Vor 30 Jahren

Bundestag verabschiedet Vorruhestandsgesetz

Von Annette Wilmes · 29.03.2014
Anfang der 80er-Jahre stieg in der Bundesrepublik die Zahl der Arbeitslosen auf mehr als 2,5 Millionen. Das Vorruhestandsgesetz sollte die Entwicklung aufhalten. Die Rechnung ging jedoch nicht auf.
"Nun, meine Damen und Herren, die Vorruhestandsregelung ist ein Mittel zum Zweck. Es geht um die Arbeitslosen. Und über allem Streit um die Mittel sollten wir heute und überhaupt in der Auseinandersetzung nicht vergessen, um wen es geht - um die Arbeitslosen - und dass uns hier eine gemeinsame Sorge quält."
Ausstieg aus dem Arbeitsleben mit 58 Jahren
Norbert Blüm, im Kabinett von Kanzler Helmut Kohl Bundesarbeitsminister. Die Sorge war groß in den 80er Jahren. Zweieinhalb Millionen Menschen waren arbeitslos - so viele wie nie zuvor. Der Grund dafür war die stagnierende Konjunktur, aber auch die Rationalisierung vieler Arbeitsabläufe durch Computer spielte eine Rolle. Mit dem so genannten Vorruhestandsgesetz wollte die Regierung den Arbeitsmarkt für die junge Generation öffnen. Arbeitnehmer sollten schon mit 58 in Rente gehen können und bis zum Eintritt der regulären Rente 70 Prozent ihres Netto-Lohns erhalten. Zahlen musste der Arbeitgeber, aber er konnte Unterstützung vom Staat erhalten, falls er den frei gewordenen Arbeitsplatz neu besetzte. Am 29. März 1984 stand der Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung im Bundestag zur Debatte.
"Unser Vorruhestandsgesetz ist ein Friedensangebot. Es hat nur Erfolg, wenn Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeber zusammenwirken. Das Gesetz ist ohne Mitwirkung der Tarifpartner nur von dem Wert des Papiers, auf dem es gedruckt ist."
Große Gewerkschaften waren gegen ein Vorruhestandsgesetz
Vor allem die großen Gewerkschaften wie die IG-Metall oder die IG Druck und Papier waren jedoch gegen ein Vorruhestandsgesetz. Sie hielten die Verkürzung der Wochenarbeitszeit für wesentlich sinnvoller als die Verkürzung der Lebensarbeitszeit. Der Kampf um die 35 Stunden Woche war seit Monaten entbrannt. Auch im Bundestag kam es zu heftigen Wortgefechten. Während Blüm den sozialen Frieden beschwor und auf die Kompromissfähigkeit der Tarifpartner setzte, hielten ihm die Oppositionsparteien vor, er wolle mit dem neuen Gesetz gegen die Gewerkschaften vorgehen. Denen war die Humanisierung der Arbeitsbedingungen genauso wichtig wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Argumente, die auch für den Grünen-Abgeordneten Eckhard Stratmann zählten:
"Herr Blüm, Sie wissen, dass 1982 circa jeder zweite Industriearbeiter schon mit 54 Jahren in Rente gegangen ist; und nicht, weil er keine Lust mehr hatte zu arbeiten, sondern weil die täglichen unmenschlichen Arbeitsbedingungen in unserer so genannten Sozialen Marktwirtschaft ihn kaputt gemacht haben."
Und auch der SPD-Abgeordnete Günther Heyenn hielt den Gesetzentwurf, vorgelegt von Arbeitsminister Norbert Blüm und Finanzminister Gerhard Stoltenberg, für eine Mogelpackung.
"Die Regierung will einen Beschäftigungspakt durch Taten, sie will ein Friedensangebot, und dann legt sie einen Gesetzentwurf vor, dessen Auswirkungen nicht Hunderttausende, sondern bestenfalls Zehntausende betreffen, und das bei 2,5 Millionen Arbeitslosen, die wir haben."
Lediglich 70.000 neue Arbeitsplätze geschaffen
Gegen den erbitterten Widerstand von SPD und Grünen wurde das Gesetz mit den Stimmen der Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP am 29. März 1984 verabschiedet. Es war allerdings von vornherein auf vier Jahre begrenzt: Ein Zeitraum, von dem sich die Regierung auch aufgrund der rückläufigen Geburtenzahlen eine deutliche Verbesserung der Situation versprach. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Durch das Vorruhestandsgesetz waren lediglich 70.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Dennoch verkündete die Bundesregierung das Ende des Vorruhestandsgesetzes. Der damalige Regierungssprecher Friedhelm Ost:
"Ausschlaggebend hierfür war vor allem die Tatsache, dass sich grundlegende Änderungen im Altersaufbau der Bevölkerung inzwischen sehr deutlich abzeichnen. Konkret bedeutet dies, dass einerseits die geburtenstarken Jahrgänge in das Berufsleben eingetreten sind und die Jugendarbeitslosigkeit in erfreulicher Weise rückläufig ist und dass andererseits ein Mangel an qualifizierten Fachkräften zunehmend spürbar wird."
Wer heute vorzeitig in den Ruhestand gehen will, muss mit Kürzungen seiner Rente rechnen. Eine Alternative bietet die Altersteilzeit. Die spezielle Förderung dieses Modells durch das Arbeitsamt ist allerdings zum 1. Januar 2010 ausgelaufen. Die Altersteilzeit bleibt also allein eine Abmachung zwischen Arbeitgeber und -nehmer. Der Zweck, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, den das Vorruhestandsgesetz von 1984 noch erfüllen sollte, spielt bei dem Altersteilzeitgesetz keine Rolle mehr.
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