Vor 60 Jahren

Die "Verkehrssünderkartei" wird eingeführt

Geschwindigkeitskontrolle - Lasermessgerät
Die Polizei führte 1958 die ersten Radargeräte ein: Die Geräte lieferten bald bundesweit die Daten von Tempo- und Rotsündern. © picture alliance / dpa / Inga Kjer
Von Hartmut Goege · 11.10.2016
Das Auto wurde in der Zeit des Wirtschaftswunders zum Statussymbol: Die Zahl der Fahrzeuge stieg rasant und Unfälle nahmen zu. Deshalb beschloss der Bundestag heute vor 60 Jahren als "Instrument der Verkehrserziehung" die Einrichtung der Flensburger "Verkehrssünderkartei".
"Du hast wohl gedacht, dass ich bremse, was? Idiot! Ich hatte Vorfahrt!" – "Ganz recht, Herr Dobermann, aber eine gewisse Rücksicht muss jeder ..." - "Ach was, Rücksicht! Rücksicht kann immer nur einer nehmen!"
Heinz Erhardt in der 50er-Jahre-Komödie "Natürlich die Autofahrer". Es war die Zeit der Wirtschaftswunderjahre mit Wachstum und Vollbeschäftigung. Mobilität war angesagt und immer mehr Menschen konnten sich den Traum vom eigenen Auto erfüllen. Innerhalb von zehn Jahren stiegen die PKW-Zulassungen rasant: von 700.000 auf fünf Millionen im Jahr 1960. Mit dem Verkehrs-Boom nahmen aber auch Fahrverstöße und Unfälle zu.

Verkehrsunfälle nahmen zu

Starben 1950 noch 6.000 Menschen auf der Straße, so waren es fünf Jahre später schon fast 15.000. Deshalb beschloss am 11. Oktober 1956 der Bundestag als Instrument der Verkehrserziehung die Einführung eines Verkehrs-Zentralregisters, kurz VZR, im Volksmund "Verkehrssünderkartei" genannt. Damit wollte man vor allem Mehrfachtätern auf die Spur kommen. Der RIAS Berlin sendete damals:
"Die erforderlichen Grundlagen hat das Flensburger Bundesamt bereits in einer Kartothek gesammelt. In diese Verkehrssünder-Registratur werden auch - wenn entsprechende Vergehen vorliegen - Fußgänger und Mopedfahrer aufgenommen."
Doch waren weniger Fußgänger und Mopedfahrer das Problem als vielmehr PKW-Raser. Nach dem Motto "Freie Fahrt für freie Bürger" lehnte die Autolobby trotzdem von Beginn an jede Registrierung ab. Der damalige ADAC Verkehrsexperte Professor Ernst Fauner gab zu Bedenken:
"Wäre es möglich, die wirklichen Verkehrssünder herauszufischen aus der Menge der Kraftfahrer, dann wäre die Verkehrssünderkartei weniger als gefährlich zu betrachten. Aber es ist eben praktisch doch sehr schwer, einen Mann, der als Verkehrssünder betrachtet werden muss, rechtzeitig zur Strecke zu bringen. Wie sollte man das machen? Das könnte doch wohl nur mit einem ungeheuren finanziellen Aufwand, mit Einsatz von Kameras und Filmapparaten und dergleichen geschehen."

Radarfalle als Wunderwaffe

Und so geschah es. 1958 startete die Flensburger Verwaltung mit 70 Beamten. Während Mitteilungen von Gerichten und Behörden noch von Hand bearbeitet wurden, rüstete die Polizei mit ersten Radarfallen auf: Als Wunderwaffen gefeiert, fütterten die Geräte bald bundesweit Flensburg mit Daten von Tempo- und Rotsündern. Über 800.000 Fahrer besaßen schon im ersten Jahr eine eigene Karteikarte. Mit der stetig wachsenden Verkehrsflut lieferte ab 1966 auch das Deutsche Fernsehen seinen pädagogischen Beitrag. Der 7. Sinn wurde mit seinen wöchentlichen Tipps zum Dauerbrenner.
"Beim Rückwärtsfahren muss sich der Fahrzeuglenker so verhalten, dass eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist. Wenn erforderlich, muss er sich einweisen lassen."
Und zahlreiche Kabarettisten wie etwa Jürgen von Manger versuchten das deutsche Autofahrervolk humoristisch für die Regeln im Straßenverkehr zu sensibilisieren.
"Herr Tegtmeier, Sie müssen sich im Straßenverkehr eben so verhalten, dass nichts geschieht, Sie sollen dabei auch mit dem Leichtsinn oder der Dummheit ihrer Mitmenschen rechnen." - "Jawohl, ich muss immer denken, dass der andere vielleicht noch dummer ist wie ein Selber."

Mehrfachtäterpunktesystem

Doch es nützte wenig. Als 1973 die Zahl der Verkehrstoten auf 21.000 anstieg, führte das VZR neben der Alkoholpromillegrenze von 0,8 das sogenannte Mehrfachtäterpunktesystem ein: Ordnungswidrigkeiten und grob verkehrswidriges Verhalten wurden nach Punkten gestaffelt. Wer 18 Punkte erreichte, dem wurde der Führerschein entzogen. Blieb man zwei Jahre ohne Eintrag, verfielen die Punkte. Seinen Kontostand konnte man jederzeit abfragen. Tatsächlich gingen die Unfallzahlen herunter. Viele Verkehrsteilnehmer verhielten sich bewusst präventiv, um keine Punkte zu sammeln. Immer wieder gab es politische Versuche, die Sünderkartei wegen zu hoher Kosten abzuschaffen. So wie 1981. Der damalige SPD-Justizminister Jürgen Schmude verteidigte die Einrichtung:
"Nun, das Verkehrszentralregister ist ja aus gutem Grunde eingeführt worden, um über Verhaltensweisen im Verkehr, die für die Allgemeinheit gefährlich sind oder werden können, Aufschluss zu geben."
Und anders als von Kritikern behauptet, erwirtschaftete die Behörde regelmäßig Überschüsse. 2014 wurde das Punktesystem in einigen Bereichen reformiert. Bis dahin hatten neun Millionen registrierte Sünder 47 Millionen Punkte angesammelt.
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