"Vorstand und Aufsichtsrat haben versagt"

Moderation: Jörg Degenhardt · 24.01.2008
Vor der Siemens-Hauptversammlung haben die Kritischen Aktionäre dem Vorstand und Aufsichtsrat des Unternehmens Versagen bei der Kontrolle vorgeworfen. Dem Unternehmen seien durch die Korruptionsaffäre 1,3 Milliarden Euro verloren gegangen und nun kämen noch hunderte von Millionen Euro für die Prozesse, Bußgelder und die Aufarbeitung hinzu, sagte der Aktionär Karl Kerschgens.
Jörg Degenhardt: In der Münchner Olympiahalle dürften heute die Fetzen fliegen. Warum? Nicht wegen eines sportlichen Höhepunkts, sondern wegen der Siemens-Hauptversammlung. Sie liegen nicht falsch, wenn Sie jetzt sofort an Schmiergelder und Ähnliches denken: Korruptionsaffäre, neuer Vorstandschef, Konzernumbau – das Traditionsunternehmen hat ein turbulentes Geschäftsjahr 2007 hinter sich gebracht. Und die Siemensspitze wird sich wohl warm anziehen müssen: 10.000 vermutlich wenig zufriedene Aktionäre werden in der bayerischen Landeshauptstadt erwartet und für eine entsprechende Stimmung sorgen. Karl Kerschgens ist auch mit dabei, er vertritt die kritischen Aktionärinnen und Aktionäre und ist jetzt bei uns am Telefon, guten Morgen.

Karl Kerschgens: Guten Morgen.

Degenhardt: Auf welche Frage möchten Sie denn heute zu allererst eine Antwort haben?

Kerschgens: Also ich werde als erstes die Frage nach der ethischen Verantwortung stellen, ob also dieser Anspruch, den Siemens formuliert, dass sie Höchstleistungen mit höchstem ethischen Anspruch haben, ob sie diesem Anspruch gerecht werden und das werde ich also an einem Punkt deutlich machen, nämlich was der Bau von Großstaudämmen betrifft, der in der Regel mit ökologischen Verwüstungen und mit Vertreibungen von Menschen verbunden ist. Und das ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Menschenrechte, der hauptsächlich in Indien und Südostasien weit verbreitet ist. Und darauf möchte ich gerne eine Antwort haben, wie Siemens das mit ihren Prinzipien vereinbart.

Degenhardt: Ihre Organisation, kritische Aktionäre steht ja für eine kritische Konzernbegleitung. Aber Zustände wie bei Siemens und damit meine ich jetzt diese dubiosen Zahlungen, die ja in die Milliarden gehen, die können auch Sie nicht verhindern?

Kerschgens: Verhindern können Aktionäre immer sehr wenig. Man kann nur hinterher natürlich den Vorstand daran messen und den Aufsichtsrat, was sie getan haben in dieser Hinsicht. Und ich denke mir, die Kritik ist deutlich, ist formuliert, sie ist ja auch erkannt. Und ich hoffe, dass daraus Konsequenzen gezogen werden, in Zukunft also solche Dinge nicht mehr in dem Maße vorkommen.

Degenhardt: Die Aktionäre können beispielsweise eine Entlastung erteilen. Das ist ja so eine Art Vertrauensbeweis der Aktionäre für die Topmanager. Heute geht es ja nur um den neuen Konzernchef, Peter Löscher, der ehemalige Vorstands- und Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer soll bis zur Aufklärung des Korruptionsskandals ebenfalls nicht entlastet werden. Ist das aus Ihrer Sicht ein Zeichen von Konsequenz und ein Zeichen von Aufklärungswillen?

Kerschgens: Das ist ja nur eine Vertagung zunächst. Es ist geschickt von der jetzigen Führung, dass sie da etwas Luft raus nehmen, solange die Dinge nicht alle geklärt sind. Aber man muss aber deutlich sagen, auch eine Entlastungsverweigerung hat für die betreffenden Herrschaften keine Konsequenzen. Und bisher ist ja noch niemand verurteilt und es hat vor allen Dingen auch noch niemandem weh getan. Also es wäre etwas anderes, wenn tatsächlich auch diejenigen, die da mit drin hängen, auch finanziell dafür zur Rechenschaft gezogen würden. Nur davon ist bisher nicht die Rede.

Degenhardt: Wie sehen Sie eigentlich die Rolle von Pierers, der sich ja früher auch mal mit Fragen wie Unternehmenskultur und Ethik beschäftigt hat? Er selbst bestreitet ja, Kenntnis von den Vorgängen gehabt zu haben, also gemeint sind diese Korruptionsfälle und Schmiergeldzahlungen.

Kerschgens: Also das muss man, denke ich mal, zunächst ihm so abnehmen. Was ich ihm vorwerfe ist, dass er da zu viel Vertrauen hatte. Es war ja allgemein bekannt, dass also in verschiedenen Ländern nichts läuft, ohne dass geschmiert wird. Und da ist man einfach dann zu blauäugig, wenn man also hier nicht strengere Kontrollen einführt. Er hat zwar so einen Kodex herausgegeben, verfasst, aber die Leute unterschreiben zu lassen und dann nicht nachzuprüfen, was damit geschieht und ins Detail zu gehen ... Der Vorstand und der Aufsichtsrat hat jedenfalls in der Kontrolle versagt. Man kann bisher nicht sagen, die hätten davon gewusst, aber sie sind der Sache nicht gründlich genug nachgegangen.

Degenhardt: Ich will mal etwas ketzerisch fragen: Ist nicht alles das moralisch, was dem Konzern letztendlich nützt, was Arbeitsplätze sichert, neue schafft, zur Not auch Schmiergelder, wenn es darum geht, neue Aufträge an Land zu ziehen?

Kerschgens: Ja, ja, das ist eine weitverbreitete Ansicht und viele sagen ja, wenn wir es nicht machen, dann machen es andere.

Degenhardt: Eben.

Kerschgens: Nur, man muss sich über die Konsequenzen im Klaren sein. Dass diese Korruption die Länder enorm beschädigt und dass also dieses Geld ja irgendjemandem verloren geht. In diesem Fall, jetzt mal ganz naheliegend, es sind 1,3 Milliarden und dazu kommen jetzt die hunderte von Millionen, die Siemens für Prozesse, für Bußgelder zur Aufarbeitung und so weiter aufwenden muss. Die gehen also auch dem Unternehmen selbst verloren, die fehlen beim Gewinn, die fehlen am Ende auch den Aktionären bei der Dividende, mal jetzt ganz egoistisch gesagt. Abgesehen davon, dass es natürlich moralisch nicht zu rechtfertigen ist.

Degenhardt: Herr Kerschgens, die Frage ist weder neu, noch originell, aber doch immer wieder zu stellen, weil Sie gerade von Moral gesprochen haben. Wie kann man denn überhaupt mehr Moral in die Managerwelt bringen? Oder ist das blanke Illusion?

Kerschgens: Ich denke, es ist keine blanke Illusion, weil es ja auch Unternehmen gibt und es gibt ja auch Staaten, bei denen das besser funktioniert. Es wird nie hundertprozentig sein, aber wenn wir uns die Berichte von Transparency International anschauen, dann gibt es da schon große Unterschiede, zum Beispiel zwischen den skandinavischen Ländern und anderen Staaten, die verzichten ja auch nicht auf Gewinne und sie machen auch gute Geschäfte und ich denke mir, es wird auch respektiert. Wenn eine solche Weltfirma, wie Siemens, die in vielen Fällen einfach auch sehr gute Technik haben und sehr gut dastehen auf dem Markt, wenn die sagen, wir machen das nicht mit, dann wird man trotzdem ihre Produkte kaufen, weil sie gebraucht werden, weil sie einfach unverzichtbar sind.
Degenhardt: Gibt es eigentlich noch die Siemensfamilie, oder war das auch immer so eine Erfindung, weil man sich damit in der Öffentlichkeit besser präsentieren konnte?

Kerschgens: Da ist noch was von spürbar, aber sie wissen ja auch, dass diese Familie zerrissen ist, nachdem ja nun die Firma selbst eine Gewerkschaft aufgebaut hat, die also der Arbeitgeberseite zuarbeiten soll. Also da ist jetzt auch ein Spaltbild in die Firma selbst gesetzt worden. Also dieser Zusammenhalt ist auch nicht mehr so vorhanden, auch nachdem Siemens zum Beispiel die Pleite mit BenQ, mit dem Handykauf dort, erlebt hat, sind auch viele einfach sauer und es geht dort auch zu wie bei allen anderen. Es wird entlassen und es wird verkauft, ohne auf die Mitarbeiter Rücksicht zu nehmen.