Vor 70 Jahren

Das Wunder von Remagen

Reste von der Brücke von Remagen
Im März 1945 hatten US-Soldaten die überraschend noch stehende Brücke entdeckt und sie daraufhin erobert. © picture alliance / dpa - Thomas Frey
Von Bernd Ulrich · 17.03.2015
Vor 70 Jahren brach die Brücke von Remagen zusammen, zehn Tage zuvor war sie fast unzerstört. Als einzige noch intakte Brücke über den Rhein ermöglichte sie einen schnelleren Vormarsch der alliierten Truppen und rettete damit Leben und verkürzte den Krieg.
"Der Feind ist uns auch im Westen, sowohl an Menschen wie an Material, weit überlegen. Aber der deutsche Soldat beweist an jedem Tag erneut, dass die moralische und kämpferische Überlegenheit auf unserer Seite ist. Und darauf und auf unsere gute Sache gründen wir unsere Hoffnungen für die Zukunft."
Man hört es und man fasst es nicht, was der reichsdeutsche Rundfunk da am 5. März 1945 verkündet. Was für eine "gute Sache" soll das sein, für die nicht zuletzt im Westen in jenen Tagen noch gekämpft und gestorben wird?
Letzte noch intakte Überquerungsmöglichkeit über den Rhein
Zu welchen grotesken Kampfvorstellungen und Wunschträumen des vorgeblichen "Widerstands" gegen "die Angloamerikaner" namentlich die NS-Verantwortlichen fähig waren, sollte sich schon zwei Tage nach dieser Rundfunkmeldung, am 7. März 1945, zeigen: Die Brücke in Remagen, letzte noch intakte Überquerungsmöglichkeit über den Rhein, war - obgleich zur Sprengung vorbereitet - praktisch unzerstört in amerikanische Hände gefallen. Der Gauleiter von Schwaben, Karl Wahl, machte daraufhin den Vorschlag, die Brücke durch fliegende Selbstmordattentäter zerstören zu lassen:
"Es gibt sicherlich genügend Getreue des Führers, die ohne Weiteres zur Selbstaufopferung bereit sind, wenn sie durch ihre Tat das Volk retten können. Ist es nicht besser, es sterben bewusst einige Dutzend, als dass bei Unterlassung dieser lebenswichtigen Notmaßnahme dann Zehntausende das Leben lassen müssen?"
Aber der Versuch, quasi einen NS-Dschihad auszurufen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Schwarz-weiß-Foto von der Brücke in Remagen, aufgenommen im März 1945.
Die Brücke von Remagen (Foto vom März 1945) am Mittelrhein (Rheinland-Pfalz) war einer der strategisch wichtigen Punkte beim Kampf um die Überquerung des Rheins während des Zweiten Weltkrieges.© picture-alliance/ dpa - UPI
Fest stand immerhin, dass das bald sogenannte Miracle of Remagen - das Wunder von Remagen, wie es amerikanische Soldaten nannten - Leben rettete und den Krieg verkürzte. Innerhalb von nur 24 Stunden standen einen Tag nach der Inbesitznahme der Brücke, am 8. März 1945, über 8.000 GIs auf der anderen Seite des Rheins, eine Woche später bildeten bereits 24.000 Soldaten einen ausgedehnten Brückenkopf. Der deutsche Rundfunk bemühte sich redlich, diesen Erfolg kleinzureden, wie etwa in einer Sendung vom 14. März 1945:
"Hier ist 1212 mit Nachrichten für das Rheinland. Die Ausdehnung des amerikanischen Brückenkopfes am rechten Rheinufer gegenüber Remagen konnte durch energische, mit Panzerunterstützung geführte Gegenangriffe unserer Truppen um einiges verlangsamt werden. Der Brückenkopf der Amerikaner ist nicht mehr als zwölf Kilometer breit und nur vier Kilometer tief."
Unter hohen Verlusten und mit allen Mitteln versuchte die Wehrmacht die 1916 begonnene und zum Ende des Ersten Weltkriegs fertiggestellte Ludendorff-Brücke, zu zerstören. Selbst die sogenannten Vergeltungswaffen wie die V2-Raketen, abgeschossen aus dem noch von den Deutschen besetzten Holland, kamen in Remagen zum Einsatz. So weiß es der langjährige Bürgermeister der Stadt und Begründer des in den Überresten der Brückenpfeiler untergebrachten Friedensmuseums, Hans Peter Kürten, zu berichten:
"Remagen ist die einzige deutsche Stadt, die mit deutschen V-Waffen beschossen worden ist - aus Deventer, in Holland. Hier sind am 17. März zehn V2-Raketen in der Umgebung eingeschlagen. Aber die Brücke blieb trotzdem stehen."
Unermüdlich versuchten amerikanische Pioniertruppen, die leicht beschädigte Brücke zu stabilisieren. Nur in den ersten Tagen nach dem 7. März konnten auf ihr Truppenverbände den Fluss passieren. In großer Eile errichtete man deshalb insgesamt fünf Pontonbrücken, die flussab- und aufwärts für einen reibungslosen Ablauf der Truppenverlegungen auf die rechte Rheinseite sorgen sollten, falls es den Deutschen doch noch gelänge, die Brücke zu vernichten.
Bautrupps versuchten Schäden auszubessern
Soweit kam es indessen nicht. Was weder Kampfschwimmer noch Luftangriffe geschafft hatten, erledigte die leidgeprüfte Brücke gleichsam selbst. Am 17. März 1945, einem Sonntag, waren die Bautrupps der amerikanischen Pioniere wie gewohnt dabei, die erkannten Schäden auszubessern. Am Nachmittag, gegen 15 Uhr, ertönten plötzlich überlaute Knallgeräusche, dann ein nachrollendes Knirschen, unheilvoll kündend von berstendem und verbogenem Stahl. Mit der unmittelbar darauf einstürzenden Brücke wurden die auf ihr arbeitenden Soldaten mitgerissen, eingeklemmt oder durch umherfliegende Teile verletzt. 28 Männer starben, über 90 wurden teils schwer verwundet. Aber das Wunder von Remagen hatte seine Wirkung bereits entfaltet: Eine der letzten, entscheidenden deutschen Niederlagen im Westen war besiegelt.