Vorgaben für Landwirte

Wie ehrlich sorgt sich Edeka um Milchkühe?

Milchkühe stehen am 24.08.2015 in einem Stall in Hohenwestedt (Schleswig-Holstein).
Die deutschen Bauern protestieren gegen den Preisverfall bei der Milch. © picture-alliance / dpa / Markus Scholz
Von Udo Pollmer · 02.09.2016
Der Milchmarkt kommt nicht zur Ruhe. Nach dem ruinösen Preisverfall der letzten Monate erhöht der Lebensmittelhandel den Druck auf die Milchviehhalter. Speziell eine Handelskette fordert mehr Einsatz für das Tierwohl. Aber wie sinnvoll sind die Ideen? Lebensmittelchemiker Udo Pollmer klärt auf.
Die Handelskette Edeka hat kürzlich den Molkereien ihre Vorgaben für jene Milch mitgeteilt, die in die Tüten mit der Billigmilch soll. Die Empörung ist bei den Milchviehhaltern erwartungsgemäß groß, weil der Handel zwar fordert, aber nicht bereit ist, dafür ein höheres Milchgeld zu zahlen. Er will also Arbeit und Investitionen zum Nulltarif abgreifen. Und das in einer Zeit, in der die Milcherzeuger infolge der globalen Überproduktion unter massivem Preisdruck stehen.
Der Chefredakteur des Agrarblattes Land & Forst wirft Edeka vor, sie habe mit ihren Forderungen "weder Feingefühl noch Verantwortung" gezeigt. Das wäre die Frage. Edeka fordert u.a. eine Trächtigkeitsuntersuchung vor der Schlachtung. Doch warum in aller Welt sollte ein Landwirt ein tragendes Rind zum Schlachthof bringen, er kann das Kalb doch verkaufen? Irrtum: Viele weibliche Kälber haben zurzeit keinen Marktwert, weil der Milchpreis im Keller ist. Egal ob Marktwert oder nicht, Tragendschlachtungen sind verwerflich und eine Unverfrorenheit gegenüber den Schlachtern. Denn das Töten eines tragenden Tieres geht einem Metzger gegen die Berufsehre.
Die Frage ist, wie oft passiert denn so etwas? Gar nicht so selten: Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2011 kam fast jede 20. Kuh trächtig zur Schlachtung, meistens im 2. und 3. Trächtigkeitsdrittel. Betroffen waren ausschließlich Hochleistungs-Rinder. Wie war das nochmal mit dem "Feingefühl" und der "Verantwortung", die man vollmundig vom Handel forderte? Erwarten die Bauern etwa mehr Milchgeld, wenn sie darauf achten, dass gerade kein Kälbchen unterwegs ist? Die Kühe werden ja nicht heimlich hinter den Büschen vom Bullen vernascht. In aller Regel werden sie künstlich besamt. Darüber wird Buch geführt.

Anteil kranker Tiere verfünft- bis zehnfacht

Und die restlichen Kriterien von Edeka? Die sechsseitige Liste erinnert an Soziologieseminare, in denen fleißige Studenten alles aufschreiben, was sie so gehört haben oder für wichtig halten. So soll der Landwirt seine Kühe täglich auf Abweichungen ihres Verhaltens überprüfen und über seine Studien Buch führen. Da dürfen sich die Edeka-Manager ruhig an der eigenen Nase packen. Sollen sie es doch bei ihren Mitarbeitern ausprobieren – so lassen sich gezielt Kollegen identifizieren, die bereits krank sind, aber dennoch ins Geschäft rennen, um ihren Job nicht zu gefährden.
Dabei hat die Milchviehhaltung durchaus eine Großbaustelle. Vergleicht man die Gründe, warum Rinder zum Schlachthof gehen, von 1960 mit heute, so sieht man, dass damals noch ein Drittel der Tiere aus Altersgründen ehrenhaft aus der Produktion ausschied. Heute sind es gerade mal 2 Prozent. Dafür hat sich der Anteil an kranken Tieren mit entzündeten Eutern und Klauen, die deshalb zum Schlachthof müssen, verfünf- bis verzehnfacht. Dies ist die Konsequenz einer Züchtung, die Tier wie Landwirt überfordert.

Geht es dem Handel tatsächlich ums Tierwohl?

Hochleistungsrinder geben bis 12.000 Liter Milch im Jahr. Das klassische Fleckvieh liefert mit 8000 Litern auch reichlich Milch. Der viel bedeutendere Unterschied: Bei Fütterungsfehlern sinkt beim Fleckvieh die Milchmenge und der Landwirt ist alarmiert. Bei Hochleistungstieren läuft die Milch bis alle Reserven verbraucht sind und der Stoffwechsel vollends entgleist, sichtbar an schweren Entzündungen. Ohne eine ausgefeilte Fütterung gehen diese Kühe vor die Hunde. Doch nicht jeder Milchviehalter ist in der Lage, eine angepasste Fütterung zu gewährleisten.
Die Daten des Schlachtviehmarktes legen nahe, dass der Anteil an jungen abgewirtschafteten Hochleistungsrindern steigt. Ginge es dem Handel um die Tiere, dann würde er beispielsweise fordern, dass die Milch nur von Betrieben stammt, in denen Hochleistungskühe im Schnitt vier oder mehr Kälber geboren haben und mindestens 6 Jahre alt werden. Das hätte Wirkung auf das Tierwohl!
Feingefühl wird niemand von hart arbeitenden Landwirten verlangen. Aber ein bisschen mehr Verantwortungsgefühl täte allen Beteiligten gut – egal ob Züchter, Landwirt oder Händler. Mahlzeit!
Literatur:
Stephan R: Edeka-Brief: Eiskaltes Kalkül mitten in der Milchkrise. Land&Forst vom 17.08.2016
Bauer Willi: Nur eine Einzelmeinung? - Gedanken einer Tierärztin … Bauer Willi vom 28. Januar 2016
Riehn K et al: Schlachtung gravider Rinder – Aspekte der Ethik und gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Tierärztliche Umschau 2011; 66: 391-405
Wagner A, Held J: Einzelfall oder Standard: Die Schlachtung trächtiger Rinder. wir-sind-tierarzt.de vom 3. Mai 2015
Brade W et al: Priorität für Gesundheit der Milchkühe. Göttinger Erklärung 2016 zur Milchproduktion. AVA-Tagung Göttingen 2016
Mehr zum Thema