Vulkanland Japan

Der Flucht-Rucksack ist immer gepackt

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Der Vulkan Fuji-san ist Japans berühmtester Berg. Er wird als Heiligtum verehrt. © picture alliance / dpa / Kyodo
Von Jürgen Hanefeld  · 24.09.2015
Nicht erst seit dem Erdbeben, das im März 2011 die Katastrophe von Fukushima zur Folge hatte, wissen wir: die Erdbebengefahr in Japan ist allgegenwärtig. Es gibt hier mehr als 100 aktive Vulkane. Und in jüngster Zeit häufen sich die Ausbrüche.
Japaner haben einen Rucksack zu Haus. Und zwar nicht zum Wandern - das vielleicht auch - aber vor allem für den Notfall. Einen Rucksack mit Wasser, haltbaren Lebensmitteln, Verbandszeug und so weiter. Denn in diesem Land muss man stets darauf gefasst sein, Haus oder Wohnung sofort zu verlassen, wenn die Erde bebt, ein Tsunami anrollt oder ein Vulkan ausbricht.
Das Bewusstsein, dass die japanische Inselwelt stets in Bewegung ist, hat die Menschen über Jahrtausende geprägt. Sie haben es gelernt, mit der Gefahr zu leben, das heißt: Sie wissen, dass nichts wirklich sicher ist, dass die Natur, die Götter, das Schicksal jederzeit zuschlagen können.
Aber sie haben auch Methoden und Instrumente entwickelt, um sich zu wappnen. Frühwarnsysteme, Evakuierungspläne, Schutz-Bunker und Flucht-Rucksäcke, all das lässt sie etwas ruhiger schlafen. Trotzdem, sagt Toshitsugu Fujii, vom 'Prognosekommittee für Vulkanausbrüche':
"Nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technologie ist es nicht möglich, einen Ausbruch sicher vorherzusagen oder sicher auszuschließen."
Der Professor musste sich rechtfertigen, nachdem am 27. September vergangenen Jahres, einem Sonnabend, bei schönstem Wanderwetter und ohne jede Vorwarnung, der Berg Ontake ausbrach. 57 Menschen kamen ums Leben, sechs weitere sind bis heute verschwunden. Ein Mitglied der Suchmannschaften berichtete im Fernsehen:
"Die Leichen waren zur Hälfte in Asche begraben, manche sogar tiefer."
Takayuki Kaneko, Wissenschaftler am Erdbeben-Forschungsinstitut der Tokyo-Universität erklärte:
"Gesteinsbrocken von der Größe von Fußbällen flogen umher, und zwar mit einer Geschwindigkeit von bis zu 360 Kilometern pro Stunde."
Der gut 3000 Meter hohe Ontake ist nur einer von 110 aktiven Vulkanen in Japan. 47 sind unter strikter Beobachtung durch modernste Messgeräte und ihre Aktivität ist eingeteilt in fünf Gefahrenstufen. Dem Ontake hatte man Level 1 zugeordnet, den harmlosesten Grad der Gefährdung. Deswegen waren so viele Wanderer unterwegs, deswegen gilt der Ausbruch als der folgenschwerste der Nachkriegszeit in Japan. Aber bei Weitem nicht der einzige. Am 29. Mai dieses Jahres teilte Sadayuki Kitagawa vom japanischen Wetteramt mit:
"Weitere Eruptionen sind wahrscheinlich"
"Heute um 09.59 Uhr ist der Vulkan Kuchino Erabu explodiert. Weitere Eruptionen sind wahrscheinlich. Bitte achten Sie auf pyroklastische Ströme und Schlacken."
Gemeint sind giftige Gaslawinen, Magma, das die Berghänge herunterläuft. Diesmal herrschte Warnstufe 3, als der Vulkan im Süden Japans mit einer Asche-Fontäne von mehr als 9000 Metern aus dem Schlaf erwachte. Er war zuletzt vor 34 Jahren ausgebrochen. Es kam niemand zu Schaden, aber ein Schock war es schon, berichtet diese Anwohnerin:
"Es war Wahnsinn, wie mich die Erde nach oben drückte. Ich bin beinahe auf's Kreuz gefallen. Ich habe mich so erschrocken ..."
Das nächstgelegene Dorf mit seinen 137 Einwohnern wurde evakuiert, es gilt seither Gefahrenstufe fünf. Zu recht, denn am 18. Juni ist der Berg erneut ausgebrochen.
Die Gegend dort ist dünn besiedelt. Seit einigen Wochen aber rumpelt es auch in Hakone, einem beliebten Ausflugsrevier mit zahllosen heißen Quellen unweit der Hauptstadt Tokio. Die Furcht, es könnte schlimmer werden, verhagelt der Gastronomie das Geschäft, sagt eine Souvenirverkäuferin:
"Im Vergleich zum vergangenen Jahr kommt nur die Hälfte der Gäste. Es wird immer weniger."
Und ein Busfahrer klagt:
"Es fällt richtig auf. Kaum noch Touristen."
Hakone ist auch deshalb beliebt, weil man von dort so schön den Fujiyama sehen kann: Japans berühmtesten Berg, als Heiligtum verehrt. Aber auch Fuji-san, wie er hierzulande heißt, ist ein aktiver Vulkan. Zuletzt im Jahre 1707 ausgebrochen, wäre er eigentlich mal wieder an der Reihe, sagen die Experten. Auch die Häufung seismologischer Bewegungen seit dem Erdbeben vom 11. März 2011 könnte in diese Richtung deuten.
Alle paar Wochen beschreiben neue Horrorszenarien in der Zeitung, wie schlimm es werden könnte, wenn die Millionenmetropole unter einem Ascheregen begraben würde. Alles Unsinn? Wer weiß das schon. Mein Rucksack ist gepackt.
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