Vor BVerfG-Urteil zum Euro-Rettungsprogramm

DIW-Präsident warnt vor Glaubwürdigkeitsverlust der EZB

Der Ökonom und Buchautor Professor Marcel Fratzscher auf der Frankfurter Buchmesse. Er leitet seit 1. Februar 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und ist Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Professor Marcel Fratzscher, leitet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) © picture alliance / dpa / M. C. Hurek
Marcel Fratzscher im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 21.06.2016
Am Dienstagvormittag verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Euro-Rettungsprogramm der EZB. Die Zentralbank brauche die Rückendeckung der Gerichte, meint DIW-Chef Marcel Fratzscher. Ansonsten drohten instabile Finanzmärkte.
Vor der Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts zum OMT-Programm der Europäischen Zentralbank warnt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, vor einem Glaubwürdigkeitsverlust der Zentralbank.

Klagen gegen die EZB beschädigen deren Glaubwürdigkeit

Seine größte Sorge sei nicht, dass das Bundesverfassungsgericht die EZB stoppen könne, sagt Fratzscher. Denn der EuGH habe der EZB ja bereits "grünes Licht gegeben", dass deren Politik rechtens sei. Grund zur Sorge bereitet dem DIW-Präsidenten vielmehr, dass die "Attacken auf die Europäische Zentralbank, auch auf rechtlicher Ebene" deren Glaubwürdigkeit beschädigen könnten.
"Glaubwürdigkeit ist für eine Zentralbank das Wichtigste, was sie hat", betont der DIW-Präsident. Falls die Spekulanten an den Finanzmärkten nicht mehr glaubten, dass die EZB erfolgreich agiere, würden sie das austesten. "Dann werden sie versuchen zu attackieren oder zu spekulieren. Dann entsteht Instabilität in den Finanzmärkten." Um das zu verhindern, brauche die EZB die Rückendeckung der Gerichte in Europa.

Das OMT-Programm hat 2012 die Finanzmärkte beruhigt

Fratzscher erinnert daran, dass es das OMT-Programm gewesen sei, das im Sommer 2012 in der europäischen Krise Schlimmeres verhindert habe. Damals habe an den Finanzmärkten Panik geherrscht. "Und die Staats- und Regierungschefs haben es damals nicht geschafft, diese Panik zu beenden", erklärte der DIW-Präsident. "Erst die EZB, als sie sagte: so, wir greifen ein, wir werden Stabilität sichern, mit dieser berühmten Rede von Herrn Draghi, haben es geschafft." Das OMT-Programm habe die Märkte beruhigt, "ohne dass die EZB auch nur einen einzigen Euro kaufen musste, ohne dass da auch nur ein einziger Euro an Risiko für den deutschen Steuerzahler eingegangen wurde".

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Die Europäische Zentralbank ist bereit, alles zu tun, um den Euro zu retten. Und glauben Sie mir, es wird reichen. – Diese Aussage von EZB-Chef Mario Draghi, 2012 gemacht, hat schon genügt, um die Märkte, wie es immer so schön heißt, zu beruhigen. Wir haben sie ja vorhin noch mal gehört. Denn nicht weniger als den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen von Krisenstaaten hatte Draghi damit angekündigt und damit auch die Juristen auf den Plan geworfen, denen schon die Ankündigung solchen Tuns genügte. Denn die Frage ist, ob die EZB damit Grenzen überschritten hat und nicht mehr nur Währungs-, sondern Wirtschaftspolitik betreibt.
Das zumindest sehen deutsche Verfassungsrichter in Karlsruhe so, sie haben es durchblicken lassen. Sie wollen die EZB in ihre Grenzen weisen und sich aber auch mit ihren Luxemburger Kollegen vom Europäischen Gerichtshof nicht anlegen, die nämlich genau diesen quasi unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen für weniger problematisch halten. Heute Vormittag wird in Karlsruhe das Urteil verkündet über dieses Programm der EZB. Anlass für uns, darüber mit Professor Marcel Fratzscher zu sprechen, dem Präsidenten des DIW. Er ist jetzt am Telefon, schönen guten Morgen!
Marcel Fratzscher: Guten Morgen!

Bundesverfassungsgericht "nicht zuständig" für diesen Fall

von Billerbeck: Der Europäische Gerichtshof hat dieses sogenannte OMT-Programm Mario Draghis, also der EZB, für rechtmäßig erklärt. Kann sich Karlsruhe nun dagegenstellen?
Fratzscher: Das Bundesverfassungsgericht könnte sich dagegenstellen, aber wäre nicht besonders weise. Denn es handelt sich ja hier um europäisches Recht und da hat das Bundesverfassungsgericht eigentlich nichts zu sagen. Und beide Richter haben sich ja auch Januar 2014, als das Bundesverfassungsgericht die erste Entscheidung bekannt gab, dagegengestellt, gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, und gesagt, das ist eine Kompetenzüberschreitung, das ist wirklich die Sache des Europäischen Gerichtshofs.
Aber das, was das Bundesverfassungsgericht möchte, ist, auch in Zukunft einen Fuß in der Tür behalten, um auch über europäisches Recht mitsprechen zu können. Man möchte nicht, dass das alles auf europäischer Ebene entschieden wird.
von Billerbeck: Trotzdem ist es ja so, dass da eine europäische Institution, die nicht gewählt ist vom Bürger, über Dinge entscheidet, die er dann ausbaden muss. Also, wenn da Staatsanleihen von EU-Krisenstaaten gekauft werden, dann müssen wird das ja alle mitfinanzieren. Hat da nicht doch da Bundesverfassungsgericht durchaus Gründe, darüber mitentscheiden zu wollen und zu sagen, das geht so nicht?
Fratzscher: Nein, eigentlich nicht. Denn das Bundesverfassungsgericht ist ja auch nicht gewählt, also, die Gerichte und Richter werden ja benannt oder ernannt. Wir haben ein Europäisches Parlament, und das, was auf europäischer Ebene zusammen entschieden wird, das ist nun mal europäisches Recht und das ist nun mal der Europäische Gerichtshof.
Natürlich ist die Sorge groß, dass die Europäische Zentralbank etwas tut, was nachher dann für die Mitgliedsstaaten zu Kosten kommen könnte. Aber davon sind erstens mal alle Länder betroffen, es ist nicht nur Deutschland, sondern alle, jedes einzelne Land. Und wenn 19 Länder kommen würden und sagen, wir wollen uns das Recht herausnehmen, über europäisches Recht entscheiden zu können auf nationaler Ebene, dann kann natürlich Europa nicht funktionieren. Deshalb hat man ja europäische Verträge aufgesetzt, die auch Deutschland unterschrieben hat. Also, man muss hier genau überlegen, wer ist wofür zuständig. Und das Bundesverfassungsgericht ist meiner Ansicht nach für diesen Fall nicht zuständig.

"Glaubwürdigkeit ist für eine Zentralbank das Wichtigste"

von Billerbeck: Trotzdem könnte es ja da eine Konfrontation geben zwischen Bundesverfassungsgericht und Luxemburg, dem Europäischen Gerichtshof. Was für Folgen hätte die?
Fratzscher: Meine größte Sorge ist nicht, dass das Bundesverfassungsgericht die EZB stoppen kann. Denn der Europäische Gerichtshof hat ja ganz klar das grüne Licht gegeben und gesagt, was die EZB macht, ist rechtens, das ist konsistent mit dem Mandat. Also, selbst wenn das Bundesverfassungsgericht heute entscheiden würde, dass es das nicht als legal ansieht, würde das die Handlungsoptionen der EZB nicht einschränken.
Meine größte Sorge geht wirklich über die Glaubwürdigkeit. Denn das, was wir in Deutschland sehen, die Attacken auf die Europäische Zentralbank auch auf rechtlicher Ebene, schädigt die Glaubwürdigkeit der EZB, dass Bürger denken, oh, was die EZB da macht, scheint ja illegal zu sein! Und Glaubwürdigkeit ist für eine Zentralbank das Wichtigste, was sie hat. Denn wenn die Finanzmärkte, wenn die Spekulanten an den Finanzmärkten nicht mehr glauben, das, was die EZB macht, das wird erfolgreich sein, dann werden sie das austesten. Dann werden sie versuchen zu attackieren oder zu spekulieren.
Dann entsteht Instabilität in den Finanzmärkten und dann letztlich kann die EZB ihrem Mandat nicht mehr gerecht werden und wir alle haben den Schaden, den wirtschaftlichen Schaden. Deshalb ist es so wichtig, dass eine Zentralbank wie die EZB da wirklich glaubwürdig agieren kann und die Rückendeckung der Gerichte in Europa hat.

OMT-Programm hat 2012 Schlimmeres verhindert

von Billerbeck: Glauben ist das Stichwort und Glaubwürdigkeit. Wie nützlich oder schädlich ist denn nun die Politik Draghis für uns alle, diese Politik der niedrigen Zinsen?
Fratzscher: Wir sollten uns bewusst sein, wo wir im Sommer 2012 standen. Damals hatten die Staats- und Regierungschefs bekannt gegeben, dass sie eine Bankenunion machen werden, die Finanzmärkte fielen durch den Boden, es war eine unglaubliche Panik da. Und die Staats- und Regierungschefs haben es damals nicht geschafft, diese Panik zu beenden. Erst die EZB, als sie sagte, so, wir greifen ein, wir werden Stabilität sichern, mit dieser berühmten Rede von Herrn Draghi, haben es geschafft.
Und wir dürfen nicht vergessen, die EZB hat ein ums andere Mal Europa vor dem finanziellen Zusammenbruch bewahrt. Gerade dieses OMT-Programm war extrem erfolgreich, es war ein Versprechen, es war eine Drohung an die Finanzmärkte und an die Spekulanten, wagt es nicht, uns herauszufordern, wir werden tun, was immer notwendig ist, um Stabilität zu gewährleisten. Und das Programm war erfolgreich, weil es die Märkte beruhigt hat, ohne dass die EZB auch nur einen einzigen Euro kaufen musste, ohne dass da auch nur ein einziger Euro an Risiko für den deutschen Steuerzahler eingegangen wurde.
Also, wir sollten nicht vergessen: Das, was die EZB gemacht hat, war extrem wichtig, um Schlimmeres in der europäischen Krise zu verhindern. Natürlich muss es rechtens oder konsistent mit dem europäischen Recht sein, die EZB darf sich nicht außerhalb des Rechts bewegen, darum geht der Streit. Aber ökonomisch sollten wir uns bewusst sein: Das, was die EZB gemacht hat, war enorm wichtig, um Schlimmeres zu verhindern.
von Billerbeck: Vor dem heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das 2012 verkündete Anleihenkaufprogramm der EZB sprach ich mit Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des DIW. Ich danke Ihnen!
Fratzscher: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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