Vor laufender Kamera

Gotteskrieger

Kriminal-Hörspiel: „Gotteskrieger", Produktion Deutschlandradio Kultur 2015. Abgebildet: Aylin Esener
Bei der Produktion: Aylin Esener © Deutschlandradio / René Fietzek
Von Christoph Güsken · 23.11.2015
Die Galerie Schlöndorff steht kurz vor der Eröffnung einer Vernissage mit Werken des Zeichners Laurin Svensson. Vor allem seine Karikatur "Krisensitzung" hatte im Vorfeld Schlagzeilen gemacht. Das Bild zeigt Jesus, den Propheten Elias und Mohammed bei einem feuchtfröhlichen Abendmahl.
Svensson wird auf offener Straße entführt. In einem auf YouTube veröffentlichten Video bekennt sich eine Gruppe namens Deutsches Kalifat zu der Entführung und kündigt eine Hinrichtung vor laufender Kamera an. Dem Leiter der SOKO, Heiko Lübeck, und Hauptkommissarin Aygün Kleist bleiben nur wenige Stunden.
Ausschnitt

Das Kriminalhörspiel hat am 8. November im Hörtheater im Heimathafen Neukölln Premiere. Weitere Informationen auf unserem Veranstaltungskalender.

Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Komposition: Frank Merfort
Mit: Christoph Gawenda (Heiko Lübeck), Aylin Esener (Aygün Kleist), Andreas Schmidt (Laurin Svensson), Anita Vulesica (Chloe Svensson), Jan Breustedt (Tarik Niedeck), Steffen C. Jürgens (Galerist Schlöndirff), Frank Arnold (Dieter Paschke), Katja Teichmann (Susanne Niedeck), Karim Chamlali (Djamal Mossadeh), Murat Akin (Halit Gollwitz), Sinan Al Kuri (Hamdi al Hussein alias Murat Sahid), Barbara Becker (TV-Sprecherin), Jörg Sucker (TV- Sprecher), Ulrich Lipka (Radiosprecher), Fritz Hammer (Aktivist Pro Berlin)
Ton: Andreas Stoffels
Produktion: Deutschlandradio Kultur 2015

Länge: ca. 59'30

Christoph Güsken, geboren 1958 in Mönchengladbach, lebt in Münster. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die Krimis um das Detektivgespann Bernie Kittel und Henk Voss. 2004 produzierte Deutschlandradio Kultur ›Blaubarts Gärtner‹ und 2014 "Ouotenkiller".
Charlie Hebdo oder mehrere Gesichter der Wahrheit
Notizen des Autors
Der blutige Mordanschlag auf die Redakteure des Satiremagazins "Charlie Hebdo" waren für mich nicht der Anlass, das Hörspiel zu schreiben. Damals hatte ich längst damit angefangen, schon seit in den Nachrichten immer wieder von der Ermordung amerikanischer Soldaten und westlicher Journalisten durch den IS berichtet worden war.
Ich fand es ein ziemlich wahrscheinliches Szenario, dass die Täter diese Art der Kriegsführung in absehbarer Zeit in die Mitte Europas tragen würden. Die mediale Aufmerksamkeit und Betroffenheit, auf die sie es so sehr abgesehen haben, würde dort nämlich um ein Vielfaches höher sein als in Kobane oder Aleppo, wo Gräueltaten wie diese fast zum Alltag gehören. Mit "Charlie Hebdo" wurde die Fiktion auf erschreckende Weise von der Realität eingeholt.
In Paris zeigte, wie viele fanden, der radikale Islam sein hässliches Gesicht. Europa und der gesamte sogenannte Westen antworteten darauf mit einem mutigen und trotzigen Gesicht. Dem Gesicht der Solidarität all derer, die auf der richtigen Seite stehen, quer durch alle Konfessionen und Gesellschaftsschichten. Das des guten Westens, der für Werte wie freie Meinungsäußerung und Toleranz lieber sterben will, als sie einzuschränken. Die Zivilisation antwortete der Barbarei.
Sauberes Töten gibt es nicht
Ein anderes Gesicht des Westens zeigt der amerikanische Film "Good Kill" mit Ethan Hawke in der Hauptrolle. Er erzählt die Geschichte eines Drohnenpiloten, der von einem Container in Las Vegas aus per Joystick Einsätze gegen echte oder vermeintliche Terroristen im Irak fliegt. Er demontiert die Illusion, dass es ein sauberes Töten als Beruf mit freiem Wochenende und Zeit für die Familie geben kann - jenseits von Völkerrecht und Gesetz, von Solidarität, Freiheit und Menschenwürde. Dieses Gesicht des Westens ist beschämend und ernüchternd.
Zugegeben, der US-Drohnenkrieg und ein islamistischer Terroranschlag mitten in Berlin sind zwei völlig verschiedene Dinge. - Oder doch nicht? Sind sie vielleicht nur so verschieden wie zwei Seiten einer Medaille? Und obendrein abhängig voneinander, indem sie einander als Legitimation dienen.
Fanatischer Extremismus
In "Gotteskrieger" geht es nicht um den Islam, sondern um fanatischen Extremismus. Der ist es nämlich, der in Paris sein Gesicht gezeigt hat, dabei hat er noch viele andere: Gestalten mit weißen Kapuzen, die Kreuze verbrennen, Schwarzvermummte, die vor laufender Kamera töten, oder grölende Horden in Springerstiefeln, die die Hand zum Hitlergruß recken und Flüchtlingsheime anzünden. Ob sie ein Kalifat errichten oder das Abendland vor Islamisierung retten wollen: Sie glauben einander zu hassen, dabei ziehen sie doch letztlich an einem Strang.
Hörspiele erzählen Geschichten, sie sind keine Lehrstücke, deshalb können sie schon mal Fragen aufwerfen. Aber selten haben sie Antworten parat. Und dieses hat ja nicht einmal ein gutes Ende: Am Schluss klingt der Ruf "Wir sind das Volk!" durch die Straßen, der die Menschen vor 25 Jahren mit Stolz erfüllt hat und heute ein ungutes Gefühl im Magen verursacht.
Aber zum Glück ist das Ende Fiktion. Und immerhin haben wir die Chance dafür zu sorgen, dass nicht auch die von der Realität eingeholt wird.