Vorgespult

Der harte Weg zu sich selbst

Jessica (Camila Mardila, l) und Val (Regina Case) in einer Szene des Kinofilms "Der Sommer mit Mama".
Darf das Personal den Swimming-Pool der Herrschaft benutzen? Darüber sind Haushälterin Val (Regina Casé) und ihre Tochter Jessica (Camila Márdila) unterschiedlicher Meinung. © picture alliance / dpa / Gullane Filmes/Aline Arruda/Pandora Film
Von Christian Berndt · 15.08.2015
Boxer Billy kämpft sich in "Southpaw" nach einem Absturz ins Leben zurück, eine 25-Jährige schlägt sich in "Taxi" durch das Hamburg der 80er-Jahre. Und in "Der Sommer mit Mama" stellt eine junge Frau das starre Gefüge der Klassengesellschaft Brasiliens infrage. Die Filme der Woche.
(Glocke, Jubel) "Und aus! Trotz aller Schwierigkeiten schafft Billy Hope einen K.O. - Sieg!"
Billy hat gesiegt. Der Weltmeister im Halbschwergewicht, gespielt von Jake Gyllenhaal, ist ein harter Kämpfer. Wie hart, zeigt der amerikanische Film "Southpaw" gleich zu Beginn in eindrucksvollen Kampfszenen. Billy hat sich durchgebissen, aufgewachsen ist er im Waisenhaus, nun wohnt er mit seiner Frau Maureen und der kleinen Tochter in einer Luxusvilla:
"Du wurdest ganz schön getroffen Dad. – Du solltest mal den anderen Kerl sehen. – Nein, das sollte sie nicht. Sie sollte jetzt schlafen, genau wie du!"
Maureen ist für Billy, der außerhalb des Rings eher hilflos wirkt, seine ganze Stütze. Doch dann kommt Maureen durch einen tragischen Vorfall ums Leben, Billy stürzt ab, verliert sein Haus und sogar das Sorgerecht für die Tochter. "Southpaw" erzählt mit viel Dramatik die Geschichte eines furchtbaren Abstiegs sowie des mühevollen Wiederaufstiegs.
Überladen mit Dramen und Unglücksfällen
Jake Gyllenhaal, der in Filmen wie "Brokeback Mountain" oder "Nightcrawler" bewundernswertes Einfühlungsvermögen in seine Rollen gezeigt hat, ist auch in "Southpaw" mit wuchtiger Körperlichkeit echt bis in die Poren. Und Regisseur Antoine Fuqua beherrscht die Kunst der atmosphärischen Zeichnung, doch der Film bleibt weit unter seinen Möglichkeiten. Boxerfilme waren in Hollywood immer wieder gesellschaftliche Zustandsbeschreibungen und Charakterstudien, wie etwa Scorseses "Wie ein wilder Stier". Aber "Southpaw" ist mit tragischen Unglücksfällen und Familiendramen so überladen, dass einem die Welt des traurigen Helden zu fern bleibt, um wirklich fesseln zu können.
Southpaw
USA 2015
Regie: Antoine Fuqua
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Rachel Mc Adams, Forest Whitaker
124 Minuten
Vom Aufstieg durch Arbeit kann im deutschen Film "Taxi" keine Rede sein. Es sind die 80er_Jahre, Karrieremachen ist uncool. Alexandra ist 25 Jahre alt und hat ihre Ausbildung bei der Versicherung abgebrochen. Jetzt wird sie in Hamburg Taxifahrerin:
"Ich zeig dir alles. Wieso studierst du eigentlich nicht? – Was soll ich denn studieren? – Ist doch egal, Hauptsache, du bist eingeschrieben, wegen der Steuer. Hat dir Ivan schon erklärt, wie der Taxameter funktioniert? – Ja. – Bist du sicher, dass du die Nachtschicht willst? Tagsüber verdient man auch nicht schlecht. – Ne, ganze Zeit im Stau. – Gibt aber ein paar unangenehme Vögel nachts."
Zeittypische Bindungsprobleme junger Großstädter
Der selbstbewussten Frau, gespielt von Rosalie Thomass, macht das nichts aus. Ihr gefällt es, dass Fahrgäste ein- und wieder aussteigen. Und so hält sie es auch mit Beziehungen – bloß nicht binden. Ob mit dem Künstler Dietrich oder dem charismatischen Marc, der von Game-of-Thrones-Star Peter Dinklage gespielt wird.
Regisseurin Kerstin Ahlrichs hat den autobiografischen Besteller "Taxi" von Karen Duve, die für den Film auch das Drehbuch schrieb, betont unaufgeregt und ohne übertriebenen Retro-Schnick-Schnack inszeniert. Leider aber auch ohne Pep. Es gibt zwar eine Sammlung schräger Charaktere, die bleiben aber unterbelichtete Statisten. Dafür werden in Endlosschleife Alex' zeittypische Bindungsprobleme vorgeführt, so dass der Film wie seine temperamentlose Hauptfigur einschläfernd auf der Stelle tritt.

Taxi
D 2015
Regie: Kerstin Ahlrichs
Darsteller: Rosalie Thomass, Peter Dinklage, Stipe Erceg
98 Minuten

An Temperament fehlt es der Hauptfigur des brasilianischen Films "Der Sommer mit Mama" nicht. Val ist seit Jahrzehnten Haushälterin bei einer wohlhabenden Familie in Sao Paulo. Dem 17-jährigen Sohn des Hauses, Fabinho, steht sie näher als seine eigene Mutter:
"Weißt du noch, diese Bruna, von der ich dir erzählt habe? – Die Hübsche. – Sie hat mich mit zwei SMS abserviert, schon wieder. – Oh Mann, gibt es dumme Weiber auf der Welt. – Glaubst du, ich sterbe als Jungfrau? – Was redest du denn für einen Blödsinn? So ein schöner Junge."
Klassengrenzen werden in Frage gestellt
So nah Val der Familie ist, die Klassengrenzen zwischen Herrschaft und Dienerin werden strikt eingehalten. Doch die festgefügte Ordnung gerät durcheinander, als Vals Tochter Jessica zu Besuch kommt, weil sie in Sao Paulo studieren will. Sie ist nicht bei ihrer Mutter aufgewachsen – Val konnte sie damals nicht an ihre Arbeitsstelle mitnehmen. Die intelligente Jessica schüttelt den Kopf über die Regeln des Hauses:
"Sag mal, wie machen die das eigentlich, dass das Wasser so sauber ist? – Mach du dir mal keine Gedanken um den Pool, Jessica, der ist für dich vollkommen tabu. – Ich sag doch gar nichts. – Du hast nichts gesagt, aber gedacht. Verstanden? – Du warst noch nie drinnen, oder? – Wieso sollte ich in den Pool meiner Herrschaften gehen? – Noch nie? – Noch nie."
Beißende Sozialkritik – mitreißend erzählt
Jessica denkt gar nicht daran, sich unterzuordnen – argwöhnisch beäugt von ihrer Mutter, die zu Recht Komplikationen befürchtet, und der dünkelhaften Hausherrin. Regisseurin Anna Muylaert nimmt mit Witz und gnadenlos scharfer Beobachtungsgabe die gesellschaftlichen Verhältnisse aufs Korn, behält dabei aber einen fast zärtlichen Blick auf die Figuren. Es ist die kluge Kombination aus mitreißendem Erzählen und beißender Sozialkritik, die "Der Sommer mit Mama" zum so erhellenden wie unterhaltsamen Kinoerlebnis macht.
Der Sommer mit Mama
BRA 2015
Regie: Anna Muylaert
Darsteller: Regina Casé, Camila Márdila, Michel Joelsas
111 Minuten
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