Waffenlieferungen an die Kurden im Irak

"Das ist ein Akt unmittelbarer Notwehr"

Peschmerga Einheiten machen sich auf, um gegen IS in Stellung zu gehen.
Katholischer Laientheologe Garstecki: Waffenlieferungen sind momentan legitim. © Sebastian Backhaus, dpa
22.09.2014
Waffenlieferungen an die Kurden im Irak seien ein legitimes Mittel, da derzeit nur die kurdischen Peschmerga den von den IS-Milizen verfolgten Minderheiten helfen, sagt der katholische Friedensethiker Joachim Garstecki. Es gebe eine Solidaritätspflicht gegenüber den hilflosen Opfern von Gewalt.
Dieter Kassel: Heute beginnt in Fulda die Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz und neben den katholischen, deutschen Bischöfen wird auch Shimoun Nona dabei sein, der Erzbischof von Mossul. Nicht nur deshalb wird in Fulda die Einstellung der katholischen Kirche in Deutschland zum Vormarsch der Terrororganisation IS im Mittelpunkt stehen.
Es gibt dazu zwar schon eine Erklärung des Ständigen Rates der Bischofskonferenz, aber die ist ebenso ausführlich wie unkonkret. Etwas konkreter wollen wir deshalb jetzt über die Frage nach Krieg und Frieden aus katholischer Sicht mit Joachim Garstecki reden. Er ist katholischer Friedensethiker, Theologe und war von 1991 bis 2000 Generalsekretär der deutschen Sektion von Pax Christi. Schönen guten Morgen, Herr Garstecki!
Joachim Garstecki: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Das gerade erwähnte Papier des Ständigen Rats, das sagt – wenn ich das mal verkürzen darf, was man muss, es ist recht ausführlich – es sagt sinngemäß, die deutschen Bischöfe seien der Meinung, Waffenlieferungen dürften niemals ein selbstverständliches, unhinterfragtes Mittel sein, sie könnten aber in bestimmten Situationen auch nicht ausgeschlossen werden. Machen wir es doch bitte etwas konkreter: Sind deutsche Waffenlieferungen an die Kurden im Irak mit der katholischen Friedenslehre vereinbar?
Waffenlieferungen sind das letzte Mittel, können andererseits aber sogar ethisch geboten sein
Garstecki: Man muss unterscheiden zwischen dem Leitbild des gerechten Friedens, das die katholische Kirche teilt, und in diesem Leitbild sind Waffen als Mittel, Frieden zu schaffen, nur als äußerste Möglichkeit vorgesehen. Und wenn wir die Situation im Irak anschauen, müssen wir sagen: Das ist ein Akt unmittelbarer Notwehr. Es ist niemand anders da als die irakischen Kurden, die überhaupt noch die Möglichkeit haben, den verfolgten Minderheiten, von den IS-Milizen verfolgten Minderheiten wirksam zu helfen.
Da gibt es eine Solidaritätspflicht gegenüber schutzlosen Opfern von Gewalt. Das ist eine uralte christliche Überzeugung, dass man an Leib und Leben Bedrohten zur Hilfe kommt, die sich selber nicht mehr wehren können und wenn alle Mittel der Prävention oder gewaltarme und gewaltfreie Mittel versagt haben und nicht mehr zur Verfügung stehen. Es ist also eine Dilemmasituation, in der man sich entscheiden muss. Und hier sagen, wenn ich die katholischen Bischöfe richtig verstehe in ihrer Erklärung vom August, dass unter diesen Bedingungen auch militärische Mittel und sogar Waffenlieferungen möglich sind und ethisch geboten sein können, weil man nur mit ihnen zu Unrecht Angegriffenen noch zur Hilfe eilen kann.
Der katholische Theologe Joachim Garstecki
Der katholische Theologe Joachim Garstecki© dpa / picture alliance
Kassel: Jetzt haben Sie selber gesagt, wenn ich diese Erklärung aus dem August richtig verstehe – teilen Sie denn dann auch den Eindruck, dass sich bisher, ich sage mal etwas flapsig, die katholische Kirche nicht sehr aus dem Fenster gelehnt hat, was eine eindeutige Einstellung zu dieser Frage angeht?
Garstecki: Ja. Also es gibt keine vergleichbare Diskussion wie vielleicht unter evangelischen Christen und in den evangelischen Kirchen. Die Diskussion wird es zweifellos geben, und ich kann mir vorstellen, dass gerade die Erklärung vom August innerhalb der katholischen Kirche kontrovers aufgenommen worden ist, weil es natürlich auch in der katholischen Kirche auch für diese Situation die Vorstellung gibt, dass konsequent gewaltfreien Mitteln der Vorzug zu geben ist vor Gewaltmitteln.
Aber gewaltfreie Mittel in dieser Situation noch heranziehen zu wollen, ist ein bisschen euphemistisch. Das funktioniert nicht. Und deshalb glaube ich, dass das eine richtige Perspektive zumindest ist, die die Bischöfe da aufgemacht haben.
Kassel: Aber dieses, was wir ja aus der Politik kennen, dieses Herumeiern, das zu einem gewissen Jein führt, das ist ja bis an höchste Stelle zu beobachten: Papst Franziskus hat gestern bei seinem Besuch in Albanien noch einmal deutliche Worte gefunden, was seine Ablehnung jeder Art von religiösem Fanatismus angeht, er hat aber auf der anderen Seite vor einer guten Woche beim Besuch eines Kriegsgrabs in Italien auch gesagt: Krieg ist Wahnsinn. Was heißt das denn nun alles? Krieg ist Wahnsinn, aber ab und zu notwendiger Wahnsinn?
Wenn Recht brutal gebrochen wird, ist Gewalteinsatz ein legitimes Mittel
Garstecki: Nein, Krieg bleibt auch Wahnsinn. Aber wenn andere Krieg führen, muss man sich die Frage stellen: Wie ist es möglich, wenn unschuldige Menschen schutzlos darunter leiden müssen und dem hilflos ausgesetzt sind, wie man dem in die Arme fallen kann? Und von daher ist diese Frage für mich nicht unter der Rubrik Krieg führen und Absegnen durch die katholische Kirche zu verbuchen, sondern unter der Frage: Wie lässt sich Recht wiederherstellen, damit Menschen in Sicherheit leben können.
Das ist etwas, was ja in der christlichen Tradition insgesamt auch wichtig ist und gerade in den letzten 20 Jahren in den christlichen Kirchen in Deutschland sehr stark betont worden ist, dass die Mittel des Rechts für einen gerechten Frieden oder zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit und Frieden, dass die beachtet werden müssen. Und wenn Recht so massiv gebrochen wird, dass wir nur noch von rechtlosen Zuständen in dieser Region sprechen können mit brutaler Gewaltanwendung und Gefahr für Leib und Leben der betroffenen Menschengruppen – Christen, Jesiden, Turkmenen, Aleviten und andere – dann ist dieser Gewalteinsatz ein legitimes Mittel, Recht wieder zur Geltung zu bringen.
Kassel: So deutlich, wie Sie das jetzt gerade gesagt haben, hat das die katholische Kirche in Deutschland offiziell ja bisher nicht gesagt. Trägt das nicht auch dazu bei, dass wahrscheinlich viele Menschen in Deutschland, vermutlich auch einige Katholiken, sich denken: Was die Kirche dazu sagt, ist mir eh wurscht?
Weil der Mensch Ebenbild Gottes ist, hat er Würde und Rechte
Garstecki: Das glaube ich nicht. Also wenn man genau guckt, dann hat zum Beispiel die katholische Kirche in ihrem letzten Friedenswort vom Herbst 2000, das ist schon 14 Jahre her, an mehreren Stellen sehr eindeutig gesagt: Es gibt eine Solidaritätspflicht gegenüber den hilflosen Opfern von Gewalt. Und in diesem Zusammenhang ist dort sogar nachzulesen: Es kann ethisch geboten sein, also nicht nur als eine Möglichkeit, sondern es kann geboten sein, den zu Unrecht Angegriffenen zur Hilfe zu eilen, um noch größere Gewalt zu vermeiden und wenn alles andere versagt hat.
Dahinter steht auch eine theologische Überzeugung, die lautet: Der Mensch ist Ebenbild Gottes, und aus dieser Ebenbildlichkeit resultiert eine Würde und resultieren Rechte, die von der Politik und auch von der Kirche unbedingt zu wahren sind. Also ich glaube, auf diese Rechtsfigur muss man achten und auf diese theologische Komponente, die hinter dieser Position steht: ethisch geboten sein.
Kassel: Joachim Garstecki, Theologe und Friedensethiker, über eine sinnvolle Position der katholischen Kirche in Deutschland zur Bedrohung durch die IS im Nahen Osten. Herr Garstecki, vielen Dank für das Gespräch!
Garstecki: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema