der Arbeitspartei, Isaac Herzog – für diese Erklärung fiel Netanjahus Sieg zu deutlich aus. Der Likud versteht offenbar besser als die Arbeitspartei, was die Wähler bewegt. Das Narrativ vom kleinen, tapferen Volk, das von Feinden umgeben ist und sich dennoch behauptet, ist wirksam – wirksamer als die vage Aussicht, vielleicht eines Tages normaler zu leben, wenn man heute schmerzhafte Kompromisse eingeht. Sicherheit durch Stärke geht für die Mehrheit vor Wohlstand.
Nicht mehr anzubieten als Machterhalt
Das liegt auch an der demografischen Entwicklung. Israels Gesellschaft hat sich rasch verändert: erstens durch den Zuzug russischer und orientalischer Juden; zweitens weil die Bürger, die zum rechten Spektrum tendieren, mehr Kinder bekommen als die Progressiven. Heute dominieren nicht mehr europäisch geprägte Einwanderer die Elite und ihr Denken wie in den Aufbaujahren, sondern Juden, die aus autoritären Staaten ohne demokratische Erfahrung kamen.
Parallel haben sich die äußeren Bedingungen für den Friedensprozess verschlechtert. Die Jahre, als Israelis und Palästinenser in Madrid, Oslo und Camp David verhandelten, waren auch spannungsreich – aber im Rückblick wirken sie wie eine gute alte Zeit. Damals saßen die Herrscher in Ägypten und Syrien noch fest im Sattel. Die palästinensische Seite war nicht gespalten in die Fatah im Westjordanland und die Hamas im Gazastreifen. Der Aufruhr der Islamisten hielt sich in beherrschbaren Grenzen.
Wie realistisch ist die Erwartung, dass der Frieden, der damals unter besseren Bedingungen ausblieb, heute möglich ist?
Netanjahus Wiederwahl bedeutet politischen Stillstand. Früher durfte man vielleicht die Hoffnung haben, er verfüge über ein strategisches Konzept und müsse nur erst die Macht sichern, um dann seine Strategie zu verfolgen. Jetzt wird er zum vierten Mal Regierungschef und hat offenbar nicht mehr anzubieten als: Machterhalt.
Netanjahu gibt Israel keine Perspektive
Dieser Stillstand erscheint vielen Wählern erträglicher als das Risiko der Veränderung. Frieden hat erst eine Chance, wenn es unter Israelis und Palästinensern Mehrheiten für dieses Wagnis gibt - und sie gleichzeitig Politiker an die Macht wählen, die die schmerzhaften Kompromisse schließen.
Netanjahu nutzt aus, dass er dafür derzeit keinen Partner in Palästina hat. Aber er gibt Israel keine Perspektive. Die Absage an die Zwei-Staaten-Lösung ist ein Irrweg. In einem binationalen Gesamtstaat wären die Juden eine Minderheit. Und die Alternative, ein Apartheid-Staat, in dem arabische Bürger geringere Rechte als jüdische Bürger haben, würde die Seele der israelischen Gesellschaft vergiften und das Land seines größten Trumpfs berauben. Es ist, bei allen Fehlern, die einzige Demokratie und der einzige Rechtsstaat in der Region.
Da hilft nur eins: Israels Opposition muss besser werden, auch in ihrem Verständnis, wie sie Wähler gewinnt. Damit ein Netanjahu nicht mehr so leichtes Spiel hat.
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