Vorbild Islamismus?

Wie der IS Jugendliche im Internet ködert

Ein Anhänger des IS mit der Flagge der Miliz
Salafisten und Islamisten bieten den Jugendlichen Zugehörigkeit und Identität, sagt Andreas Zick. © afp
Andreas Zick im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 19.01.2015
Mit attraktiven Internetseiten versuchen islamistische Gruppen, Jugendliche im Internet anzuwerben. Ihnen würden Zugehörigkeit und Identität geboten in einer Lebensphase, in der sie nach Lösung ihrer Probleme suchen, sagt der Gewaltforscher Andreas Zick.
Nach Ansicht des Bielefelder Gewaltforschers Andreas Zick gibt es deutliche Parallelen zwischen der Art und Weise, wie rechtsextreme und islamistische Jugendliche in Akzeptanz und Anwendung von Gewalt abdriften.
Diese Parallelen seien sehr deutlich, sagte Zick im Deutschlandradio Kultur. In bestimmten Phasen seien Jugendliche für vieles offen und sehr anfällig für Propaganda. Wenn man sie beobachte, wie sie sich im Netz bewegten und wie sie sich locken ließen, funktioniere dies im Grunde bei rechtsextremen und islamistischen Jugendlichen nach dem gleichen Schema, sagte der Wissenschaftler. Rechtsextreme und Salafisten operierten in Bezug auf die Propaganda ähnlich.
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Spätestens nach den tödlichen Anschlägen von Paris fragen sich viele, was für einen Teil muslimischer Jugendlicher so attraktiv ist am Islamismus, am Salafismus, dass sie dafür sogar ihr Leben zu geben bereit sind. Was reizt diese mehrheitlich jungen Männer daran? Das will ich wissen von Professor Andreas Zick. Er leitet an der Uni Bielefeld das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung und befasst sich seit Jahren mit Gewalt. Er hat rechts- und linksextreme und auch die RAF-Gewalt untersucht, und seit drei Jahren ist auch die islamistische sein Forschungsgegenstand. Professor Zick, ich grüße Sie!
Andreas Zick: Guten Tag, hallo!
von Billerbeck: Stimmt die These, dass der Salafismus eine Art neuer Jugendkultur ist?
Zick: Ja, es sieht so aus. Es ist nicht der generelle Salafismus, sondern bestimmte Teile des Salafismus. Insofern ist es jugendkulturell, als wir damit uns jetzt konfrontieren müssen, dass Jugendlichen ja eine große Hoffnung damit gemacht wird, indem der Terror im Ausland, der Islamische Staat, angeboten wird, auf den man hinarbeitet und zusammenarbeitet.
von Billerbeck: Welche Teile des Salafismus interessieren denn Jugendliche? Was davon ist so attraktiv?
Jugendliche suchen Zugehörigkeit
Zick: Erst mal ist das Interessante, dass eigentlich alles attraktiv ist für Jugendliche, die versuchen, ihre sozialen Motive dort zu befriedigen, also die Zugehörigkeit suchen, die an ihrem Selbstwert zweifeln oder einen überbordend starken Selbstwert haben, die Macht suchen. und die glauben oder die man durch geschickte Propaganda damit reizt, dass der Salafismus eine Lösung ihrer Probleme bietet, also die dort hineinrutschen. Das geschieht ganz subtil.
Es ist aber interessant jetzt für Jugendliche, vor allem jetzt im Moment für einige Jugendliche, die meinen, sie würden zu dieser Gesellschaft eh nicht mehr dazugehören, sie hätten aber eine hoffnungsvolle und große Zukunft, wenn sie sich jetzt für die Bewegung, für den Islamischen Staat oder auch Al Kaida einsetzen.
von Billerbeck: Nun haben Sie sich mit verschiedenen Formen von Gewalt befasst, die sich ja eigentlich bekämpfen, Links- und Rechtsextreme. Sehen Sie dennoch Parallelen zwischen denen und islamistischer Gewalt?
Zick: Ja, es gibt diese Parallelen sehr deutlich, weil Jugendliche sind sehr früh anfällig für die Propaganda. Da sind sie zunächst noch nicht auf die Gewalt verpflichtet, aber die Gewalt bietet Lösungen. Wenn man Jugendliche beobachtet, wie sie sich im Netz bewegen und wie sie sich locken lassen, dann ist im Grunde genommen die Propaganda gleich. Interessant ist ja auch, dass gerade aus der Konfliktkonstellation zwischen Rechtsextremen und Salafisten heraus, die eben ähnlich operieren, versucht wird, aufzumischen.
Also diese Konflikte, die ganz bewusst gesucht werden, die wir auch bei dem Terroranschlag in Frankreich haben sehen müssen – aus dieser Konfliktkonstellation versuchen eben alle Teile, die Jugendlichen abzuholen.
Und in bestimmten Phasen sind Jugendliche eigentlich für ziemlich vieles offen, und dann kann es durch Gelegenheiten passieren, dass sie entweder in radikalen Milieus landen, islamistisch sich auf den Dschihad verpflichten oder aber auch in eine ganz andere Richtung gehen.
von Billerbeck: Das kennt wahrscheinlich jeder, der selber Eltern ist, dass es so einen Moment gibt, da ist diese Richtung nicht vorgegeben. Es kann nach links, nach rechts, geradeaus oder sonst wohin gehen. Aber was macht es aus, dass sich ein Jugendlicher eben genau für den Islamismus entscheidet?
Soziale Umgebung ist maßgeblich
Zick: Sehr wichtig ist die soziale Umwelt. Ohne soziale Umwelt – es sind relativ wenige einzelne Jugendliche, die dann über Internet sich dort alleine, vollkommen alleine radikalisieren. Ich muss auch eine Gelegenheit haben, außerhalb des Internets zum Beispiel Ansprechpartner zu haben. Wir wissen, dass Moscheegruppen, radikale Gruppen oder auch Hassprediger zunehmend auf die Straße gehen, Jugendliche abholen. Ich brauche eine soziale Umgebung, in der auch andere mit mir mitmachen. Wir sehen eigentlich bei allen Terroristen, dass sie ein Umfeld hatten, wo sie dann enge Freunde gefunden haben, die sie da unterstützt haben.
Das Internet selber ist dann oft ein Medium, wo rekrutiert ist, wo Einzelgänger angesprochen werden, macht bei uns mit, ist hochattraktiv, weil sie bekommen ja im Grunde genommen dort alles, was sie wollen. Sie bekommen eine Popkultur, sie bekommen eine Identität, Zugehörigkeit. Es ist sehr sinnstiftend. Ihr Versagen, wenn sie in der Schule versagen, wird im Grunde genommen weggedrückt. Also es ist eine ganz alternative parallele Welt, die alles für sie bereitstellt.
von Billerbeck: Was für eine Sprache benutzen denn diese Internetseiten, die es schaffen, Jugendliche anzuwerben?
IS-Seiten sind attraktiver als die der offiziellen Vereine
Zick: Das ist für uns im Moment sehr schwierig zu beobachten, weil es sind im Grunde genommen gar keine anderen Welten als die, die wir kennen. Also viele Eltern stellen am Ende verzweifelt fest, dass sie überhaupt nicht wussten, was ihre Kinder, was die Jugendlichen dort gesehen haben. Und das ist zunächst auch, erscheint es nicht gewalttätig. Es sind popkulturell sehr gut gemachte Internetseiten, es sind Musikseiten, es sind Seiten, wo ich Kleidung kaufen kann.
Die Einstiegsseiten, die jeder so sehen kann, sind zunächst harmlos. Aber dann gibt es eben Blogs, die sind im Verborgenen. Dann gibt es Communities. Und das Interessante ist, sie sind eigentlich unglaublich professionell aufgemacht, während die anderen muslimischen Angebote, die zum Teil ja auch gefördert werden und die wir brauchen für junge Muslime, die sind eher langweilig, also die muslimischen Gruppen, die Vereine, haben oft langweilige Seiten, die sprechen die Jugendlichen nicht an, während dann die IS-Seiten, die Al-Kaida-Seiten, die gesponsert werden, doch hochattraktiv sind.
von Billerbeck: Womit treffen sie genau den Nerv von Jugendlichen, die auf diese Seiten gelangen?
Zick: Jugendliche sind in ihrer Sozialisationsphase in bestimmten Phasen, da stellen sie sich ganz wichtige Fragen. Eigentlich müssen wir genau jetzt ein Gespür dafür entwickeln, was Jugendliche umtreibt, insbesondere Jugendliche, die irgendwann mal anfangen, zu sagen, in unserer Gesellschaft bin ich abgehängt.
Wir haben auf der einen Seite die Jugendlichen, die ein überbordendes Selbstwertgefühl haben, die kommen aus bürgerlichen Verhältnissen, denen geht es gut, aber die wollen noch mehr. Und die werden dann abgeholt, die finden ihre Angebote.
Und dann haben wir die Jugendlichen, die massive Selbstwertprobleme haben, massive Selbstwertzweifel, die vielleicht eine Freundin verloren oder einen Freund verloren haben und dann angesprochen werden. Und die sind sehr anfällig. Also es gibt eben beide Facetten.
von Billerbeck: Das heißt, die sind dann so weit bereit, mitzugehen bis zu einer Radikalisierung, bis dahin, dass sie bereit sind, ihr Leben dafür zu opfern?
Schleichende Radikalisierung
Zick: Ja. Und das geht stufenweise. Also, dieses Commitment, diese Selbstverpflichtung, dann letztendlich Gewalt auszuüben, das ist ein langer Weg, der kann manchmal schnell gehen, aber der hat verschiedene Stufen. In der letzten Stufe, dann, wenn sie zur Gewalt neigen, werden sie im Internet abgeholt, das ist die Stufe, wo sie auf eine bestimmte Tat verpflichtet werden. Da greifen dann sehr stark islamistische, dschihadistische Communities, die das von ihnen verlangen.
Das heißt auf der anderen Seite, man muss die jungen Männer, die Jugendlichen, viel früher abholen. Wir wissen das von den Terrortaten in Frankreich. Wenn man sich die Biografien anguckt, die Radikalisierung ist schleichend, ist langsam, fängt früh an, indem der Islam so als überbordende fundamentale heilsversprechende Religion von den Jugendlichen inszeniert wird. Dann kann man sie eigentlich eher bekommen als später, wenn sie auf Gewalt verpflichtet werden. Dann haben sie den Rubikon überschritten, dann haben sie auch mit dem Staat nichts mehr zu tun und dann sind sie schwieriger zu kriegen.
von Billerbeck: Strategien gegen das Abdriften Jugendlicher in islamistische Gewalt. Der Bielefelder Konflikt- und Gewaltforscher Andreas Zick war das. Danke Ihnen!
Zick: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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