Vorbild für Beethoven?

Von Michael Stegemann · 22.06.2013
Womöglich hat sich auch Beethoven von Werken anderer Komponisten inspirieren lassen: Robert Schumann jedenfalls fielen Parallelen zwischen Beethovens Fünfter und Werken des französischen Komponisten Étienne-Nicolas Méhul auf.
"Merkwürdig war die Ähnlichkeit des letzten Satzes mit dem ersten der C moll-
Symphonie von Beethoven, und zwar so auffallend, daß hier eine Reminiszenz
von der einen oder der andern Seite im Spiel gewesen sein muß; auf welcher, vermag ich nicht zu entscheiden..."

…und wir auch nicht: Fest steht nur, dass Beethoven seinen Zeitgenossen Méhul sehr schätzte und dessen Symphonie durchaus gekannt haben kann.

Étienne-Nicolas Méhul – geboren am 22. Juni 1763 in Givet in den französischen Ardennen – war nach einem soliden Musikstudium mit 15 nach Paris gekommen und wurde von Christoph Willibald Gluck protegiert. Seine drei Klaviersonaten, die er 1783 als Opus 1 veröffentlichte, machten den 20-jährigen Komponisten quasi über Nacht berühmt. Und schon hier könnte man meinen, Musik von Beethoven zu hören…Doch Méhuls eigentliches Interesse galt nicht der Instrumentalmusik, sondern der Oper. 1790 feierte sein erstes Bühnenwerk an der Pariser Comédie-Italienne einen wahren Triumph; in den nächsten 25 Jahren folgten gut 30 weitere Opern und opéras-comiques. Sowohl während der Revolution als auch unter Napoléon war Étienne-Nicolas Méhul einer der wichtigsten und erfolgreichsten Bühnenkomponisten Frankreichs. Und der Feuilletonist Marquis de Condorcet ehrte ihn in seiner Chronique de Paris (1793) mit einem völlig neuen Attribut: "Romantiker".

"Wehe über die Musiker, die immer dieselben, alten Töne verwenden - die Nachwelt wird sie vergessen. Der Bürger Méhul freilich gehört nicht dazu: Er ist wirklich der erste romantische Komponist!"

Beethoven bewunderte ihn ebenso wie E. T. A. Hoffmann, Carl Maria von Weber oder Hector Berlioz, doch von Méhuls Opern hielt sich lange Zeit nur das alttestamentarische Musikdrama Joseph en Égypte von 1807 im Repertoire.
Neben seinen Opern komponierte Méhul rund 20 Hymnen und Chansons für die Französische Revolution; vor allem seine Hymne à la Liberté wurde 1794 unter dem Titel Le Chant du Départ zu einem Schlüsselwerk: das Directoire und das Premier Empire Napoléons erhoben das "Lied des Aufbruchs" zur offiziellen Staats-Hymne, deren Anfangsverse bis heute in Frankreich jedes Kind kennt: »La Victoire en chan-tant…«

"Singend öffnet der Sieg uns das Tor, die Freiheit lenkt uns‘re Schritte."

1795 war Méhul einer der maßgeblichen Gründer des Pariser Conservatoire, während er als Komponist weiterhin sein Hauptziel verfolgte, die Oper zu erneuern. Am 18. Oktober 1817 ist Étienne-Nicolas Méhul – 54 Jahre alt und seit langem an Tuberkulose erkrankt – in Paris gestorben.