Vor 70 Jahren geboren

Die geniale Ausnahme-Cellistin Jacqueline du Pré

Von Haino Rindler · 26.01.2015
Sie war ein Naturtalent und galt als Genie: Die Cellistin Jacqueline du Pré spielte sich in den 1960er-Jahren an die Weltspitze - in einer Männerdomäne. Einige Jahre später beendete die Krankheit Multiple Sklerose ihre Karriere. Die Ehefrau von Daniel Barenboim starb 1987 fast vergessen.
"Als ich das erste Mal im Radio ein Cello hörte, war ich noch klein, vier Jahre. Ich kann mich an den Klang nicht mehr so genau erinnern, aber ich mochte ihn so sehr, dass ich sofort meine Mutter bat, mir das Ding zu besorgen, das diesen Klang erzeugt. Und das tat sie: Sie gab mir ein riesengroßes Cello. Und ich lernte es spielen."
Jacqueline du Pré wird in der Familie zärtlich Jacki geannt. Sie ist ein lebensfrohes, ausgelassenes Mädchen und wächst in einer Musikerfamilie auf: Die Mutter, Konzertpianistin, hilft ihr, wo sie kann. Sie lässt das Kind machen – selbst wenn es in der Schule mal Fünfen hagelt.
"Sie ist wunderbar. Sie hat ein großes Talent im Unterrichten von Kindern. Irgendwann begann sie, für mich kleine Melodien aufzuschreiben, als ich noch kaum spielen konnte. Und sie schrieb auch Worte darunter. Und auf der Rückseite zeichnete sie kleine Illustrationen. Das machte sie alles, während ich schlief. Ich konnte es kaum erwarten, am Morgen aufzuwachen und diese wundervollen Stücke zu finden, die auf mich warteten. Und dann setzten wir uns und spielten sie zusammen durch. Dabei erwachte immer mehr meine Begeisterung für das Cello."
Ihre berühmteste Interpretation
Jacki bewahrt sich diese kindliche Begeisterung für die Musik und ihr Instrument bis ins Erwachsenenalter. Sie weiß, was sie will. Mit zehn bringt ihre Mutter sie zu William Pleeth. Und fortan lässt sie sich von niemand anderem mehr in die Musik reinreden. Auch nicht von ihrer Mutter.
Pleeth hatte sofort erkannt, dass Jacqueline ein besonderes Kind war – ein Kind mit besonderer musikalischer Intelligenz. Die Musik strömte aus ihr heraus, die Phrasierung war von Beginn an perfekt. Sie drang zum Kern der Musik vor, ohne sie gedanklich begreifen zu müssen. Dafür hat die Welt nur einen Begriff: Genie.
Doch der "du-Pré-Sound" hatte noch nicht seine Vollendung erreicht. Die kam erst 1964, als sich Jacqueline aus einer Reihe von Cellos eines aussuchen durfte, ohne zu wissen, woher es stammte. Sie wählte das Dawidow-Stradivari. Ein Instrument, das mit seinem sonoren Vollklang am besten zu ihrer eruptiven Spielweise passte.
Mit dem Stradivari-Cello spielte sich Jacqueline du Pré 1965 an die Weltspitze, an der Seite von Sir John Barbirolli. Das Cello-Konzert von Edward Elgar wurde zu ihrer berühmtesten Interpretation.
"Ich kann mich lebhaft erinnern, wie Jacki zu uns kam. Sie spielte etwa zwei bis drei Minuten, da drehte ich mich zum Konzertmeister um, und ich sagte: Das ist es! Es war eines der eindrucksvollsten Erlebnisse meines Lebens, dieses unglaubliche, natürliche Cello-Talent fliegen zu sehen. Auch wenn sie bisweilen für ihre exzentrische Spielweise kritisiert wird, ich liebes das!"
Beginn der Weltkarriere
Jacqueline du Pré – zur jungen begehrenswerten Dame gereift – war auch als Frau eine Ausnahmeerscheinung. Sie war nicht nur in eine Männerdomäne vorgedrungen, sie ging auch konsequent und ohne Scheu ihren Weg – keine Normalität in den 60er-Jahren, als die meisten Frauen von ihren Männern hinter die Kochtöpfe gestellt wurden. Als sie Mitte der 60er-Jahre den jungen Daniel Barenboim im Hause der Menuhins in London traf, schien sich das Glück zu vervollkommnen.
"Sie war wahrscheinlich der talentierteste Mensch, dem ich jemals begegnet bin. Sie war nicht besonders gebildet im musikalischen Sinn. Aber sie hatte einen sicheren Instinkt, sie kam in diese Welt, nicht um zu sprechen, sondern um zu spielen. Und sie hatte ein besonderes Gespür für die Klangvielfalt. Das war so perfekt und direkt. Sie musste niemals fragen: Wie soll man diese Phrase spielen? Sie tat es einfach und es war immer perfekt."
Als die beiden 1967 heiraten, ist das der Beginn ihrer Weltkarriere an der Seite des Dirigenten Daniel Barenboim. Sie entschloss sich, den jüdischen Glauben anzunehmen. Schon damals litt sie unter den Symptomen einer fast unerforschten Krankheit. Es sollte noch Jahre dauern, bis ihre als Nervosität abgetanen Zusammenbrüche einen Namen bekamen.
Die Katstrophe und gleichzeitig ihr letztes Konzert fand in New York statt: Brahms Doppelkonzert mit Pinchas Zukerman und Leonard Bernstein am Pult. Sie spürte ihre Finger nicht mehr. Am Ende einer endlosen Aufführung brach sie zusammen. Sieben Monate später bekam sie die Diagnose: Multiple Sklerose.
Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte Jacqueline du Pré zurückgezogen in London. Sie starb fast vergessen an einem Montag im Oktober 1987.
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