"Waffenexporte sind ein delikates Geschäft"

Moderation: Gabi Wuttke · 02.09.2011
Es gebe klare Regeln für den Waffenexport, sagte der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Stinner. Nun müsse genau untersucht werden, ob und warum Waffen des deutschen Rüstungsherstellers Heckler & Koch in Libyen im Einsatz waren.
Gabi Wuttke: Wenn Deutschland aus dem Geschäft mit dem Waffenhandel aussteigt, sind wir dem weltweiten Frieden ein Stück näher. Diesen Wunsch äußerte gestern Abend der frisch ausgezeichnete Träger des Aachener Friedenspreises. Jürgen Grässlin kennt die Wunden, die Waffen von Heckler & Koch verursachen, für seine Arbeit hat er mit hunderten von Menschen über ihre Verletzungen gesprochen. Der deutsche Waffenhersteller bleibt dabei: Er habe zu keinem Zeitpunkt irgendetwas nach Libyen geliefert. Die dort gesichteten Sturmgewehre G36 müssten deshalb unrechtmäßig und auf nicht bekanntem Weg zu Gaddafi gelangt sein. Um 7.51 Uhr begrüße ich zum Thema den außenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Rainer Stinner. Guten Morgen!

Rainer Stinner: Guten Morgen!

Wuttke: Schließen Sie aus, dass Heckler & Koch illegale Waffengeschäfte macht?

Stinner: Also ausschließen kann ich grundsätzlich überhaupt nichts, aber es gibt bisher keine Anzeichen dafür. Es gibt in Deutschland klare Regeln dafür, für Waffenexporte, sowohl für den Beschluss, Waffen zu exportieren und die Genehmigung eine klare Regelung, und es gibt auch eine Regelung über den sogenannten Endverbleib von Waffen, dass der geregelt werden muss, bevor die Ausfuhrgenehmigung erteilt wird. Und dieser Vorgang, den wir jetzt haben, ist zu untersuchen. Es ist genau zu untersuchen, welche Waffen das sind, wo die herkommen, aus welcher Produktion, wie sie da hingekommen sind. Das ist eine Aufgabe, die jetzt mit aller Sorgfalt angegangen werden muss.

Wuttke: Es gibt Spekulationen, die Waffen könnten - und das wäre legal - für Saudi-Arabien genehmigt worden sein, und seien dann von dort nach Libyen gekommen. Herr Stinner, kann die Bundesregierung es verantworten, für deutsche Rüstungslieferanten bei ausländischen Regierungen Klinken zu putzen, obwohl der Weg, den Waffen nehmen, nicht hundertprozentig zu kontrollieren ist?

Stinner: Nein, von Klinken putzen habe ich jetzt ... das sehe ich jetzt nicht, den Zusammenhang. Wie gesagt, falls das der Fall gewesen sein sollte - das ist alles pure Spekulation -, muss das aufgeklärt werden. Daraus müssen Konsequenzen geschlossen werden. Bisher gibt es nach meinem Wissensstand jedenfalls keinerlei Hinweise dafür, dass das vorher jemals so geschehen ist. Wenn das jetzt erstmals der Fall gewesen sein sollte - wie gesagt, ich bewege mich hier ausdrücklich im hypothetischen Bereich, weil ich dafür keinerlei Anhaltspunkte habe -, dann müsste das natürlich entsprechende Konsequenzen haben. Aber das ist zu untersuchen.

Wuttke: Für diese politische Wirtschaftsförderung, da gibt es durchaus einen Zusammenhang, nämlich die moralische Verantwortung einer Regierung.

Stinner: Ja, aber es ist ja nicht so, dass die deutsche Regierung Klinken putzt für Waffenexporte, es geht ...

Wuttke: Wirtschaftsminister reisen durch die Welt.

Stinner: Ja, sie reisen durch die Welt, aber sie verkaufen keine Waffen.

Wuttke: Sie bieten sie aber an und haben einen Wirtschaftstross dabei, Herr Stinner, das wissen Sie auch.

Stinner: Ja, aber es ist doch kein Klinkenputzen für Waffenexporte, das heißt, dass der deutsche Wirtschaftsminister sagt, nun kauft mal Waffen, sondern Waffenexporte sind ein delikates Geschäft, das bestreite ich überhaupt nicht, und aus diesem Grunde gibt es in Deutschland und auch auf EU-Ebene ziemlich klare und deutliche Regelungen, oder nicht nur ziemlich klare, sondern deutliche Regelungen. Es gibt in Deutschland ein ausgeklügeltes System, Rüstungsexportrichtlinien, und dort steht unter Paragraf 5 oder unter fünftens: Der Endverbleib der Kriegswaffen und sonstiger Rüstungsgüter ist in wirksamer Weise sicherzustellen, und es gibt einen europäischen Verhaltenskodex, wo auch darüber gesprochen wird. Also es gibt Regularien dafür. Falls die nicht eingehalten sein sollten, muss das nachgehalten und auch sanktioniert werden. Daran gibt es für mich nicht den geringsten Zweifel.

Wuttke: Wer soll sanktioniert werden?

Stinner: Gut, also falls eine Firma dagegen verstößt, müsste die Firma sanktioniert werden, und falls ein Land nicht das sicherstellt, zu dem es sich verpflichtet hat nach diesen Einkäufen von Waffen, dann müsste mit dem Land darüber geredet werden, dann müsste gegebenenfalls die Politik in diesem Land geändert werden. Das ist für mich außer Frage.

Wuttke: Wie oft werden denn diese Richtlinien eigentlich überarbeitet? Bleiben wir doch mal bei der Möglichkeit, Saudi-Arabien könnte der Weg gewesen sein, über den die Heckler-&-Koch-Waffen nach Libyen gekommen sind. Das heißt, da hat sich jemand dann nicht oder hätte sich nicht an die Unterschrift gehalten, dass eine Weitergabe untersagt war. Andererseits haben wir galoppierende politische Veränderung. Muss die Bundesregierung da an ihre Richtlinie mal dringend ran?

Stinner: Es ist für mich keine Frage, dass man solche Richtlinien ständig überprüfen muss anhand der Realität. Allerdings: Die Richtlinien sind schon ziemlich ausgeklügelt und ziemlich umfangreich, und wenn man sieht, wie der Prozess läuft der Genehmigung der Ausfuhr von Waffen und welche Beteiligten dort sind - das ist ein Prozess, an dem das Außenministerium und das Wirtschaftsministerium beteiligt sind, dann gibt es eine eigene Agentur dafür, die BAFA, die das macht, die sich aufgrund eines ausgeklügelten Kodexes daran halten muss, dann ist das schon ziemlich reguliert. Aber ich bin ja sehr offen dafür: Falls sich durch diesen Vorgang, wenn er denn durchleuchtet ist, neue Erkenntnisse ergeben, die uns dazu bringen sollten, die Richtlinien zu überdenken, sollten wir das auf jeden Fall tun, da bin ich überhaupt nicht dogmatisch, das ist keine Frage.

Wuttke: Diese Regulierung, wie Sie sagen, ist ja immer angelehnt an die Einschätzung von politischen Stabilitäten oder Instabilitäten. Nun müssen wir uns in diesem Fall mal vor Augen führen, dass es ja gegen Libyen bis zum Oktober 2004 ein Waffenembargo gab. Kurz nach Aufhebung reiste Kanzler Schröder zu Gaddafi, um die Beziehungen eben nach dem Anschlag in Berlin 1986 zu normalisieren. Also da ist es doch gefragt, ständig darauf zu gucken, bevor man sich vertut und dann irgendwann in einer Revolution, in einem Aufstand, in einem Umsturz steht und sagt, hm, bisher haben wir immer gedacht, es ist alles schön?

Stinner: Ja, ich kann Ihnen völlig recht geben, das muss ständig überprüft werden, und ich schließe auch nicht aus, dass es da Fehleinschätzungen gegeben hat, gar keine Frage.

Wuttke: In Europa werden die Waffenetats zusammengestrichen, auch die deutschen Rüstungsunternehmen. Müssen sich also Abnehmer im Rest der Welt suchen, da gibt es ja keinen Mangel an Kriegen und Diktaturen? Ist es Zeit vielleicht mal für eine deutsche Rüstungswende?

Stinner: Rüstungswende, da meinen Sie, dass wir in Deutschland reglementieren, die Produktionen und den grundsätzlichen Export von Rüstungsgütern?

Wuttke: So ist es.

Stinner: Ich sehe, dass wir ein sehr starkes Regelwerk haben für den Rüstungsexport, und an den müssen sich die Firmen halten. Ich bin wiederholt mit Vorgängen befasst gewesen durch Informationen und durch Gespräche mit den beteiligten Ministerien, wo es darum ging, solche Dinge zu genehmigen. Das ist nicht Aufgabe von Parlamentariern, das zu tun, sondern der Exekutive, aber wir müssen es natürlich überwachen. Und aus dieser Befassung über mehrere Jahre hinweg mit diesen Themen habe ich den Eindruck gewonnen, dass die deutsche Bundesregierung, das Außenministerium und das Wirtschaftsministerium, dass die beiden beteiligten Ministerien sehr sorgfältig und sehr umfangreich prüft, sehr zum Leidwesen mancher Unternehmen, die sich dann eher beklagen, wie bürokratisch und wie genau die deutsche Bundesregierung dabei vorgeht. Das ist mein Eindruck bisher.

Wuttke: So eine Kröte musste ja auch schon die deutsche Atomindustrie schlucken. Herr Stinner, ich danke Ihnen sehr, im Interview der "Ortszeit" der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion zum Thema Deutschland und die Rüstungsexporte.

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