Vor 50 Jahren

Der filmreife Gefängnis-Ausbruch des Ronald Biggs

Der britische Posträuber Ronald Biggs im Alter von 35 Jahren.
Der britische Posträuber Ronald Biggs im Alter von 35 Jahren. © picture alliance / dpa - Str/KEYSTONE
Von Jürgen Bräunlein · 08.07.2015
Das Leben des Posträubers Ronald Biggs war filmreif: Er erbeutete 1963 bei einem Überfall auf einen Geldtransport 2,6 Millionen Pfund. Dafür musste "Ronnie" für 30 Jahre ins Gefängnis: Am 8. Juli 1965 brach der Brite spektakulär aus.
8. Juli 1965, 15 Uhr. Im Londoner Gefängnis Wandsworth, der zweitgrößten Haftanstalt des Landes, dürfen die Inhaftierten wie jeden Tag für 30 Minuten im Innenhof frei herumlaufen, streng bewacht von vier Wärtern. Die zehn Häftlinge tragen Westen in Leuchtfarben, damit sie auch aus der Ferne gut zu erkennen sind. Unter ihnen: Ronald Biggs, einer der legendären Räuber, die am 8. August 1963 den königlichen Postzug von Glasgow nach London überfielen und dabei 2,6 Millionen Pfund erbeuteten.
"Der Richter hat wohl ´nen Vogel"
Plötzlich sieht einer der Gefängniswärter hinter der sechs Meter hohen Backsteinmauer zwei Köpfe mit Strumpfmasken auftauchen. Blitzschnell löst er die Alarmanlage aus, doch zu spät. Schon werfen die Kletterer Strickleiter und Stahlleiter über die Mauer. Ronald Biggs und drei Mitläufer, die ihre Chance erkennen, stürzen sich auf die zwei Leitern. Die Gefängniswärter, die eingreifen wollen, werden von den übrigen Häftlingen zurückgehalten. Währenddessen klettern die Flüchtigen über die Mauer und springen in einen scharlachroten Möbelwagen, der vor dem Gefängnis für sie bereitsteht. Über ein Loch im Dach landen sie weich in der Freiheit, denn im Wagen ist eine Sprungfederanlage eingebaut, auf der Matratzen liegen. Sie flitzen zu drei Autos, die in der Nähe warten, tauschen ihre Sträflingskleidung gegen Anzüge und sind über alle Berge.
"Das war eigentlich ziemlich einfach, denn zu dieser Zeit gab es kaum Sicherheitsvorkehrungen. Es gab keinen Stacheldraht auf den Mauern, es gab keine bewaffneten Wächter", erklärt Ronald Biggs später. Von den 30 Jahren Haft, die ihm für den Postraub aufgebrummt wurden, hat er zum Zeitpunkt seines Ausbruchs gerade einmal 15 Monate abgesessen. Schon während der Urteilsverkündigung protzte er:
"Der Richter hat wohl einen Vogel, die 30 Jahre sitze ich nicht ab."
Für die britische Justiz ist der Gefängnisausbruch eine Blamage. Der Innenminister muss im Unterhaus Rede und Antwort stehen. Schließlich gilt Wandsworth, in dem schon Oskar Wilde einsaß, als eines der sichersten Gefängnisse der Welt. Die Boulevardpresse berichtet mit Schadenfreude, der "Daily Mirror" spricht von einem "fantastischen Gefängnisausbruch" und wieder steht Ronald Biggs im Zentrum eines vielfach bewunderten Gaunerstücks. Ähnlich wie beim legendären Postraub von 1963 ging auch diesmal alles nahezu gewaltfrei über die Bühne. Zwar wurde später in einem der Fluchtwagen eine Schusswaffe gefunden, doch sie kam nicht zum Einsatz. Ungeklärt ist bis heute, wer die Helfershelfer im Gefängnis waren.
Das Leben im Exil
Nach dem Ausbruch führt Ronald Biggs auch weiterhin ein abenteuerliches Leben. In Paris lässt er sich das Gesicht operieren, flieht nach Australien und 1974 weiter nach Rio de Janeiro. Die Liebschaft mit einer einheimischen Stripteasetänzerin, die ein Kind von ihm bekommt – wird zur vorläufigen Rettung:
"Der Vater eines in Brasilien geborenen Kindes kann Gott sei Dank nicht ausgeliefert werden!"
So triumphiert Biggs in Rio de Janeiro vor Journalisten. Doch das Leben im Exil ist auch anstrengend. Um sich über Wasser zu halten, verkauft Biggs T-Shirts und Kaffeebecher mit seinem Konterfei, wirbt für Alarmanlagen und nimmt Lieder mit der britischen Punkband "Sex Pistols" und später dann den "Toten Hosen" auf.
2001 fliegt Ronald Biggs, von Heimweh geplagt, nach Hause. 36 Jahre nach seinem Ausbruch aus dem Gefängnis Wandsworth kehrt er so doch noch dorthin zurück - mit 71 Jahren. 2009 wird er begnadigt. Reue über den Postüberfall zeigt er jedoch nicht:
"Wir waren wie in einem Glücksrausch, als wir die Beute hatten und um die Beute herumgetanzt sind. Ich würde es wieder tun."
Bis zu seinem Tod am 18. Dezember 2013 im Alter von 84 Jahren bleibt "Ronnie" Biggs ein Liebling der Briten, bewundert, von manchen sogar kultisch verehrt.
Mehr zum Thema