Vor 75 Jahren

Tod der Kunstmäzenin Gertrude Vanderbilt Whitney

Außengelände des neuen von Renzo Piano entworfenen Whitney Museums für Amerikanische Kunst in New York.
Außengelände des neuen von Renzo Piano entworfenen Whitney Museums für Amerikanische Kunst in New York. © picture alliance / dpa / Justin Lane
Von Anne Quirin · 18.04.2017
Als Frau Bildhauerin werden zu wollen – das galt zu Beginn des 20. Jahrhunderts selbst im fortschrittlichen Amerika als unerhört. Gertrude Vanderbilt Whitney ist ihren Weg trotzdem gegangen. In Erinnerung geblieben ist die New Yorker Künstlerin aber vor allem als Kunstmäzenin und Museumsgründerin.
Das bekannteste Vermächtnis von Gertrude Vanderbilt Whitney glänzt heute in einem achtstöckigen Prestige-Bau von Renzo Piano – gelegen in einem aufstrebenden Szeneviertel von New York. Das "Whitney Museum of American Art" beherbergt eine der wichtigsten Sammlungen amerikanischer Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Bis heute führt es die Tradition seiner Gründerin fort, Werke zeitgenössischer Künstler zu sammeln und zu erforschen.
Gertrude Vanderbilt Whitney, geboren am 9. Januar 1875, war eine Pionierin, als sie mit ihrer Mission begann. Die amerikanischen Kunstliebhaber und –händler schauten Anfang des 20. Jahrhunderts nach Europa. Für die aktuelle Kunst ihres eigenen Landes zeigten sie wenig Interesse. Als Spross der Eisenbahner-Dynastie Vanderbilt und als Ehefrau von Harry Payne Whitney, der ebenfalls einer wohlhabenden Industriellen-Familie entstammte, besaß Gertrude genügend Geld für eine eigene Kunstsammlung. Sie organisierte Ausstellungen. Zunächst in der von ihr gegründeten "Whitney Studio Gallery" und ab 1914 auch in ihrem "Whitney Studio Club" in Greenwich Village, der zu einem begehrten Treffpunkt der modernen Kunstszene wurde. Die Enkelin Flora Miller Biddle:
"Die Eröffnungsparties waren wirklich lustig. Es wurde getanzt, es gab Sandwiches und Drinks für die Künstler – die oft sehr hungrig waren. In den Räumlichkeiten wurden Kurse mit Modellen abgehalten – für fünf Dollar pro Kurs oder auch ganz umsonst, wenn jemand nicht zahlen konnte."

Ein ungeplantes Museum

1929 bot Gertrude Vanderbilt Whitney ihre über 500 Werke umfassende Sammlung, darunter Werke von Edward Hopper und Georgia O'Keefe, dem Metropolitan Museum of Art an. Aber der allzu konservative Direktor lehnte ab – und ermöglichte damit die Gründung des Whitney Museums. Denn die unkonventionelle Millionenerbin beschloss, dann eben ihr eigenes Museum zu bauen. 1931 fand die Eröffnung statt, damals noch in einem kleineren Gebäude in Greenwich Village. Adam Weinberg, der heutige Direktor des Museums:
"Sie hatte eigentlich gar nicht beabsichtigt, ein Museum für amerikanische Kunst zu gründen. Ihr Hauptinteresse lag darin, Künstler zu unterstützen und zu ermutigen. Amerikanische Künstler, die damals keine Gelegenheit hatten, ihre Arbeiten in den USA zu zeigen. Und sie wollte einen Markt für diese Künstler schaffen, damit sie unabhängig arbeiten konnten."

"Ich musste kämpfen, ständig kämpfen"

Weniger bekannt ist, dass Gertrude Vanderbilt Whitney auch selbst Künstlerin war. Eine Europa-Reise im Jahr 1901 hatte ihr Interesse und ihren Ehrgeiz geweckt, Bildhauerin zu werden. Sie studierte in New York, holte sich aber auch in Paris bei Auguste Rodin Anregungen. Als Bildhauerin ernst genommen zu werden, war für die dreifache Mutter aus reichem Hause schwer.
"Ich musste nicht nur meine Finger trainieren. Ich musste kämpfen, ständig kämpfen, um die Mauern aus teils mitfühlender, teils verächtlicher Kritik niederzureißen. Sie gründete auf keiner anderen Auffassung als der, dass Leute wie ich so etwas einfach nicht machten."
Gertrude Vanderbilt Whitney ließ sich nicht beirren. Sie gewann Ausschreibungen für öffentliche Denkmäler. Die meisten stehen heute in New York und Washington. 1921 wurden ihre Arbeiten auch in Paris und London gezeigt. Viele ihrer monumentalen Skulpturen behandeln Kriegsthemen. Die wohlhabende Bildhauerin engagierte sich um 1914 mit viel Geld und Zeit für verschiedene Hilfsorganisationen in Europa.
"Während des Ersten Weltkriegs reiste sie mit einer Gruppe Krankenschwestern und Ärzten nach Frankreich und errichtete dort ein Krankenhaus nahe der Front. Die Skulpturen, die sie nach dieser Erfahrung machte, waren sehr persönliche Skizzen."
Am 18. April 1942 starb Gertrude Vanderbilt Whitney. Ein Porträt, das der Künstler Robert Henri 1916 gemalt hat, zeigt sie als Rebellin ihrer Zeit. Die damals 41-Jährige präsentiert sich in selbstbewusster Pose auf einer Chaiselongue. Ihre Kleidung ist so bunt und modern, dass ihrem Ehemann das Bild peinlich war.
"Als das Porträt fertig war, durfte sie es nicht in ihrem Haus in der Fifth Avenue aufhängen, weil sie Hosen trug. Deshalb wurde es im Wohnzimmer ihres Studios in Greenwich Village aufgehängt. Gertrude wäre wohl sehr überrascht, es heute in ihrem Museum hängen zu sehen."
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