Vorbehalte gegen deutsche Souveränität

Von Andreas Baum · 12.09.2005
Zu welchem Zeitpunkt die DDR der Bundesrepublik beitreten könnte, das hing von den Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen ab. Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges und die beiden deutschen Staaten verhandelten in Moskau über die Modalitäten der Wiedervereinigung, war doch mit ihr auch die uneingeschränkte Souveränität Deutschlands verbunden. Wegen Bedenken von Frankreich, Großbritannien und der Sowjetunion drohten die Verhandlungen bis kurz vor der Vertragsunterzeichnung noch zu scheitern.
Der US-amerikanische Außenminister James Baker soll in seiner Suite im Moskauer Hotel International schon eine Schlaftablette eingenommen haben, als ihn Hans-Dietrich Genscher noch einmal aus dem Bett holen ließ. Es war der 12. September 1990, ein Uhr früh. Wenige Stunden später sollten die vier ehemaligen Besatzungsmächte und die beiden deutschen Staaten den so genannten Zwei-Plus-Vier-Vertrag unterzeichnen, der der DDR erlauben sollte, der Bundesrepublik beizutreten. Außenminister Baker empfing seinen deutschen Amtskollegen im Hotelbademantel. Genscher war so aufgebracht, dass er unter Herzrhythmusstörungen litt. Denn in letzter Minute drohten die Briten, die Verhandlungen scheitern lassen. Im Falle einer Wiedervereinigung wollten sie auf dem Gebiet der DDR Manöver abhalten. Für die Sowjets war das unannehmbar.

" Wir haben doch immer an Ihrer Seite gestanden! "

...beruhigte Baker den kurzatmigen deutschen Außenminister. Bis zum Frühstück gelang es ihm, die widerspenstigen Briten zum Nachgeben zu veranlassen. Nun, endlich, konnte unterzeichnet werden. Der Reporter Hermann Vinke berichtete am Mittag des 12. September 1990 per Telefon von der Zeremonie.

" Um 12 Uhr 44 Ortszeit Moskau war es endlich soweit. Die sechs Außenminister setzten im Hotel Oktober, der pompösen ehemaligen Parteiherberge der KPdSU, an der Dimitroffstraße in Moskau nacheinander ihre Unterschriften unter das Dokument, umringt von Dutzenden von Fotografen und Kameraleuten und in Anwesenheit des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow. Michail Gorbatschow ist der eigentliche Motor der Veränderungen in Europa. "

Nach dem Mauerfall standen besonders die Franzosen und die Briten misstrauisch einem wiedervereinigten Deutschland gegenüber. Großbritanniens Premierministerin Margaret Thatcher zeigte zwar noch Sympathie für den Aufstand der Ostdeutschen gegen das SED-Regime. Ein wiedervereinigtes Deutschland jedoch drohte ihr zu groß und zu mächtig zu werden.

" Im Falle der Wiedervereinigung würde die deutsche Bevölkerung auf 80 Millionen ansteigen und vielleicht noch zunehmen. Sie hätte dann eine beherrschende Stellung, sowohl der Zahl nach als auch durch ihre wirtschaftliche und politische Macht. "

Frankreichs Präsident Francois Mitterand hoffte auf die Sowjetunion, um die Einheit, wenn nicht zu verhindern, so doch weit in die Zukunft zu verschieben:

" Gorbatschow wird niemals ein wiedervereintes Deutschland in der Nato akzeptieren, und die Amerikaner werden niemals zulassen, dass die Bundesrepublik die Nato verlässt. Wir können deshalb beruhigt sein. "

Und doch war es Gorbatschow, der im Februar 1990 überraschend eingelenkt hatte. In Moskau teilte er Bundeskanzler Helmut Kohl mit:

" Die Deutschen müssen selbst wissen, welchen Weg sie gehen. "

Nur über die äußeren Bedingungen der deutschen Einheit wollte die Sowjetunion verhandeln. Eines der größten Probleme schien zunächst der Abzug der Roten Armee aus der DDR zu sein. Erst am 10. September, zwei Tage vor der Unterzeichnung des Zwei-Plus-Vier-Vertrages, einigten sich Gorbatschow und Kohl am Telefon auf einen Kompromiss. Die Bundesrepublik würde 12 Milliarden Mark an die Sowjetunion zahlen und ihr darüber hinaus einen zinslosen Kredit von drei Milliarden Mark gewähren. Bis 1994 sollte der letzte sowjetische Soldat Deutschland verlassen. Man war sich mit Moskau einig, und zähneknirschend mussten nun auch die Westeuropäer dem "Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland" zustimmen. Hans-Dietrich Genscher war es von Anfang an wichtig gewesen, auf gleicher Augenhöhe mit den ehemaligen Besatzungsmächten zu reden.

" Ich legte Wert darauf, dass die beiden deutschen Staaten mit den vier sprechen, und nicht die vier mit den beiden deutschen Staaten, deshalb heißt die Form Zwei plus Vier, nicht vier plus zwo, weil ich auf jeden Fall den Eindruck vermeiden wollte, dass nachdem das deutsche Volk in einer friedlichen Freiheitsrevolution den Willen zur Einheit artikuliert hatte, sich sozusagen unter der Verhandlungshoheit von vier Staaten zu bewegen hat. "

Der Vertrag regelt die Grenzen Deutschlands und legt sie verbindlich fest.

" Seine Außengrenzen werden die Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland sein und werden am Tage des Inkrafttretens dieses Vertrags endgültig sein...
Nach der Verfassung des vereinten Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar. "

Um das zu gewährleisten, mussten sich die Deutschen außerdem verpflichten, nicht mehr als 370.000 Soldaten unter Waffen zu stellen und dauerhaft darauf zu verzichten, Atommacht zu werden. Zu den Dokumenten des 12. September 1990 gehört auch eine Note, die die Ergebnisse der Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone für immer festschreibt. Die neue Verfassung allerdings, die dieser Vertrag für das wiedervereinigte Deutschland fordert, ist bis heute nicht verabschiedet worden.