Vorratsdatenspeicherung

"Vollkommen unverhältnismäßig"

Moderation: André Hatting · 08.04.2014
Der Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht hofft, dass der Europäischen Gerichtshof der Vorratsdatenspeicherung eine Absage erteilt. Die anlasslose Datenspeicherung sei ineffektiv.
André Hatting: Ohne Maß für Bundesinnenminister de Maizière ist die Datengier der amerikanischen Geheimdienste nicht zu rechtfertigen. Ohne Maß sei aber auch schon die Vorratsdatenspeicherung der EU! Millionenfach Telefongespräche und E-Mails mindestens ein halbes Jahr aufzubewahren ohne konkreten Verdacht, das finden viele Menschen unangemessen!
Sie haben deswegen gegen diese EU-Richtlinie geklagt. Heute will der Europäische Gerichtshof sein Urteil dazu verkünden. Jan Philipp Albrecht ist Mitglied der Grünen, im Europaparlament setzt er sich vor allem für Bürgerrechte ein. Schwerpunkt dabei: der Datenschutz. Schönen guten Morgen, Herr Albrecht!
Jan Philipp Albrecht: Ja, guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Es ist allerhöchste Zeit für einen Schlussstrich unter eine fatale Fehlentwicklung in nahezu allen Rechtsstaaten der Welt! – Das sind Sätze von Ihnen, Herr Albrecht. Ein Urteil gegen die bisherige Vorratsdatenspeicherung, wäre das, wenn schon nicht ein Schlussstrich, so doch vielleicht ein Wendepunkt?
Albrecht: Ja, das wäre definitiv ein Wendepunkt, und es wäre ein notwendiger Wendepunkt bei dieser Debatte. Denn bisher ist es so, dass die Vorratsdatenspeicherung im Grunde genommen als Allheilmittel dargestellt wird. Und das ist definitiv falsch. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Vorratsdatenspeicherung vollkommen unverhältnismäßig ist, weil sie nicht annähernd die positiven Effekte gebracht hat, die sich die Innenpolitiker von Union und SPD gewünscht haben.
Hatting: Gibt es für Sie dann auch eine angemessene Art der Vorratsdatenspeicherung oder ist die immer schlecht?
Albrecht: Nein, also, die anlasslose Speicherung von Daten ist grundsätzlich eigentlich verfassungswidrig, das hat das Bundesverfassungsgericht gesagt und das hat auch der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof mehrfach gesagt. Weil wir eben sagen, es braucht einen Grund, um in die Privatsphäre einzugreifen, und es braucht einen Grund, um Daten zu erheben zur Strafverfolgung. Und das kann eben nur im Grunde genommen der Verdacht sein, das kann in ganz seltenen Ausnahmefällen auch mal ein ganz konkret drohendes Risiko sein, das hat das Bundesverfassungsgericht auch gesagt. Und insofern muss man das schon sehr stark das einengen, was überhaupt möglich ist. Aber es ist auch vollkommen klar, dass diese Art der Vorratsdatenspeicherung, wie sie hier jetzt ergriffen wurde, schon seit Anfang an eigentlich falsch war.
Das haben wir Grüne auch immer gesagt. Und statt auf Vorratsdatenspeicherung zu setzen, hätte man in den Jahren viel stärker auf anlasslose Ermittlungstätigkeit setzen müssen, und deswegen muss diese Vorratsdatenspeicherung jetzt beendet werden, damit wir den Fokus richtig setzen können.
"Wir werden das ablehnen"
Hatting: In der Bundesrepublik haben wir im Augenblick gar keine Vorratsdatenspeicherung, das hat mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu tun. Und die jetzige Bundesregierung hat gesagt, wir warten jetzt erst mal das Urteil aus Luxemburg ab, um dann ein Gesetz hier nach Maßgabe der neuen Richtlinien umzusetzen. Wie müsste das dann aussehen, damit auch die Grünen damit einverstanden wären?
Albrecht: Die Grünen werden mit einer Vorratsdatenspeicherung nicht einverstanden sein und wir werden das ablehnen, egal …
Hatting: Generell nicht? Aber Sie haben doch gerade gesagt, es gibt schon eine Form der Vorratsdatenspeicherung, mit der Sie auch leben könnten?
Albrecht: Nein, das habe ich nicht gesagt, sondern ich meine, verfassungsrechtlich gibt es für Vorratsdatenspeicherung sehr enge Grenzen. Das ist ja ein Unterschied. Politisch halte ich es für absolut falsch, Vorratsdatenspeicherung zu ergreifen, und das ist auch der Standpunkt der Grünen, ganz klar. Wir sagen, anlasslose Speicherungen sind ein tiefer Eingriff in die Bürgerrechte und deswegen nicht gerechtfertigt. Und wir wollen nicht den Generalverdacht sozusagen auspacken und alle Menschen als potenzielle Straftäter betrachten, sondern wir wollen darauf setzen, dass eben anlassbezogen ermittelt wird, besser ermittelt wird.
Dazu gehört zum Beispiel auch ein besserer Informationsaustausch auch europaweit, wenn es um organisierte Kriminalität geht. Und da ist es nun gerade so, da arbeiten wir an gemeinsamen Standards, die dafür notwendig sind, und die Bundesregierung blockiert auch das. Also, da scheint irgendwas nicht ganz richtig zu sein, und deswegen muss man hier ganz klar sagen: Es wäre ein Gutes für die ganze Debatte, wenn diese Vorratsdatenspeicherung endlich beendet würde.
Hatting: Verstehe ich Sie richtig: Wenn also die Bundesregierung nach dem Urteil eine Vorratsdatenspeicherung auf den Weg bringt, egal wie, dann gehen die Grünen nach Karlsruhe?
Albrecht: Absolut. Und ich glaube auch, dass es falsch wäre, in dieser Situation überhaupt einen solchen Vorschlag zu machen. Denn wenn der Europäische Gerichtshof jetzt diese Richtlinie für rechtswidrig erklärt, dann ist es erst mal am Europäischen Parlament und am Ministerrat in der Europäischen Union zu entscheiden, wie es mit dieser Vorratsdatenspeicherung weitergeht. Und da, bin ich der Meinung, muss das Europäische Parlament die anlasslose Speicherung beenden.
Und dann reden wir überhaupt nicht mehr über eine Umsetzung dieser Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Und das sollte man meines Erachtens erst mal abwarten, auch mit Respekt vor den demokratischen Souveränen. Und die letzten Jahre auch mit der NSA-Debatte und auch der massiven Kritik im Europäischen Parlament an der Vorratsdatenspeicherung berechtigen meines Erachtens auch angesichts der Statistiken, zeigen, dass es so nicht weitergehen wird und dass wir eine andere Situation haben als noch 2005, 2006 nach den Anschlägen in Madrid und London.
"Keine signifikanten Verbesserungen der Aufklärungsraten"
Hatting: Herr Albrecht, Sie kämpfen da in Brüssel ja an verschiedenen Fronten. Ein Punkt ist die Vorratsdatenspeicherung, der andere Punkt heißt Datenschutzrichtlinie. Die EU-Kommission will da eine Novellierung, auch das EU-Parlament, dem Sie angehören, will das. Aber der Ministerrat will das nicht. Wäre jetzt eine Beschränkung der europäischen Vorratsdatenspeicherung durch den EuGH, wäre das für Sie Munition im Kampf für eine Datenschutzrichtlinie?
Albrecht: Na ja, wie gesagt, es geht ja vor allen Dingen darum, dass man bessere Kriminalitätsbekämpfung leistet. Und die Statistiken selbst vom BKA haben gezeigt, dass die Vorratsdatenspeicherung keine signifikanten Verbesserungen der Aufklärungsraten und der Kriminalstatistiken geliefert haben. Stattdessen brauchen wir eben einen besseren Informationsaustausch, bessere Zusammenarbeit. Und dafür ist die Datenschutzrichtlinie das, was wir erreichen wollen.
Und natürlich ist der Europäische Gerichtshof und das zu erwartende Urteil für uns da Rückenwind, denn es geht ganz klar in die Richtung, Abstand zu nehmen von der anlasslosen Speicherung. Die ist gescheitert in Europa, das haben eben alle im Grunde genommen mittlerweile erkannt, nur eben nicht die Innenpolitiker von Union und SPD. Und ich denke, da ist es jetzt dran, dass das auch passiert!
Hatting: Der Europäische Gerichtshof entscheidet heute darüber, ob die Vorratsdatenspeicherung in der jetzigen Form rechtmäßig ist. Über die Folgen dieses Urteils habe ich mit dem grünen Europapolitiker und Datenschutzexperten Jan Philipp Albrecht gesprochen, ich danke Ihnen, Herr Albrecht!
Albrecht: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema