Vor den Olympischen Spielen

Das Versteckspiel

Von Thomas Franke  · 29.01.2014
Als sich im Sommer 2013 bei der Leichtathletik-WM in Moskau zwei russische Athletinnen geküsst haben, war die Aufregung groß. Die homophobe Stimmung in Russland ist aufgeheizt. Und die Aufregung des Westens darüber stößt im Land weitgehend auf Unverständnis.
Sie sind auf dem Weg in die USA. Homosexuelle Sportler aus Russland. Ihr Ziel sind Medienvertreter. Sie wollen die US-Öffentlichkeit vor den Olympischen Spielen in Sotschi für die Probleme und die Gefahr für Homosexuelle in Russland sensibilisieren. Es sind Amateursportler wie Konstantin Yablotskiy, von Beruf Chemielehrer, in der Freizeit Eiskunstläufer.
"Wahrscheinlich ist ungefähr die Hälfte der männlichen Eiskunstläufer schwul. Aber nicht offen. Ein offizielles Coming-out hatten nur sehr wenige. Unter den Aktiven ist keiner offen schwul."
Ein paar Wochen später in Moskau. Konstantin Yablotskiy trägt eine dunkle Hose mit ein wenig Glitzer und Bügelfalte, ein enges Oberteil. Schoner schützen die Kufen seiner Schlittschuhe.
"Ich trainiere nicht systematisch. Es hängt von den Umständen ab. So ein bis zwei Mal die Woche."
Yablotskiy hat erst mit 19 angefangen, Eis zu laufen. Das ist zehn Jahre her.
Die Umkleidekabine ist klein, zwanzig Spinde, Bänke. Yablotskiy begrüßt eine Trainerin. Seine Partnerin Irina kommt. Küsschen links, Küsschen rechts. Sie laufen seit einem Jahr zusammen.
"Ich hatte vorher schon fünf Tanzpartnerinnen. Sie ist hetero, aber sie unterstützt mich sehr. Ihr ist es egal, welche Orientierung ich habe. Ihr geht es einfach nur um den Sport."
Es ist Samstagabend, 23 Uhr 30.
"Wir haben uns daran gewöhnt, in diesem Stadion um halb zwölf nachts zu trainieren."
Konstantin möchte mit einem Mann bei den Gay Games auftreten
Andere Trainingszeiten sind zu teuer für das Paar. Yablotskiy und seine jetzige Partnerin Irina möchten bei den internationalen Amateurmeisterschaften in Oberstdorf antreten. Und er möchte in diesem Jahr mit einem Mann bei den Gay-Games teilnehmen.
"Das widerspricht den Regeln der Internationalen Eislauforganisation. Deshalb können sie mir die Teilnahme an den Amateurmeisterschaften verweigern. In meinen Augen ist das Diskriminierung im Sport."
Der Amateursportler Yablotskiy will sich dagegen wehren und hat dazu Mitte November den neuen IOC-Präsident Thomas Bach in Paris getroffen.
"Bach ist verpflichtet, Schritte zu unternehmen, um diese Diskriminierung zu beenden. Das Recht auf Sport ist ein Menschenrecht. So steht es in der olympischen Charta. Sehr viele LGBT-Aktivisten und Organisationen bewerten dies als einen Schritt zu einem großen Dialog zwischen dem IOC und der weltweiten LGBT-Bewegung."
LGBT steht für lesbisch, schwul, bi- und transsexuell. Yablotskiy ist Vorsitzender des LGBT-Sportverbands in Russland.
Basketballtraining einer homosexuellen Mannschaft. Etwa zehn Frauen und drei Männer werfen sich warm. Sie trainieren für die Open Games, ein LGBT-freundliches Tournier, das zwischen den Winterspielen in Sotschi und den Paralympics in Moskau stattfinden soll. Elvina Yavukayeva sitzt auf einer Bank am Rand. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des LGBT-Sportverbands und eine der Organisatorinnen der Open Games. Sie war gemeinsam mit Yablotskiy beim IOC-Präsidenten.
"Es war Thomas Bachs erstes Treffen mit Vertretern der LGBT. Wir haben ihm viele Fragen gestellt. Wir hatten sie sogar schriftlich ausformuliert."
Es ging um ein Gesetz, das im letzten Sommer verabschiedet wurde. Danach ist das Propagieren von Homosexualität gegenüber Minderjährigen verboten. Im Gesetzestext kommt das Wort Homosexualität jedoch nicht vor. Dort heißt es "nicht traditionelle sexuelle Beziehungen". Was unter Propaganda zu verstehen ist, lässt das Gesetz offen. Mittels einiger Beispiele hat Elvina Yavukayeva versucht, dem IOC-Präsidenten deutlich zu machen, welche Probleme es wegen dieses Gesetzes während der Spiele in Sotschi geben könnte.
Homosexuellen drohen hohe Geldstrafen
Was passiert, wenn ein homosexuelles Paar Händchen hält und sich benimmt wie ein homosexuelles Paar? Sie sind glücklich, denn vielleicht sind sie sogar als Familie gekommen, mit Kindern. Was passiert, wenn ein Journalist sie interviewt und im Fernsehen eine Reportage zu sehen ist? Wer wird diesem Gesetz zufolge schuldig sein? Das homosexuelle Paar, der Journalist, der das Interview macht, oder der Sender, der das ausstrahlt, oder die Zeitung?
Die Sorge ist berechtigt. Es drohen Geldstrafen von umgerechnet 2500 Euro bis 25.000 Euro. Die
Begründung dafür wirkt sonderbar: Die russischen Gesetzgeber gehen davon aus, dass Menschen ihre sexuelle Orientierung selbst wählen können. Auch Pavel Astachov, Kinderschutzbeauftragter des russischen Präsidenten, glaubt das.
"Jeder Mensch entscheidet selbst, was er wird. Heterosexuell, homosexuell, asexuell. Denn einige entscheiden sich ja auch zum Asketentum. Das ist die persönliche Wahl jedes Menschen. Als moderner Mensch weiß ich, dass ich mich da nicht einmischen kann."
Es gibt in Russland keinen Aufklärungsunterricht in der Schule. Astachov findet das richtig. Er ist der Ansicht, dass Kinder und Jugendliche erst etwas über die Liebe lernen müssten, bevor sie über Sexualität aufgeklärt werden.
"Ebenso, wie man unvorbereiteten Kindern keine Informationen über die Natürlichkeit von Beziehungen geben soll, so darf man auch besondere Formen von Beziehungen nicht propagieren. Deshalb das Gesetz, das die Propaganda von Homosexualität verbietet. Das betrifft nur Kinder und aggressive Formen der Informationsverbreitung. Wenn es um die Privatsphäre der Menschen geht, mischt sich niemand ein."
Die Initiatorin des Gesetzes ist Elena Mizulina, die Vorsitzende des Parlamentsausschuss für Familie, Frauen und Kinder. In der Debatte im Parlament betonte sie, es gehe um den Schutz von Kindern und der Familie.
"Traditionelle sexuelle Beziehungen bestehen zwischen Mann und Frau. Sie stellen den fortlaufenden Wechsel der Generationen sicher und sorgen für den Erhalt und die Entwicklung des multinationalen russischen Volkes. Diese Beziehungen muss der Staat schützen."
Homophobie ist in Russland gesellschaftlich anerkannt
In Russland stößt die Aufregung im Westen weitgehend auf Unverständnis. Der Kinderschutzbeauftragte Astachov bringt es auf den Punkt:
"Minderheiten müssen geschützt sein, aber in Fragen, wie die Welt funktioniert, müssen sie sich der Mehrheit unterordnen. Das ist Demokratie."
Minderheiten müssen in Russland Übergriffe befürchten. Homophobie ist gesellschaftlich anerkannt. In der Basketballhalle haben sie sich die homo-, bi- und transsexuellen Sportler in zwei Mannschaften geteilt. Hart passen sie hin und her. Das Spiel ist schnell. Elvina Yavukayeva vom LGBT-Sportverband sitzt nur am Rand. Ihr Sport ist Badminton.
"Die Regierung ist schwach und braucht eine neue populistische Idee. Eine sehr beliebte ist, dass Homosexuelle an allem Schuld sind. Es geht darum, ein Opfer zu finden, einen inneren Feind. Das ist das, womit sich, meiner Ansicht nach, unsere Regierung zurzeit beschäftigt. In diesem Kontext ist es schwierig für uns, überhaupt zu existieren. Zumal wir eine Sportorganisation sind. Wir sind keine Aktivisten. Bis zu einem bestimmten Moment hatten wir mit Politik überhaupt nichts zu tun. Bis nämlich diese Gesetze auftauchten. Diese Gesetze haben unsere Organisation ein bisschen illegalisiert."
Im Mai und im Juni wurden im südrussischen Wolgograd und auf der Halbinsel Kamtschatka am Pazifik zwei Schwule umgebracht. Die russischen Gesetze bestärken gewaltbereite homophobe Bevölkerungsgruppen, beklagt Verbandschefin Yavukayeva.
"Es gibt Überfälle auf Organisationen. Ein herausragendes Beispiel. In Sankt Petersburg gibt es eine Organisation, die heißt Laskaj. Sie trafen sich dort Anfang November zum Tee. Dort sind zwei Männer mit Masken eingedrungen. Einer hatte einen Baseballschläger, der andere eine Pistole. Bei dem Überfall wurde eine Frau am Rücken verletzt. Ein Junge musste mehrfach operiert werden, er hat ein Auge verloren. Als die Polizei das erste Mal kam, hat sie nur den Kopf geschüttelt und gesagt, sie erkenne keine Straftat. Dann wurde ein Verfahren eingeleitet wegen Rowdytums, es war aber völlig klar, dass es sich da um Anstachelung zum Hass handelte. Das ist ein anderer Artikel im Strafgesetzbuch."
Nicht selten werden die Homosexuellen für die Übergriffe auf sie selbst verantwortlich gemacht. Sie hätten ja nicht provozieren müssen. Homosexuelle ziehen sich immer weiter zurück.
"Eine Sportlerin hat uns mal unterstützt, einige Jahre lang. Sie hat ein Video aufgenommen und unsere Veranstaltungen besucht. Aber nach einem Interview haben sie ihr leider verboten, irgendetwas zu diesem Thema zu sagen. Selbst anonym. Sie ist für Sotschi qualifiziert. Es gibt sehr viele Anfragen, aber sie entschuldigt sich jedes mal und sagt, selbst, wenn ihr meine Stimme verändert, selbst wenn ihr mein Gesicht unkenntlich macht, ich kann mindestens bis zum Ende der Spiele kein Interview geben.
Das gleiche mit den Sportlern, die an den Paralympics teilnehmen. Die haben eine doppelte Stigmatisierung. Sie haben eine körperliche Behinderung und sind homosexuell. In unserer Föderation haben wir zwei Lesben, die dürfen aus demselben Grund nichts sagen."
Zurück in der Eishalle: Konstantin Yablotskiy und seine Partnerin Irina sind warm gelaufen. Synchron sausen sie über das Eis, vorwärts, rückwärts in Kurven, mit kleinen Pirouetten. Immer um andere Läufer herum. Es ist kurz nach Mitternacht.
Konstantin Yablotskiy deutet auf das Rund. Dort zeigt eine Trainerin zwei jungen Mädchen, wie man elegant in die Hocke geht und dabei ein Bein vorstreckt.
"Schauen wir uns doch jetzt mal um. Eins, zwei. Hier sind zwei Kinder auf dem Eis, die unter 18 Jahren sind. Ich weiß nicht, ob das Gesetz angewandt würde, wenn ich hier eng mit einem Mann liefe, ob das Propaganda wäre. Das ist das eine.
Aber, was machen eigentliche diese Kinder hier um halb zwölf nachts. Die gehören längst ins Bett. Und das ist eine Frage an die Eltern und die Leitung dieses Eisstadions."
Wenn er mit einem Mann laufen möchte, muss er das Risiko eingehen, eventuell gegenüber Minderjährigen Schlittschuhläufern für Homosexualität zu werben, laut russischer Gesetzeslage.
Der Wachmann findet das alles "animalisch"
Yablotskiy und seine Partnerin starten neu: Hacke, Spitze, Hacke, Spitze, dann gleiten sie davon.
Ein Wachmann in schwarzer Kampfmontur kommt.
Ob es stimme, dass Konstantin wirklich ... Er könne das Wort nicht in den Mund nehmen. Das sei doch animalisch. Er sei doch ein toller Typ, dass der nun solche Schweinereien mache. Er sei unten durch. Konstantin Yablotskiy kommt. Der Wachmann geht.
"Wir sind in Russland. Als Vorsitzender kriege ich jeden Tag zwischen zwei und fünf Anfragen an die LGBT-Menschenrechtsorganisation mit der Bitte um juristische Beratung. Sie fragen, wie man politisches Asyl in Westeuropa bekommen kann. Oder in den USA. Das sind vor allem LGBT-Familien. Viele Paare, die schon sehr lange in Russland zusammen leben und Angst haben vor Verfolgung. Sie haben gemeinsames Eigentum und das ganze Leben zusammen verbracht."
Der Amateur-Sportler Yablotskiy befürchtet Schlimmstes, wenn die Olympischen Spiele erst vorbei sind.
"Nach den Olympischen Spielen wird das Gesetz wieder hervor geholt werden, das gleichgeschlechtlichen Paaren das Sorgerecht entzieht. Das wurde nur wegen der olympischen Spiele verschoben. Schon jetzt verfolgen die Behörden einige lesbische Familien und versuchen, ihnen ihre Kinder weg zu nehmen."
Beim Sport ist es nicht wichtig, welche Orientierung du hast. Es geht darum, wie du spielst,
Elena ist 28 Jahre, Linguistin mit dem Schwerpunkt interkulturelle Kommunikation. Sie lebt nicht offen lesbisch.
"In Russland ist alles ein Problem. Es ist ein Problem, dass du Angst vor allem hast. Und das derzeitige politische Regime fördert es nicht, dass Menschen sich outen. Ich war auch nie out. Und jetzt ich glaube auch nicht, dass ich das jetzt noch mache. Denn das kann sehr schlimme Folgen haben.
Wenn die Olympiade vorbei ist, wird das Regime mit starken Repressionen gegen die Zivilgesellschaft beginnen, besonders gegen die LGBT Community. Denn alle Aufmerksamkeit, die die Community jetzt bekommt, kommt aus dem Westen. Und der Westen gilt im derzeitigen politischen System als etwas sehr schlechtes. Je mehr Aufmerksamkeit das Thema bekommt - nun erstmal nützt uns das natürlich - aber je mehr Aufmerksamkeit es gibt, desto mehr verknüpft das System Putins das mit etwas schlechtem, nicht russischem, das den russischen Werten nicht entspricht. Deshalb bin ich pessimistisch und sage, dass ich leider nach Olympia nichts bessern wird."