Wahlen in Israel

Haredische Frauen auf dem Weg in den Knesset

Die Gründerin der ultra-orthodoxen Partei für Frauen in Israel, Ruth Colian, aufgenommen am 16.02.2015 in Tel Aviv.
Ruth Colian, Gründerin der ultra-orthodoxen Partei für Frauen in Israel © picture alliance / dpa / Alexandra Rojkov
Von Lissy Kaufmann · 13.03.2015
Ist es ein Aufbegehren, wenn haredische - also ultraorthodoxe Frauen - sich in die Knesset wählen lassen wollen? Sie stellen sich am 17. März 2015 jedenfalls mit ihrer Partei "BeZchutan" zum erstmals zur Wahl. Die Juristin Ruth Colian hat die Partei gegründet.
Ruth Colian ist eine Kämpferin. Nicht nur, weil sie sich auf das politische Parkett Israels wagt und zur Knesset-Wahl Mitte März antritt. Sondern auch, weil sie gegen die Traditionen und strengen Regeln ihrer Gesellschaft aufbegehrt. Weil die ultraorthodoxen Parteien keine Frauen aufnehmen, hat die 33-jährige Juristin kurzerhand ihre eigene Partei gegründet. BeZchutan – haredische Frauen für den Wandel, heißt sie, und ist die erste ultraorthodoxe Frauenpartei in Israel.
"In der Knesset sind alle Gruppen vertreten, von den säkularen Juden bis zu arabischen Männern und Frauen. Nur eine Gruppe wird nicht repräsentiert: Die haredischen Frauen. Und genau deshalb werden unsere Stimmen nicht gehört. Haredische Frauen sind – wie auch arabische Frauen – in der israelischen Gesellschaft ganz unten."
Ruth Colian ist ultraorthodox aufgewachsen und nach ein paar Jahren in der säkularen Welt wieder zum haredischen Leben zurückgekehrt. Sie trägt einen langen Rock und eine Perücke. Denn nach orthodoxen Regeln sollen verheiratete Frauen ihr echtes Haar bedecken.
In ihrem religiösen Umfeld hat sie immer wieder von Problemen gehört: von häuslicher Gewalt, von Frauen, die unterbezahlt sind, die ihre Rechte nicht kennen. Von den anderen ultraorthodoxen Parteien fühlte sich Ruth im Stich gelassen:
"Im vergangenen November wurde in einem Knesset-Ausschuss über die Gesundheit der haredischen Frauen diskutiert. Die Fakten waren fatal: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine haredische Frau an Brustkrebs stirbt, ist doppelt so hoch wie der Durchschnitt. Und das nur, weil es in dieser Gemeinschaft als unanständig gilt, nur das Wort 'Brust' zu sagen. Frauen sterben, Kinder werden zu Waisen. Und wie viele haredische Knesset-Abgeordnete sind zu dieser Diskussion erschienen. Kein Einziger!"
Neben zwei Männer sind nur Frauen auf der Liste
Ruth Colian hat neben zwei Männern vor allem Frauen auf ihre Liste gesetzt.
Gila Yeshar ist eine von ihnen. Die Mutter von sieben Kindern steckte in den vergangenen vier Jahren in einem Scheidungskrieg mit ihrem gewalttätigen Mann. Ein Großteil ihrer Familie brach den Kontakt ab. Eine Frau solle sich nicht scheiden lassen, das zerstörte das Ansehen der Familie, so die Reaktionen.
Gila musste dafür kämpfen, eine der Wohnungen ihres Mannes für sich behalten zu dürfen und Unterhalt für ihren schwerbehinderten Sohn zu bekommen. Im Januar machte ihr Fall Schlagzeilen: Weil sie aus Gesundheitsgründen einen Termin vor dem religiösen Gericht verpasste, ließ der Richter sie verhaften. Auf dem Weg ins Gefängnis brach Gila zusammen, wurde ins Krankenhaus eingeliefert und dort wie eine Schwerverbrecherin mit Handschellen ans Bett gefesselt. Heute, gut einen Monat später, ist sie nicht nur geschieden, sondern auch auf Platz vier der Parteiliste:
"Ich dachte, dass ich dieses Mal nicht wählen werde. Doch dann kam Ruth mit dieser Partei an. Sie hat mich im Krankenhaus besucht, als sie mich ins Gefängnis stecken wollten. Da hat sie mich gefragt. Ich habe gesagt: 'Ruth, ich bin ganz unten, durchlebe die dunkelsten Stunden meines Lebens. Und du fragst mich, ob ich Knessetabgeordnete werden möchte? Machst du Witze? Es ist doch nicht Purim, lass mich in Ruhe!' Aber sie meinte: 'Nein, ich frage dich wirklich. Denke darüber nach.'"
Haredischen Medien schalten keine Wahlwerbung
Dass Israels ultraorthodoxe Frauen ausgerechnet jetzt für mehr Rechte kämpfen, hat mehrere Gründe. Die Geografikerin Lee Cahaner befasst sich wissenschaftlich mit dem Thema. Der Staat unterstützte die Haredim immer weniger: Mehr Frauen und Männer müssen arbeiten, studieren sogar und kommen so mit der säkularen Welt in Verbindung:
"Die wirtschaftliche Lage hat sich verändert, auch die haredischen Anführer und die Kultur: So studieren und arbeiten immer mehr Haredim, auch in säkularen Bereichen. Hinzu kommt das Internet. Außerdem hat sich die wirtschaftliche Kultur verändert. Das heißt, auch Haredim wollen sich nun mehr leisten, schöne Kleider, einen Computer, mal ins Kino gehen. All das verursacht Risse in der Wand, die die ultraorthodoxe Gemeinschaft umgibt. Und diese Risse lassen neue Ideen durch."
Die Rolle der haredischen Frauen ist zwiegespalten, so Lee Cahaner. Da viele der Männer in der Yeshiva die Torah studieren, sind es in vielen Familien die Frauen, die arbeiten. Das mache sie zu mehr als nur zu Müttern und Hausfrauen.
"Es stimmt zwar: Die Mädchen lernen, dass sie heiraten, für ihren Mann kochen und sich um den Haushalt kümmern sollen. Aber sie lernen auch, dass sie für das Einkommen der Familie zuständig sind. Und genau das führt zu einer schwierigen Dissonanz."
Und genau das stärke ihre Rolle und damit auch ihre Forderung nach mehr Rechte, erklärt Lee Cahaner.
Die Parteianführerin Ruth Colian hofft nun, dass sie mit ihrer Partei fünf der 120 Knesset-Sitze bekommen wird. Doch auf Stimmenfang zu gehen ist nicht einfach: eben weil sie alte Muster durchbrechen möchte. So lassen sie beispielsweise die haredischen Medien keine Wahlwerbung schalten. Doch Ruth ist voller Hoffnung. Sie will nicht aufgeben. Es ist längst nicht mehr nur ihr eigener Kampf, sagt sie, sondern ein Kampf für alle haredischen Frauen in Israel.
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