Vor 75 Jahren

"Voice of America" sendet erstmals auf Deutsch

Der frühere RIAS-Chefredakteur und SPD-Politiker Egon Bahr steht am Dienstag (07.02.2006) im ehemaligen RIAS-Funkhaus in Berlin neben dem alten Logo des Senders. Der "Drahtfunk im Amerikanischen Sektor" (damals DIAS) begann am 07. Februar vor 60 Jahren erstmals zu senden. Anlässlich des Jubiläums zeigt der Radiosender Deutschlandradio, der jetzt in dem Gebäude beheimatet ist, eine Ausstellung mit Plakaten aus dem Deutschen Rundfunkarchiv Babelsberg. Foto: Stephanie Pilick dpa/lbn +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
Hier sendete die "Stimme Amerikas: Der 2015 verstorbene, frühere RIAS- Chefredakteur Egon Bahr, im ehemaligen RIAS-Funkhaus in Berlin, heute Sitz von Deutschlandradio Kultur © dpa/ picture-alliance/ Stephanie Pilick
Von Brigitte Baetz · 01.02.2017
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Radio als Leitmedium zur Waffe: So wurde der amerikanische Auslandsrundfunk "Voice of America" eigens gegründet, um der deutsche Propaganda etwas entgegenzusetzen. Die "Stimme Amerikas" sendete denn auch zunächst in der Sprache des Feindes.
"Hier spricht die Stimme aus Amerika. Die Vereinigten Staaten von Amerika rufen Europa. Heute und täglich um diese Zeit sprechen wir zu Ihnen über Amerika und den Krieg."
Deutsch war die erste Sprache, mit der die "Voice of America" über den Äther ging. Erst zwei Monate waren seit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg vergangen und im Gegensatz zu anderen Staaten, wie dem Kriegsgegner Deutschland oder auch der Sowjetunion, hatten die Amerikaner noch keine Erfahrungen mit staatlichem Auslandsrundfunk.
Die Ausstrahlung der ersten Sendung am 1. Februar 1942 wurde über Mittelwellenanlagen in Großbritannien abgewickelt. Die Aufnahmen wurden auf Schallplatte gepresst und per Flugzeug nach London gebracht. Nur wenig später wurde direkt über Kurzwelle aus New York gesendet, mit einem internationalen Programm in zunächst vier Sprachen. Der deutsche Theologe Paul Tillich, seit 1933 im Exil in den USA, wandte sich Weihnachten 1942 über die "Stimme Amerikas" an seine Landsleute:
"Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker. Nie in der Geschichte hat das so allgemein gegolten wie in diesem Jahr. Erkennt an, dass es so ist, meine deutschen Freunde. Lasst Euch nicht betrügen von denen, die Euch sagen: es ist Licht, wo in Wahrheit Finsternis ist. Löscht die falschen Lichter aus, die man Euch, die man dem deutschen Volke, angezündet hat."
Bald Sendungen in 40 Sprachen
Die "Voice of America" entwickelte sich rasant. Zu Beginn stellten zwei Redakteure und eine Sekretärin aus Zeitungsmeldungen ein kurzes deutsches Programm zusammen. Auf dem Höhepunkt des Krieges gab es bereits Sendungen in 40 Sprachen. Das Büro in Manhattan wurde zu einem Rund-um-die-Uhr-Arbeitsplatz für Exilanten aus allen Teilen der Welt. Deutsche Literaten wie Walter Mehring, Leopold Schwarzschild und Hans Sahl arbeiteten für die Stimme Amerikas, für die französische Abteilung u.a. André Breton und Claude Lévi-Strauss. Das Programm war äußerst vielfältig: Kabarett, Lesungen, Kurzberichte - und musikalische Auftritte wie der von Lotte Lenya:
Die österreichisch-amerikanische Sängerin und Schauspielerin Lotte Lenya am 10. Februar 1973 während eines Gedenkabends zu Ehren des 75. Geburtstags des Dramatikers Bertolt Brecht in Frankfurt am Main. Lotte Lenya (eigentlich Karoline Blamauer) wurde am 18. Oktober 1898 in Wien geboren. 1925 heiratete sie den Komponisten Kurt Weill, mit dem sie 1933 über Paris in die USA emigrierte. Als beste Interpretin der Lieder ihres Mannes feierte sie u.a. als "Seeräuberjenny" in der "Dreigroschenoper" (Brecht/Weill) und mit dem Lied vom "Surabaya-Johnny" aus dem Stück "Happy End" (Brecht/Weill) große Erfolge. Für ihre Rolle in der Tennessee-Williams-Verfilmung "Der römische Frühling der Mrs. Stone" wurde sie 1961 mit dem "Oscar" ausgezeichnet, in dem James-Bond-Streifen "Liebesgrüße aus Moskau" (1964) spielte sie eine Spionin. Lotte Lenya, die nach dem Tode Weills noch zweimal heiratete, ist am 27. November 1981 in New York gestorben. | Verwendung weltweit
Auch die Sängerin und Schauspielerin Lotte Lenya, Ehefrau Kurt Weills, hier 1973, war auf Voice of America zu hören © picture-alliance / dpa / Manfred Rehm
"Mein Sohn, ich hab Dir die Stiefel und das braune Hemd geschenkt, hätt ich gewusst, was ich heut' weiß, hätt ich lieber mich aufgehängt …"
Eine zentrale Zielgruppe: Die wenig kriegsbegeisterten Deutschamerikamer
Organisiert wurde der Sender vom Office of War Information, einer staatlichen Behörde, die für die Kriegspropaganda verantwortlich war und die auch Einfluss auf die amerikanischen Zeitungen, den Hörfunk und die Filmindustrie nahm. Das deutsche Programm der "Voice of America" produzierte deshalb bis 1945 auch für das eigene Land, die USA. Denn nicht alle Deutschamerikaner waren vom Kriegseintritt ihres Landes begeistert, dem sollten das Programm entgegenhalten:
"Sie hören heute zum ersten Mal die Sendung ‚We fight back‘ – Wir schlagen zurück. Der Untertitel unserer Sendung lautet: German American Loyalty Hour. Wir wenden uns an alle deutschsprachigen Menschen in den Vereinigten Staaten, die bereit sind, mit uns gegen alle jene Tendenzen zu kämpfen, die die Loyalität des Deutsch-Amerikanertums untergraben wollen."
Mit dem Sieg gegen Nazi-Deutschland schien der Daseinszweck der "Stimme Amerikas" zunächst erfüllt zu sein – doch der Konflikt mit der Sowjetunion ließ den Sender mitsamt seiner deutschen Abteilung weiterleben. Er entwickelte sich zu einem Informationsdienst über das Leben in den USA, dessen Reportagen von deutschen Sendern übernommen werden konnten. Im RIAS, dem "Radio im amerikanischen Sektor", wandte man sich sogar direkt an die Bevölkerung in der sogenannten "Zone".
Nach dem Krieg erklingt Amerikas Stimme weiter im RIAS
"Amerika ruft Berlin. Sie hören die Morgensendung der Stimme Amerikas für Berlin und die Sowjetzone. Ist es denn wirklich wahr, fragt Moderator Ernest Rosé, "dass die Kinder der Armen in New York überhaupt keine Spielplätze haben? Der Brief kommt aus dem Sowjetsektor von Berlin."
1993 verstummt die Stimme Amerikas
In dem Maße, in dem die westdeutschen Sender eigene Korrespondentennetze aufbauten, erschien die Stimme Amerikas immer anachronistischer und spätestens mit dem Fall der Mauer war sie überflüssig. Nach einer kurzen Wiederbelebung Anfang der 90er Jahre wurde der deutsche Dienst der "Voice of America" 1993 aus Spargründen endgültig eingestellt.
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