Wahl trägt "Handschrift des demografischen Wandels"

Bettina Munimus im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 24.09.2013
Ein Drittel der Wählerstimmen bei der Bundestagswahl kamen von über 60-Jährigen. Die Politologin Bettina Munimus sieht das machtpolitische Gleichgewicht zugunsten der Älteren verschoben und fordert das Wahlrecht auch für Minderjährige.
Jürgen Trittin: "Wir hatten uns mehr versprochen, und das werden wir jetzt mal in Ruhe analysieren."
Angela Merkel: "Ich möchte heute in meinen Gremien die Dinge besprechen, und dann muss man sehen, wie wir weiter verfahren."
Weiterer O-Ton: "Und sind Sie zuversichtlich, so wie wir es auch sind, dass wir eine gute Lösung finden."

Korbinian Frenzel: Tja. Ob wir so zuversichtlich sein können, aber: Wie schön berechenbar Politiker doch nach Wahlen sind, mit ihren Aussagen, Gremien, abwarten und dergleichen. Wir haben uns entschieden, dass wir Ihnen zumindest an dieser Stelle nicht noch ein Interview draufsetzen, das die Kette der Worthülsen weiter verlängern würde. Wir haben stattdessen Bettina Munimus zu Gast im Studio von Deutschlandradio Kultur, sie ist im Vorstand der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, und wie wir alle hat sie gebannt auf diesen Wahlausgang geschaut. Guten Morgen, Frau Munimus, schön, dass Sie da sind.

Bettina Munimus: Ja, guten Morgen.

Frenzel: Die Rechte zukünftiger Generationen – wenn wir Ihr Stiftungsziel zum Maßstab der Bewertung machen, war das am Sonntag ein guter oder ein schlechter Tag für Kinder und Jugendliche, für die, die vielleicht noch gar nicht geboren sind?

Munimus: Ja, ich würde sagen, das ist erst mal noch abzuwarten, wie die Koalition zustande kommt und welche Themen sie sich setzt. Aber was wir auf jeden Fall sagen können, ist, dass das Ergebnis der Bundestagswahl die Handschrift des demografischen Wandels trägt. Wenn man sich nämlich anschaut, wie die Altersgruppen in den Wahlberechtigten sich auseinanderfächern, so kann man sagen, dass die unter 30-jährigen Wahlberechtigten mit einem Anteil von knapp 16 Prozent an der Wahl beteiligt waren und die über 60-jährigen mit fast 34 Prozent. Und das ist in der Tat ein, ja, ein machtpolitisches Gewicht der Älteren.

Frenzel: Hat das denn Auswirkungen, konkret? Spüren Sie das in der Programmatik der Parteien, oder sind das erst mal nur Zahlen?

Munimus: Also ganz analytisch betrachtet, sind das in erster Linie Zahlen, die sich aber natürlich äußern, wie die wahlstrategische Ausrichtung der Parteien vor allen Dingen in den Bundestagswahlen sich orientiert. Man kann auf jeden Fall beobachten, dass schon mit periodischer Regelmäßigkeit das Thema Rente vor den Wahlen auf die Agenda kommt, dass Wahlgeschenke für Rentnerinnen und Rentner formuliert werden und dass dabei die Themen der jungen Leute sozusagen auch immer ein bisschen, ja, ein bisschen in den Hintergrund rücken.

Frenzel: Gilt das für alle Parteien oder müssen Sie da Abstufungen machen. Gibt es da welche, die ein wenig jugendlicher sind trotz dieser demografischen Fakten, die Sie dargestellt haben?

Munimus: Die beiden Volksparteien CDU und SPD würde ich, obwohl sie eben diesen generationenübergreifenden Ansatz haben, würde ich eher auch sagen, dass sie die Rentnerklientel eher sozusagen bevorzugen als die Grünen, die ja durch ihren ganzen, durch ihren Habitus auch so, ja, jugendlich, juvenil in Erscheinung treten wollen.

Frenzel: Auch wenn das nicht unbedingt für die eigene Führungsmannschaft gilt.

Munimus: Das stimmt.

Frenzel: Aber gut. Wenn wir mal nach vorne schauen: Was sind denn die Themen, die Probleme, die eine neue Bundesregierung anpacken muss aus dieser Perspektive, aus Perspektive künftiger Generationen?

Munimus: Wir von der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, wir sehen für die kommende Legislaturperiode drei zentrale Themenbereiche. Einmal die Energiewende, die gestaltet werden muss, zukunftsfähig gestaltet werden muss. Dann schlagen wir vor einen sogenannten Generationen-Soli für mehr Bildung, also eine Art von Steuer für höhere Einkommen. Und dieses Geld, das wir dadurch zur Verfügung gestellt bekommen, gezielt eben auch in Bildung investieren. Und was uns ganz besonders wichtig ist, dass wir das Rentenversprechen auch für die jüngere Generation wieder zukunftsfest machen. Denn die meisten in meiner Generation, die glauben nicht mehr an die eigene Rente, also an eine Rente, die dann im Alter so auskömmlich ist, dass man davon gut im Alter eben leben kann.

Frenzel: Sie haben ja das Thema Rente angesprochen und die demografischen Verhältnisse. Kann es sich eine Partei heute eigentlich überhaupt noch leisten, sich mit dieser starken Gruppe anzulegen. Und, wenn das nicht so ist, was müsste man denn ändern, was muss man da tun?

Munimus: Also, die Gruppe der über 60-Jährigen, also der Älteren, ist in der Tat eine machtvolle Gruppe, aber man kann sagen, dass es kein Gegeneinander ist, also kein Gegeneinander der Generationen, sondern wir kommen nur zu einem, ja, zu einer Lösung, die alle zufriedenstellt, wenn wir gemeinsam arbeiten. Das ist auch unser Ansatz. Wir als Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen wollen ein Miteinander der Generationen. Das heißt aber auch, dass wir in politischen Diskussionen, und das ist unser Wunsch der kommenden Bundesregierung, dass eben über Probleme, die de facto da sind, auch offen und ehrlich diskutiert wird. Und das würden wir uns wünschen, dass man da eben auch ehrlich und offen sagt, so wie es jetzt läuft, geht es nicht. Wir brauchen wirkliche Reformen.

Frenzel: Wie ist denn das zum Beispiel dann mit der Rente mit 67? Ich zähle jetzt auch tendenziell eher noch zu den Jüngeren, vielleicht nicht ganz so jung wie Sie, aber muss ich mich eigentlich darüber freuen, dass es diese Entscheidung gab? Denn die bedeutet ja für mich ganz konkret, ich muss länger arbeiten. Aber andererseits sichert es vielleicht mir auch die Rente. Wie bewerten Sie das?

Munimus: Also ich denke, dass die meisten meiner Generation die Rente mit 67 gar nicht so dramatisch finden wie eben die heutigen Rentnerinnen und Rentner, die da teilweise wirklich sehr, sehr schwer damit hadern. Ich denke, dass wir als jüngere Generation, wir wissen, dass wir einfach länger arbeiten müssen, länger als 67, werden die meisten wahrscheinlich auch davon ausgehen, dass sie bis 70 arbeiten. Aber wir nehmen das in Kauf, wenn wir wissen, dann, wenn wir im Lebensalter stehen, also am Ende eines Lebens, dann haben wir die Möglichkeiten, ein auskömmliches Leben zu führen, so ähnlich, wie es die heutigen Rentnergenerationen haben. Also ich denke, an der Zahl, mit 67 Jahren in Rente gehen, daran stört sich meine Generation gar nicht.

Frenzel: Eine ganz konkrete Forderung, die Sie ja auch haben, ist das Wahlrecht, das Wahlalter abzusenken. Wenn man sich nun mal die Ergebnisse anguckt, es gibt ja Jugendwahlen, Jugendparlamente, dergleichen mehr, Abstimmungen – da sind die Grünen immer ziemlich stark, da sind die Piraten zurzeit relativ stark, insgesamt eher die linken Parteien. Würde das nicht einfach bedeuten, dass sich die politischen Mehrheitsverhältnisse ein wenig nach links verschieben?

Munimus: Na ja, dafür müsste man ja sozusagen von der quantitativen Masse, also von der Zahl der Wahlberechtigten, ja so eine Größe hinbekommen wie die über 60-Jährigen. Wenn man davon ausgeht, dass eben die Jüngeren tendenziell eher im linken Spektrum des Parteiensystems wählen und die Älteren im, ja, rechtskonservativen Bereich. Wir von der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, wir plädieren für ein Wahlrecht durch Eintragung, also wir gehen wirklich einen sehr, im ersten Hören sehr radikalen Schritt. Ein Wahlrecht durch Eintragung, wir sagen …

Frenzel: Das heißt konkret?

Munimus: Das heißt, dass wir eben die Altersgrenze 18 auflösen wollen und keine Altersgrenze mehr sozusagen haben wollen. Und dass der- oder diejenige, die eben wählen gehen will, auch wählen gehen darf, durch Eintragung in ein Wahlregister.

Frenzel: Das heißt, da hat dann auch die Junge Union und die Jungen Liberalen Chancen, das wieder auszugleichen, wenn sie gut mobilisieren. Bettina Munimus, Vorstand der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Ich danke Ihnen für das Gespräch, ich danke Ihnen für den Besuch hier im Studio bei uns.

Munimus: Vielen Dank.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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