Vor Entscheidung zum "Kinderspiel des Jahres"

"Das klassische Brettspiel lebt noch"

Nominiert als Kinderspiel des Jahres: "Mmmm!", "Stone Age Junior" und "Leo muss zum Friseur"
Nominiert als Kinderspiel des Jahres: "Mmmm!", "Stone Age Junior" und "Leo muss zum Friseur" © Spiel des Jahres / Pegasus Spiele / Hans im Glück / Abacusspiele (Kombo: Deutschlandradio)
Stefan Gohlisch im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 20.06.2016
Heute wird das Kinderspiel des Jahres gekürt, eine Jury hat drei Kandidaten nominiert: "Leo muss zum Friseur", "Mmm!" und "Stone Age Junior". Ein preiswürdiges Spiel müsse bei Kindern und Eltern gut ankommen, sagt Jury-Mitglied Stefan Gohlisch.
Heute wird das beste Kinderspiel des Jahres gekürt. Aus 150 verschiedenen Spielen hat eine Jury drei ausgesucht, von denen eines nun prämiert wird. "Leo muss zum Friseur", "Mmm!" und "Stone Age Junior" seien alle drei ganz normale Brettspiele, sagte das Jury-Mitglied Stefan Gohlisch im Deutschlandradio Kultur: "Das klassische Brettspiel lebt also noch."
Alle 150 Spiele hat die Jury ausprobiert – und auch mit Kindern getestet. Ideal ist für Gohlisch ein Spiel, das bei Kindern toll ankommt, aber auch beim Rest der Familie. "Es gibt ja nichts Schlimmeres, als ein Kinderspiel zu spielen, wo man als Erwachsener das Gefühl hat, man muss sich jetzt gerade ein bisschen dümmer machen als man ist, sich ein bisschen ungeschickter anstellen, als man möchte, damit die Kinder ja nicht frustriert sind", sagte Gohlisch.
Man müsse sich die Zeit nehmen, um mit Kindern zu spielen, betonte er. Die Eltern beim Spielen zu erleben sei für Kinder wertvoll, sagte Gohlisch: Denn so könnten sie sehen, dass sich auch Erwachsene ärgern - und manchmal auch schlecht verlieren können.

Das Gespräch im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Mensch-ärgere-dich-nicht, Mikado und Rommee, das waren die Spiele, die bei uns zu Hause gespielt wurden, als ich noch ein Kind gewesen bin. Zugegeben, das ist schon ein, zwei Tage her. Inzwischen hat sich die Welt der Spiele vervielfacht, sie ist bunter, komplizierter und auch elektronischer geworden, aber, wir wissen es von Friedrich Schiller: "Der Mensch ist nur Mensch dort, wo er spielt."
Was aber bedeutet das in unserer immer rastloser werdenden Gesellschaft, in der mancher Kinderalltag ja genauso durchgetaktet ist wie der eines Spitzenmanagers? Ist da eigentlich noch genügend Zeit und Muße zum Spielen? Das weiß bestimmt Stefan Gohlisch. Er ist Jurymitglied für den Preis "Kinderspiel des Jahres". Der Preis wird heute in Hamburg verliehen. Herr Gohlisch, ich grüße Sie!
Stefan Gohlisch: Einen schönen guten Tag!
von Billerbeck: Bevor ein Preis verliehen werden kann, muss es ja erst mal Kandidaten geben. Was zeichnet denn die nominierten Spiele aus?
Gohlisch: Kandidaten gibt es grundsätzlich erst mal zuhauf. Wir haben in diesem Jahrgang uns etwa 150 Spiele angeguckt und in einem mehrmonatigen Prozess schließlich drei Kandidaten für diesen Hauptpreis ausgewählt.
von Billerbeck: 150 Spiele – haben Sie die alle gespielt?
Gohlisch: Ja, natürlich.
von Billerbeck: Wie lange hat das gedauert?
Gohlisch: Das dauert halt schon ein Jahr. Wir gucken uns all diese Spiele an, wir spielen sie in der Regel auch, bei manchen bemerken wir dann relativ schnell, die kommen für uns eher nicht in Frage. Aber die anderen werden getestet natürlich, vor allem mit Kindern getestet, anders geht es nicht. Und darüber tauschen wir uns aus, und am Ende stehen dann halt diese drei Spiele, um die es dann heute geht.
von Billerbeck: Das ist irgendwie eine schöne Beschäftigung, ein Jahr lang Spiele testen. Dann sagen Sie uns doch mal, was sind das für drei Spiele, die da nominiert sind und die Chance haben, den Preis "Kinderspiel des Jahres" zu bekommen.

Drei klassische Brettspiele sind im Rennen

Gohlisch: Es handelt sich in diesem Jahrgang tatsächlich um drei ganz klassische Brettspiele, also Spiele, deren Material ausschließlich aus Pappe und Holz besteht. Wir hatten im vergangenen Jahr ja einen Preisträger, "Spinderella", mit dreidimensionalem Aufbau, mit Magnetmechanismus und so etwas. Nichts davon in diesem Jahr, sondern klassische Brettspiele. Das klassische Brettspiel lebt also noch.
Die drei Kandidaten, die wir haben, sind zum einen "Mmm!", das ist ein kooperatives Würfelspiel. Noch ein kooperatives Spiel ist "Leo muss zum Friseur", da muss man gemeinsam eine Gedächtnisleistung erbringen, mit dem Ziel, den Titelhelden Leo, das ist ein Löwe mit zu langer Mähne, zum Friseur zu bringen. Ein sehr schönes Thema für ein Kinderspiel, auch ein sehr ungewöhnliches. Und das ist zum Dritten "Stone Age Junior", da baut man um die Wette in der Steinzeit sein Hüttendorf auf.
von Billerbeck: Ich stelle mir das gerade vor, wie Sie das gespielt haben. Wem müssen denn nun diese Spiele gefallen? Den Großeltern, den Eltern oder den Kindern? Und was bedeutet das eigentlich, wenn es der einen und der anderen Generation gefällt? Das ist ja schon interessant, dass Sie jetzt gerade drei Brettspiele ausgewählt haben.
Gohlisch: Es ist das klassische Gesellschaftsspiel bei uns im Fokus, und idealerweise finden wir einen Preisträger, der bei den Kindern toll ankommt, aber der dann eben auch in der ganzen Familie gespielt werden kann. Es gibt ja nichts Schlimmeres, als ein Kinderspiel zu spielen, wo man als Erwachsener das Gefühl hat, man muss sich jetzt gerade ein bisschen dümmer machen, als man ist, sich ein bisschen ungeschickter anstellen, als man möchte, vielleicht sogar ein bisschen schummeln möchte, damit die Kinder ja nicht frustriert sind. Sondern idealerweise ist es ein Spiel, bei dem die Familie, bei dem Freunde, bei dem eben auch Kinder untereinander zusammenkommen und gemeinsam Spaß dran haben.
von Billerbeck: Ich kenne so viele Spiele, da habe ich ganz alt ausgesehen und meine Kinder waren viel besser.
Gohlisch: Ja, das ist meistens bei Gedächtnisspielen, da sind Kindern nämlich auch unschlagbar, was eben auch dazu führt, dass gern mal ein kleiner Gedächtnismoment in solchen Spielen drin ist.
von Billerbeck: Bekanntermaßen wird ja immer wieder konstatiert, dass Eltern immer weniger Zeit haben, mit den Kindern zu spielen. Heißt das auch, die Spiele müssen schneller werden, also schneller vorbei sein, für die man nicht mehr so viel Zeit braucht, oder hat das gar keine Auswirkungen.

Zum Spielen muss man sich Zeit nehmen

Gohlisch: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass man sich halt einfach die Zeit nehmen muss, um zusammen zu spielen. Ein Kinderspiel dauert im Normalfall ja sowieso nicht sonderlich lange, 15, 20 Minuten, vielleicht auch mal Richtung 30 Minuten. Das ist nicht die Welt. Ich bin selber voll berufstätig und habe in meiner Patchworkfamilie, in der ich lebe, drei Kinder. Natürlich fällt es nicht immer leicht, diese Zeit zu finden. Aber es lohnt sich einfach, weil es eine ganz tolle Situation für die Kinder ist, ihre Eltern eben auch mal aus dieser Perspektive zu erkennen, eben zu bemerken, okay, die können halt nicht alles, die ärgern sich auch mal.
von Billerbeck: Können nicht verlieren …
Gohlisch: Die können auch mal schlecht verlieren, genau. Oder sie können schlecht gewinnen, was ja häufig viel schlimmer ist. Das ist für die Kinder einfach ein unglaublich wertvoller Moment.
von Billerbeck: Das Spiel des Jahres gibt es ja seit 1979, das Kinderspiel des Jahres seit 16 Jahren. Wie haben sich denn die Spiele aus Ihrer Sicht verändert seitdem?
Gohlisch: Vieles ist gleich geblieben. Das heißt, wir spielen im Normalfall immer noch Spiele mit einem Spielplan aus Pappe, mit Figuren aus Holz. Es kommen manche Sachen hinzu, also diese Hybride aus Elektronik und Brettspiel gab es halt vor 16 Jahren in dieser Form noch nicht. Ich behaupte, es ist auch unserem Preis zuzuschreiben, dass die Qualität der Spiele durchaus zugenommen hat, was sich auswirkt auf die Zugänglichkeit der Regeln, auf die Kindgerechtigkeit des Materials, auf die Originalität der Spielideen. Ich hoffe, dass es auch ein bisschen mit unserer Arbeit zu tun hat.
von Billerbeck: Nun gibt es ja bekanntlich unter den Kindern gute Spieler und schlechte Spieler, so wie es bei den Erwachsenen auch ist. Wie muss man denn Spiele gestalten, um gerade die Kinder zu erreichen, die vielleicht nicht gern spielen?
Gohlisch: Grundsätzlich glaube ich, dass das falsch ist. Ich habe noch kein Kind erlebt, dass man zum Spielen hätte tragen müssen.
von Billerbeck: Vielleicht zum Brettspielen?

Schräge, witzige, schöne, lustige Spielideen

Gohlisch: Vielleicht zum Brettspielen. Aber das ist, was ich Eltern oder Großeltern immer sage: Machen Sie es einfach. Es gibt so viele unterschiedliche, schräge, witzige, schöne, lustige Spielideen, dass garantiert für jeden etwas dabei ist. Da muss man einfach ein bisschen gucken, was ist das für ein Kind, mit dem ich spielen will, was sind die Vorlieben. Und wenn es ein Kind sein sollte, das einfach nicht verlieren kann – dafür gibt es ja gerade diese ganzen kooperativen Spiele, bei denen man gemeinsam gewinnt und gemeinsam verliert. Darum sind die so beliebt im Kinderspielbereich.
von Billerbeck: Stefan Gohlisch war das, Jurymitglied für das Kinderspiel des Jahres, das heute in Hamburg gekürt wird. Um 10:30 Uhr erfahren wir dann, welches es geworden ist, und der Hersteller kann sich dann das Signet des Preises auf die Kiste drucken. Danke Ihnen für das Gespräch und viel Spaß beim Weiterspielen!
Gohlisch: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Anmerkung der Redaktion: Einige Stunden nach diesem Gespräch wurde "Stone Age Junior" in Hamburg zum "Kinderspiel des Jahres" gekürt. Die Jury lobte es als ein "forderndes Taktikspiel für planvolle Sammler ab fünf Jahren".

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