Währungspolitik

"Der Euro wird die nächsten drei Jahre nicht überleben"

Euroscheine und Euromünzen liegen auf einem Tisch.
Deutschland muss © Daniel Reinhardt/dpa
Heiner Flassbeck im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 23.02.2015
Von wegen Musterschüler: Deutschland spiele mit seiner Lohnpolitik gegen europäische Regeln, sagt Heiner Flassbeck. Wenn sich das nicht bald ändere, sei es mit der Währungsunion bald vorbei, prophezeit der Wirtschaftswissenschaftler.
Deutschland übt sich seit Jahren in Lohnzurückhaltung. Doch was der Bundesrepublik zu nutzen scheint, ist ein Problem für unsere Nachbarn, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck.
Deutschland habe die Lücke in der europäischen Wettbewerbsfähigkeit durch seine falsche Lohnpolitik entscheidend mitverursacht , so Flassbeck im Deutschlandradio Kultur.
"Die Regel hieß: 'Wir machen ein Inflationsziel von zwei Prozent alle gemeinsam in der Währungsunion und jeder muss sich daran halten'. Die einen haben dagegen nach oben verstoßen – Deutschland nach unten."
Setze Berlin diese Politik fort und gelinge es in Europa nicht zu einer gemeinsamen Lohnpolitik zu finden, werde dies die Währungsunion kaputt machen: "Der Euro wird die nächsten drei, vier Jahre nicht überleben."
Deutsches Lohndumping wird zum Problem für andere Länder
Die Ursache der Probleme sei das deutsche Lohndumping, so der ehemalige Chef-Volkswirt der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD). Deshalb müsse man genau hier ansetzen: "Es müssten in Deutschland die Löhne steigen."
Dies würde demnächst zwar geschehen – allerdings in viel zu geringem Umfang. "In diesem Tempo brauchen wir 30 bis 40 Jahre, bis die anderen Länder wieder eine Chance haben, auf den Weltmärkten mit Deutschland zu konkurrieren."
Um die Wettbewerbslücke in Europa zu schließen, bedürfe es in eines deutschen Lohnanstiegs "um fünf bis sechs Prozent pro Jahr für 10, 15 Jahre".
Deutschland habe mit seiner Lohnzurückhaltungsstrategie bereits Anfang der 2000er Jahre begonnen und sich dadurch "in eine einmalige Position manövriert, die natürlich die anderen nicht nachholen können jetzt". Dass Berlin nun von seinen Nachbarn verlange, ebenfalls die Löhne zu kürzen, sei nicht machbar – sonst drohe eine Deflation und noch viel höhere Arbeitslosigkeit. Dies lasse sich der deutschen Politik aber offenbar nicht vermitteln. Er habe den Eindruck, der Großteil der politischen Elite sei "intellektuell nicht in der Lage, diesen kleinen Schritt zu machen".

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Täglich grüßt das Murmeltier: Wenn Sie am Freitag nachrichtentechnisch ausgestiegen sind und das Wort „Griechenland" gehört haben, dann steigen Sie heute genau damit wieder ein. Eine Woche der Entscheidung steht an, so heißt es: Die Griechen müssen ihre Reformliste vorlegen. Heute soll das passieren, und dann zeigen die Daumen in Brüssel, in Frankfurt am Main und in Berlin entweder nach oben oder sie zeigen nach unten. Am Telefon ist der Ökonom Heiner Flassbeck, ehemals Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung und noch davor Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Guten Morgen, Herr Flassbeck!
Heiner Flassbeck: Guten Morgen!
Frenzel: Nach unten werden die Daumen der Europäer dann nicht zeigen, oder?
Flassbeck: Nein, wohin sollen sie denn zeigen, denn es gibt ja kein Szenario dafür, was dann passiert. Man kann Griechenland noch weiter unter Druck setzen, man kann die Liquidität entziehen, dem Bankensystem entziehen, dann muss das Land wahrscheinlich, wie Zypern vor zwei Jahren, praktisch alles mitmachen, wenn es kein Ausstiegsszenario gibt, aber das gibt es ja nicht. Es gibt kein Ausstiegsszenario. Und insofern wird sich jeder überlegen, wohin er den Daumen am Ende reckt.
Frenzel: Das heißt, erleben wir da eigentlich gerade nur ein politisches Ränkespiel?
Flassbeck: Na ja, es ist schon eine sehr schwerwiegende Auseinandersetzung, es ist aber eine philosophisch-theoretische Auseinandersetzung über die richtige Wirtschaftspolitik, und vor allem angeführt von Deutschland beharrt man darauf, die bisherige Politik, die nach allen menschlichen Maßstäben grandios gescheitert ist, sei richtig gewesen. Man hat Griechenland in eine große Depression gejagt, das Land hat unglaublich gelitten, und es gibt keine Anzeichen für eine Besserung – und man sagt: Jetzt machen wir aber gerade mal weiter. Und das ist völlig verrückt.
Das deutsche Modell funktioniert nicht für alle Länder
Frenzel: Diese Argumentation, die kennt man ja von Ökonomen, die ja eher links zu Hause sind, auch von politischen Parteien, die dort verortet sind. Bei mir wirft sie immer die Frage auf: Wenn dieses deutsche Modell so schlecht und so gescheitert ist, warum geht es denn Deutschland dann ausgerechnet gerade so gut?
Flassbeck: Ja, weil ein Land tun kann, was andere nicht tun können, und weil Deutschland schon Anfang der 2000er-Jahre angefangen hat mit einer Unterbewertungsstrategie, mit einer Lohndumping-Strategie, also einer Lohnzurückhaltungsstrategie, und hat sich dadurch in eine einmalige Position manövriert, die natürlich die anderen nicht nachholen können jetzt, sondern Deutschland verlangt jetzt von den anderen, sie sollen auch die Löhne kürzen. Nur: Das ist nicht so einfach, wenn man nicht gleichzeitig in einer Welt lebt, in der es insgesamt nach oben geht. Und in Europa ist insgesamt Katastrophe angesagt.
Und wenn jetzt alle das Gleiche tun, was Deutschland getan hat, dann bekommen wir das Erste, was wir schon haben, nämlich Deflation, und das Zweite ist: Wir bekommen noch viel höhere Arbeitslosigkeit. Wir haben es ja in Spanien und Griechenland gesehen: Die haben ja die Löhne gekürzt – aber mit katastrophalem Ergebnis. Und diesen einfachen Schluss von Einem auf das Ganze, dass der nicht funktioniert, der ist in Deutschland offenbar nicht vermittelbar. Ich habe den Eindruck, dass ... Unsere ganze politische Elite, der Großteil der politischen Elite ist intellektuell nicht in der Lage, diesen kleinen Schritt zu machen, nämlich zu sehen, dass nicht ein Land, das, was ein Land getan hat, alle anderen gleichzeitig tun können.
Frenzel: Das heißt, was ist die Alternative? Wenn die anderen ihre Löhne nicht kürzen, müssen wir mit den Löhnen hoch in Deutschland?
Flassbeck: So ist es. Das ist ganz einfach. Deutschland hat entscheidend diese Lücke der Wettbewerbsfähigkeit verursacht durch eine falsche Lohnpolitik sozusagen. Das war ja ein Verstoß gegen das gemeinsam festgelegte Inflationsziel. Deutschland hat das Inflationsziel unterboten, die Griechen haben es ein bisschen überboten, aber Frankreich hat zum Beispiel vollkommen perfekt das Inflationsziel eingehalten und hat auch Probleme. Und Ursachentherapie sagt uns: Ich muss an die Ursache der Dinge rangehen – und die Ursache der Dinge ist das deutsche Lohndumping, und deswegen muss man da ansetzen. Es müssten in Deutschland die Löhne steigen. Die steigen jetzt auch ein bisschen, aber viel zu wenig.
Deutschland muss seine Löhne anheben
Frenzel: Ich wollte gerade sagen: Sie steigen ja. Um wie viel müssten sie denn steigen?
Flassbeck: Ja, in diesem Tempo brauchen wir 30, 40 Jahre, bis die anderen Länder eine Chance haben, wieder auf den Weltmärkten mit Deutschland zu konkurrieren und auch in Europa. Sie müssten um fünf, sechs Prozent pro Jahr steigen für 10, 15 Jahre, damit diese Lücke ... Da sieht man: Diese Lücke ist gewaltig, die da entstanden ist in den ersten 15 Jahren. Man hat einfach geschlafen. Die anderen Europäer haben nicht kapiert, was da passiert, was mit ihnen passiert sozusagen, und Deutschland feiert sich mit seiner Agenda – und den Kladderadatsch, den haben wir jetzt.
Frenzel: Herr Flassbeck, für mich klingt das aber ein bisschen so, als würde man den Bayern jetzt sagen: Spielt ein bisschen schlechter, damit die Bundesliga wieder spannender wird.
Flassbeck: Ja, das ist ein schlechtes Beispiel. Das wird immer wieder verwendet, aber darum geht es ja nicht. Es geht ja erstens nicht um ein Fußballspiel, und zweitens geht es nicht darum, schlechter zu spielen, sondern entsprechend den Regeln zu spielen. Deutschland hat gegen die Regeln gespielt. Die Regel hieß: Wir machen ein Inflationsziel von zwei Prozent, alle gemeinsam in der Währungsunion, und jeder muss sich daran halten. Wie gesagt, die einen haben dagegen verstoßen nach oben, Deutschland nach unten, und die richtige Lösung ist: Du musst jetzt in der Tat etwas zurückgeben von dem, was du gewonnen hast in den letzten zehn Jahren, und dann müssen wieder alle entsprechend der Regel spielen, sonst gibt es keine Währungsunion mehr in drei Jahren.
Frenzel: Aber innerhalb der EU könnte man dieses Spiel vielleicht betreiben. Dann machen wir ja die Grenzen nach außen zu und sagen, ja, wir gleichen das Lohnniveau eben so, wie Sie es beschrieben haben, an.
Flassbeck: Ja.
Frenzel: Aber Deutschland ist ja nun mal ein Global Player, ist viel mit China im Geschäft, mit den Vereinigten Staaten. Wenn wir uns da wieder teurer machen – ist das eine kluge ökonomische Strategie?
Flassbeck: Ja, die Chinesen und die Amerikaner, mit denen können wir dann sowieso nicht kämpfen, weil die haben eigene Währungen, und wenn bei denen etwas schiefgeht in dem Sinne, dass sie an Wettbewerbsfähigkeit verlieren gegenüber Deutschland oder Europa, dann werten die ihre Währung ab oder sie ziehen Handelsschranken hoch. Also das ist sowieso eine grandiose Illusion, wir müssten gegen China kämpfen, Deutschland mit seinen 80 Millionen 1,3 Milliarden Chinesen niederhalten, und dafür müssen wir Europa opfern sozusagen. Das ist eine völlig absurde Vorstellung.
Nein, wir müssen in Europa vernünftige Regeln haben, und den Rest müssen wir dann über den Euro-Wechselkurs mit den anderen Ländern regeln, aber erst müssen wir innerhalb Europas eine vernünftige Regel haben, und die heißt auch nicht, die Lohnniveaus angleichen, sondern die heißt: Jeder muss sich an seine eigene Produktivität anpassen, an seine Produktivität, nicht an die der anderen. Und Deutschland hat eben unter seinen Verhältnissen gelebt, die anderen über. Und das geht nicht. Man muss entsprechend seinen Verhältnissen leben – das ist die entscheidende Regel für eine Währungsunion.
Frenzel: Herr Flassbeck, Frankreich hatte eine politische Wende nach links mit François Hollande 2012, in Italien ist Matteo Renzi rangekommen, jetzt haben wir die Griechen mit einer Linksregierung – und dennoch wird daraus keine politische Agenda. Ich habe immer den Verdacht, das liegt daran, dass diese politische Agenda, die Sie auch beschreiben, vielleicht in der Analyse gut ist, aber in der Anbietung praktischer Lösungen nicht besonders. Kann das sein?
Flassbeck: Doch, meine Lösungen sind unglaublich praktisch.
Frenzel: Aber warum werden sie dann politisch nicht Realität?
Flassbeck: Von wem werden sie denn blockiert? Sie werden von einer SPD-CDU-Koalition in Berlin blockiert. Alle anderen würden doch alles mitmachen.
Europa drohen weitere radikale Wahlergebnisse
Frenzel: Ist die denn stark genug, dass sie 18 Europartner und die gesamte EU unterjochen kann?
Flassbeck: Ja, Deutschland ist stark genug, weil Deutschland das entscheidende Gläubigerland ist. Deutschland hat eben durch seine Lohnsenkungspolitik sich in die Position gebracht, dass es der wichtigste Gläubiger ist, und in einer Krise ist der Gläubiger eben unheimlich stark, weil die anderen Länder Kapital brauchen. Das sieht man jetzt an Griechenland. Und das gilt im Prinzip auch für Frankreich und Italien. Und deswegen kommt keine vernünftige Koalition zustande. Es müsste in der Tat eine Koalition zustande kommen. Es sieht aber nicht danach aus, weil weder in Italien noch in Frankreich politische Führer da sind, die entweder das Problem durchschauen oder den Mut haben, gegen Deutschland aufzustehen.
In der angelsächsischen Welt ist das, was ich jetzt gerade sage, vollkommen klar und vollkommen verstanden, und es muss nur politisch umgesetzt werden. Aber solange wir keine Koalition dementsprechend haben, kann Deutschland so weitermachen und der Euro wird die nächsten drei, vier Jahre nicht überleben, denn die nächsten Wahlen – die Leute wählen immer radikaler, das sehen wir ja in Griechenland –, die nächsten Wahlen werden aber nach rechts gehen, in Frankreich, in Italien wird rechts gewählt, explizit anti-europäisch wird da gewählt. Und das ist dann die eigentliche Katastrophe, und die wird dann den Euro kaputt machen.
Frenzel: So sieht es und sagt es Heiner Flassbeck, ehemals Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Flassbeck: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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