Vorgespult

Filme über das Rätsel der eigenen Identität

Szene des Films "Who Am I - Kein System ist sicher"
Szene des Films "Who Am I - Kein System ist sicher" © dpa / picture alliance / Sony
Von Christian Berndt · 20.09.2014
Der deutsche Thriller "Who Am I" zeigt die Verwandlung eines unauffälligen Computer-Nerds, ein japanischer Film erzählt von der Krise einer Familie und in Christian Petzolds neuem Film nimmt eine schwer verwundete Holocaust-Überlebende eine neue Identität an.
"Er hat sich vor einer Stunde gestellt, behauptet, er sei der Hacker 'Whoami'. Er sagt, er kann uns zu den Friends und der russischen Cyber-Mafia führen."
Benjamin hat sich Interpol gestellt. Dort erzählt er, wie er vom unbeachteten Außenseiter und Computernerd - von Tom Schilling wunderbar verklemmt gespielt - zum international gesuchten Hacker wurde. Es begann, als er zufällig den coolen Max kennenlernte und mit ihm die Hacker-Gruppe 'Clay' gründete:
"Je dreister man war, umso mehr konnte man erreichen. Wir hackten alles, was wir in die Finger bekamen. Das Ritalin hielt uns wach, wir nahmen vor nichts und niemand Rücksicht."
Anfangs hat es was von Jungsstreichen, aber als sie den langersehnten Kontakt zum berühmten Hacker MRX bekommen, haben sie es unerwartet mit der Cyber-Mafia zu tun. Und aus Spaß wird tödlicher Ernst. Regisseur Baran Bo Odar hat mit "Who Am I" einen spannenden Thriller mit überraschenden Wendungen à la "Fight Club" gedreht, wie man es von diesem Genre hierzulande nicht kennt.
Das nächtliche Berlin ist passend wild und düster gefilmt, Stil und Musik geben dem Film einen atemlosen Drive. Zentral ist am Schluss die Frage der Identität: Wer ist dieser brave Benjamin wirklich? Harmlos oder so raffiniert, dass er sogar die BND-Ermittler manipuliert?

"Who Am I"
Regie: Baran Odar
Mit: Tom Schilling, Elyas M'Barek, Wotan Wilke Möhring
Länge: 106 Minuten
Deutschland 2014

Eine dramatische Identitätsfrage stellt sich auch im japanischen Film "Like Father, like Son" von Hirokazu Kore-Eda. Ryota und Midori werden urplötzlich mit der Nachricht konfrontiert, dass ihr 6-jähriger Sohn nicht ihr biologisches Kind ist, sondern in der Geburtsklinik mit einem anderen Jungen verwechselt wurde. Nun raten Psychologen zum Tausch der Kinder:
"Bei Fällen wie diesen entscheiden sich schlussendlich fast 100 Prozent der Elternpaare für einen raschen Austausch der Kinder. Für die Zukunft der Jungen ist es wichtig, dass Sie nicht zu lange zögern."
Die Eltern sind in einem schrecklichen Dilemma. Sie treffen sich mit den biologischen Eltern Keitas, die Ryotas und Midoris Sohn aufgezogen haben. Die Frage, was sie tun sollen, entzweit das Paar langsam:
"Die Herkunft ist Dir wichtiger als die sechs Jahre mit Keita. – Das ist doch nicht wahr. – Doch. Weißt Du noch, was Du gesagt hast, als wir erfahren hatten, dass Keita nicht unser Kind ist? Du hast gesagt, jetzt ergibt alles einen Sinn. Die Wahrheit ist doch, dass Du nicht damit umgehen kannst, dass Keita nicht so talentiert ist wie Du."
Kore-Eda folgt in seinem in Cannes ausgezeichneten Film behutsam den zwischen Konventionen und Elternliebe hin- und hergerissenen Figuren – mit tiefer Empathie, aber nie sentimental. In den nüchternen, klaren Bildern zeigt "Like Father, like Son" eine meisterhaft stilistische Geschlossenheit.

"Like Father, like Son"
Regie: Hirokazu Kore-Eda
Mit: Yoko Maki, Jun Kunimura
Länge: 120 Minuten
Japan 2013

Um eine verzweifelte Identitätsfindung geht es auch in Christian Petzolds Film "Phoenix". Nina Hoss spielt Nelly – eine schwer gezeichnete Holocaust-Überlebende. Sie wurde in Auschwitz so furchtbar verletzt, dass ihr Gesicht umoperiert werden musste:
"Mich gibt's gar nicht mehr. – Nelly, erinnerst Du Dich, wie es Dir vor 3 Monaten ging, wie verzweifelt Du warst? – Würdest Du mich erkennen? Sie mich doch mal an!"
Nelly will – jetzt im Nachkriegs-Berlin – wieder an ihr früheres Leben anknüpfen und versucht, ihren Ehemann wiederzufinden – obwohl ihre Freundin Lene überzeugt ist, dass Johnny Nelly damals verraten hat.
Johnny war Pianist, also macht sich Nelly im Nachtleben Berlins auf die Suche – und findet ihn. Doch Johnny erkennt die veränderte Nelly nicht wieder. Er nimmt nur eine gewisse Ähnlichkeit wahr. Und macht ihr ein erstaunliches Angebot:
"Wir können Geld verdienen, viel Geld. Sie sehen jemandem sehr ähnlich. – Wem? – Meiner Frau. Jetzt, wo sie tot ist, hat sie Geld. Als sie noch lebte, hatte sie keins. – Was? Warum? – Sie und ihre ganze Verwandtschaft sind umgebracht worden."
Weil der Nachweis ihres Todes fehlt, kommt Johnny nicht an Nellys Erbschaft – deshalb soll die vermeintlich Fremde seine Ehefrau spielen. Und Nelly lässt sich absurder Weise darauf ein. "Phoenix" erzählt vom verzweifelten Versuch einer traumatisierten Frau, ihrer Vergangenheit durch die eigene Neuerfindung zu entkommen.
Die Verstellung gelingt auch deshalb, weil sich niemand für das Schicksal der Holocaust-Überlebenden interessiert. Als eine Art Film Noir bezeichnet Petzold seinen Film, der Nellys einsame Suche im Nachtleben des zerstörten Berlins in einer Weise inszeniert, die an Filme wie "Der dritte Mann" denken lässt.
In kammerspielartiger Verdichtung konzentriert sich Petzold auf das Innenleben seiner versehrten Figuren, um Fragen wie Vergangenheitsbewältigung, Verrat und Identität zu verhandeln.

"Phoenix"
Regie: Christian Petzold
Mit: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld
Länge: 98 Minuten
Deutschland 2013